Mitbestimmungsrechte in Matrixstrukturen

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 Bild: pixabay.com
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Die Arbeitgeberin beschäftigt in Deutschland ca. 200 Arbeitnehmer. Sie ist Teil eines internationalen Konzerns, der auch in Frankreich eine Gesellschaft hat. In Deutschland ist ein bundesweiter Betriebsrat gebildet worden. Es wurde ein unternehmensübergreifendes deutsch-französisches Managementteam errichtet, das sich aus Senior Vice Presidents zusammensetzt. Auf verschiedenen organisatorischen Ebenen wurden Teams gebildet, in denen Arbeitnehmer beider Gesellschaften eingesetzt werden. Personalverantwortliche Vorgesetzte der Arbeitnehmer ist eine SVP Human Resources, die einen deutschen Arbeitsvertrag besitzt. Herr U. ist IT-Solutions-Leiter. Er hat einen Arbeitsvertrag mit der französischen Gesellschaft und seinen Lebensmittelpunkt in Frankreich. 2019 wurde Herrn U. die Verantwortung für die Teams ERP und OSS übertragen. Das Team ERP besteht aus fünf Arbeitnehmern, darunter vier Arbeitnehmer mit Arbeitsverträgen nach deutschem Recht und ein Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag nach französischem Recht. Ähnlich verhält es sich bei dem Team OSS. Unmittelbarer Fachvorgesetzter des Herrn U. ist der bei der deutschen Gesellschaft beschäftigte Vice President B. Im Rahmen einer Neustrukturierung wurde der Bereich IT/NT-Consulting aufgelöst. Diesem Bereich gehörte auch der freigestellte Betriebsratsvorsitzende Herr E. an. Er wurde der Organisationseinheit IT-Solutions ERP zugeordnet. Der Betriebsrat machte geltend, die Einstellung von Herrn U. sowie die Versetzung von Herrn E. aufzuheben, solange die Zustimmung des Betriebsrats nicht vorliegt oder gerichtlich ersetzt wurde. Mit diesen Anträgen hatte er vor dem LAG Köln Erfolg (Beschl. v. 17.7.2020 – 9 TaBV 73/19).

Das Gericht urteilte, dass beide personellen Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Einstellung bzw. Versetzung nach § 99 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Von „Einstellung“ spricht man, wenn eine Person in einen Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen (st. Rspr. d. BAG).

Das Arbeitsrecht unterliegt dem ständigen Wandel der Rechtsprechung. Handwerkliche Fehler sind teuer und vermeidbar. Personalverantwortliche müssen dafür die aktuellen Entwicklungen im Auge behalten.

Durch die Übertragung der Teamleitungen ERP und OSS wurde Herr U. in die Arbeitsorganisation des deutschen Unternehmens eingegliedert. Entscheidend dafür ist, dass der Arbeitgeber das typische Weisungsrecht innehat und die Entscheidungen über den Einsatz nach Inhalt, Ort und Zeit trifft. Dies war hier der Fall, da sein Einsatz jedenfalls auch durch den bei der deutschen Gesellschaft angestellten Vorgesetzten B. gesteuert wird. Es handelt sich um eine „aufgespaltene Arbeitgeberstellung“, bei der auch die deutsche Gesellschaft Arbeitgeberfunktionen in Bezug auf Herrn U. ausübt. Zudem hat er selbst Vorgesetztenaufgaben gegenüber seinen Teammitgliedern inne, die im deutschen Betrieb arbeiten. Unerheblich war, dass Herr U. im Wesentlichen in Frankreich tätig ist. Denn es genügt, wenn er über die Informations- und Kommunikationstechnologie in den Arbeitsablauf des deutschen Betriebs eingebunden wird. Bei der im Zuge der Auflösung des Bereichs IT/NT-Consulting erfolgten Zuordnung des freigestellten Betriebsratsmitglieds zur Organisationseinheit IT-Solutions ERP handelte es sich um eine Versetzung. Darunter versteht man die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, wodurch sich das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert. Dies war hier durch die organisatorische Umhängung in eine neue Organisationseinheit gegeben. Der Umstand, dass Herr G. als Betriebsratsvorsitzender freigestellt war, änderte daran nichts. Das Vorliegen einer Versetzung sei vielmehr hypothetisch zu bewerten. Maßgeblicher Zeitpunkt dafür ist die organisatorische Neuzuordnung, nicht die spätere tatsächliche Übernahme der Aufgabe mit Beendigung der Freistellung.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung ließ das Gericht die Rechtsbeschwerde zu. Sie ist beim BAG unter dem Az. 1 ABR 30/20 anhängig.

Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
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Mitbestimmungsrechte in Matrixstrukturen
Seite 725
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