„Nehmen Sie den Change ernst!“
Herr Haasen, warum ist die Allianz mit ihren knapp 2.500 Mitarbeitern in Berlin im vergangenen Jahr nach Adlershof an den Rand der Stadt gezogen?
Als wir 1998 in die Treptowers an die Spree zogen, war das eine ganz bewusste Entscheidung als Zeichen für den Aufbau Ost. Das repräsentative Gebäude hat die vormaligen weit in der Stadt verstreuten Standorte gebündelt. Zum damaligen Zeitpunkt waren Architektur und Bürokonzept des Gebäudes sehr modern. Es war geprägt von einer typischen Klein-Büro-Kultur mit langen Gängen. Rechts und links lagen die Büroräume. Und genau das ist – aus heutiger Sicht – auch schon der Nachteil. Wir haben relativ schnell festgestellt, dass diese Bürowelten heute nicht mehr unseren Anforderungen genügen. Inzwischen existieren ganz andere Vernetzungen innerhalb der Teams und die Arbeit insgesamt hat sich verändert, so dass wir umbauen wollten, was dort aber nicht möglich war. Letztlich war das Gebäude auch einfach zu groß. 2015 begann die Suche nach einem neuen Standort, wo wir neu bauen und neue Arbeitswelten für eine bessere Zusammenarbeit und mehr Gemeinschaft verwirklichen konnten. Eine gute Verkehrsanbindung und Infrastruktur sollte ebenfalls vorhanden sein. Ende 2015 wurden die Pläne und die Entscheidung für Adlershof der Belegschaft bekannt gegeben.
Der Umzug – neben der Hauptverwaltung immerhin unser größter Standort in Deutschland – fand dann im Sommer 2019 über 17 Tage verteilt statt. Jede Nacht wurden abteilungsweise etwa 200 Arbeitsplätze umgezogen, so dass die Mitarbeiter, die nachmittags das Büro in den Treptowers verlassen hatten, am nächsten Morgen nahtlos in Adlershof anfangen konnten.
Die Nähe zum (hoffentlich bald fertigen) Flughafen BER spielte auch eine Rolle?
Absolut, auch wenn das kein Hauptkriterium war. Unsere bundesweiten Standorte sind sehr gut miteinander vernetzt, so dass wir auch in die Zentralen nach Unterföhring oder Stuttgart und an die anderen Standorte reisen. Zwar machen wir viel über Videokonferenzen und Go-to-Meetings, aber der ganz persönliche Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Da sind kurze Wege natürlich von Vorteil.
Wie hat die Belegschaft reagiert und was wurde für deren Zustimmung getan?
Es gab natürlich auch Zurückhaltung, schließlich müssen einige Mitarbeiter jetzt einen etwas längeren Weg in Kauf nehmen und Veränderung hat manchmal erst einmal etwas Beunruhigendes. Aber auch mit dem alten Standort waren nicht mehr alle zufrieden. Also machten wir deutlich, dass ein Umzug in ein modernes und nachhaltiges Gebäude Sinn macht. So konnten wir den Aufbruch gut kommunizieren und jeder konnte ihn nachvollziehen – auch wenn die wichtigen Entscheidungen natürlich top-down getroffen wurden.
Zudem durfte sich die Belegschaft mit Vorschlägen im Bauprozess einbringen, was zu einer Identifikation mit dem Projekt sorgte. Wir haben Workshops und Ideenwettbewerbe veranstaltet. Das fängt z. B. bei Dingen wie der Benennung der Konferenzräume an. Aus dem Ideenwettbewerb ging hervor, dass diese nach den Stadtteilen des Bezirks benannt wurden. Das schafft Identifikation und ist nicht zu unterschätzen – zumal es sich um einen Wettbewerb unter den Kollegen handelte. Auch das Farbkonzept haben wir zur Abstimmung gebracht – von den Stühlen in der Kantine bis zur Gestaltung der Akustikelemente in den Büros. All das schafft Nähe zum Objekt und emotionale Verbundenheit. In der Bauphase haben wir am alten Standort ein Modell des neuen Campus aufgebaut, wo vor allem der neue Ansatz des Open Space visualisiert wurde. Dort konnte man schon sehen, wie die Kollegen zusammenarbeiten werden.
