Vor einer beabsichtigten Einstellung hat der Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig und vollständig über die Gründe, den betreffenden Arbeitsplatz, die Person des ausgewählten Bewerbers und die Eingruppierungen zu unterrichten und ihm darüber hinaus Auskunft über die Mitbewerber zu geben und sämtliche Bewerbungsunterlagen zur Verfügung zu stellen. Nur wenn der Betriebsrat vollständig unterrichtet wurde, ist er objektiv in der Lage, seine betriebsverfassungsrechtlichen Rechte auszuüben. Er soll die Möglichkeit erhalten, Anregungen für die Auswahl der Bewerber zu geben. Die Wochenfrist, nach der die Zustimmung des Betriebsrats als erteilt gilt, wird nicht in Lauf gesetzt, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat offenkundig unvollständig unterrichtet hat (§ 99 Abs. 1 BetrVG).
Ein Unternehmen der Getränkeindustrie hatte eine bisher nicht im Betrieb vorhandene Stelle eines Prozess- und Projektspezialisten Technik ausgeschrieben und daraufhin 33 externe Bewerbungen erhalten. Interne Bewerbungen von beschäftigten Mitarbeitern gab es nicht. Am 8.6.2021 beantragte das Unternehmen die Zustimmung zur Einstellung des Bewerbers G. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung, weil dadurch Arbeitnehmer der ohnehin nicht ausreichend besetzten Abteilung Technik (Elektriker) Nachteile erleiden würden. Es gehe erneut eine geplante Stelle verloren, was zu einer weiteren Leistungs- und Arbeitsverdichtung führe. Dringender werde die Einstellung im Bereich Elektrik benötigt. Im Rahmen des sich anschließenden Beschlussverfahrens vor dem ArbG Halle und dem LAG Sachsen-Anhalt machte der Betriebsrat ferner geltend, dass ihm nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegen hätten. Das Unternehmen argumentierte, dass sämtliche Bewerbungen vollständig digitalisiert und in das Bewerbermanagement-Tool SFR eingepflegt worden seien, zu dem der Betriebsrat jederzeit Zugriff habe. Darüber gebe es sogar eine entsprechende Gesamtbetriebsvereinbarung. Sowohl die erste Instanz als auch die Berufungsinstanz ersetzten die Zustimmung zur Einstellung von Herrn G.
Ein Überblick über die drei Teilbereiche des „Kollektiven Arbeitsrechts“: Betriebsverfassungsrecht (BetrVG, SprAuG, EBRG), Unternehmensmitbestimmungsrecht (DrittelbG, MitbestG, Montan-MitbestG), Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (TVG, Artikel 9 III GG)
Ob der Betriebsrat Anspruch darauf hat, dass ihm die Bewerbungsunterlagen ausgehändigt und bis zu seiner Beschlussfassung überlassen werden, ist streitig. Selbst wenn man der Meinung ist, sie müssten „überlassen“ werden, hätte der Arbeitgeber diese Pflicht erfüllt. Denn den Betriebsratsmitgliedern stehen Laptops zur Verfügung, die sie für ihre Betriebsratstätigkeit nutzen können. Im Zeitalter der Digitalisierung und der fortschreitenden Organisation möglichst papierfreier Büros kann es keinen Unterschied mehr machen, ob dem Betriebsrat sämtliche Unterlagen in Papierform vorgelegt bzw. überlassen werden oder dieser durch „Vorlage“ von Laptops in die Lage versetzt wird, sich die entsprechenden Kenntnisse zu verschaffen. Ein Zustimmungsverweigerungsgrund lag nach Auffassung der Kammer nicht vor. Eine durch Tatsachen begründete Besorgnis, dass im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer infolge der Einstellung Nachteile erleiden, ohne dass dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt wäre, war nicht ersichtlich. Vielmehr gehe es dem Betriebsrat nur darum, dass lieber ein Arbeitnehmer im Bereich Elektrik eingestellt werde. Die Entscheidung über Einstellungen ist jedoch eine ureigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers. Der Betriebsrat kann Einstellungen auf bestimmten Arbeitsplätzen letztlich nicht erzwingen.
Wegen der grundsätzlichen Frage, ob die Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen auch in der Weise erfolgen kann, dass die Betriebsräte umfassende Einsichtsmöglichkeiten in ein Bewerbermanagement-Tool erhalten, ließ das Gericht die Rechtsbeschwerde zu. Sie ist unter dem Az. 1 ABR 28/22 beim BAG anhängig (LAG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13.10.2022 – 2 TaBV 1/22).
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Beteiligungsrechte bei personellen Maßnahmen
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