Beschreiben Sie doch kurz das Gesamtkonzept des Campus.
Das Gebäude hat von oben eine Wabenform, von allen Seiten kommt Licht herein. An den jeweiligen Außenflächen befinden sich die Arbeitsplätze und in den Innenbereichen verschiedene funktionale Räume, bspw. agile Flächen für Projekte und Teambesprechungen oder Rückzugsräume für vertrauliche Gespräche und konzentriertes Arbeiten. Das Bürokonzept sieht so aus, dass der Mitarbeiter jeden Tag selbst anhand der anstehenden Tätigkeiten wählt, wo er konkret arbeitet. Das Raumangebot ist entsprechend groß und es gibt keinen eigenen, festen Arbeitsplatz mehr. Das war der größte Change für die Beschäftigten und bewusst so gewollt.
Wie kam dieses sog. Desk-Sharing bei den Kollegen an?
Erst einmal nicht überall gut – viele waren skeptisch. Wir haben ein halbes Jahr vor dem Umzug angefangen, Mitarbeiter und Führungskräfte mit Change-Workshops auf das neue Konzept vorzubereiten. Die Teams können jetzt autark Regelungen treffen. Das haben wir im Rahmen neuer Betriebsvereinbarungen sichergestellt. Dort finden sich großzügige Spielräume für die verschiedenen Einheiten. Das finde ich besonders wichtig, es stärkt die Autonomie. Einzig die Tatsache, dass es keinen Anspruch mehr auf den eigenen Arbeitsplatz gibt, haben wir von oben vorgegeben. Dennoch kann es natürlich vorkommen, dass Kollegen längere Zeit auf ein und demselben Platz sitzen – aber eben ohne jeden Anspruch, diesen behalten zu dürfen. Am Abend werden die Schreibtische grundsätzlich freigeräumt und Tastatur, Maus und Headset kommen in ein persönliches Schließfach, damit alles sicher aufbewahrt ist. Seitdem wir die neuen Büros bezogen haben, ist die Skepsis gewichen, die Regelung wurde in der tatsächlich gelebten Praxis gut angenommen. Daneben haben unsere neuen Arbeitswelten jetzt höhenverstellbare Tische, ergonomisch geformte Stühle, eine durchdachte Beleuchtung etc. Das trägt natürlich auch zum Wohlbefinden und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit bei.
Welche Maßnahmen wurden noch ergriffen?
Mit dem Umzug haben wir die mobile Tätigkeit eingeführt. An maximal zwei Tagen in der Woche kann von zu Hause aus gearbeitet werden – das gilt auch für die Führungskraft. So findet der überwiegende Teil der Tätigkeit noch immer im Büro statt, trotzdem sind aber Berufliches und Privates besser kombinierbar. Das wurde sehr gut angenommen, wir haben inzwischen eine Teilnahmequote von über 80 %. Unser Standort ist der erste in Deutschland, der das flächendeckend eingeführt hat.
Gibt es schon Feedback zur mobilen Tätigkeit?
Wir haben eine erste Evaluation mit ca. 500 Mitarbeitern gestartet und die Rückmeldungen sind sehr positiv. Niemand will in die alte Welt zurück. Das neue System sorgt vor allem für größere Eigenständigkeit – man ist mehr gefordert. Es wird ergebnisorientierter gearbeitet.
Wichtig war natürlich, vorher klarzumachen, welche Regeln extern gelten – nämlich die gleichen wie im Büro, was etwa Pausenzeiten, Datenschutz, Erreichbarkeit, Produktivität usw. angeht. Negativ gesehen wird, dass die Kommunikation leidet und der Austausch innerhalb des Teams schwieriger wird. Dem wirken wir entgegen, indem in den Gruppen Präsenztage festgelegt werden. Das alles ist ein Lernprozess, den wir mit Feedbackschleifen und Change-Beratern begleiten.
Wurde ein Wording für die Maßnahmen eingeführt und wann war der Start?
Das Konzept nennen wir Neues Arbeiten bzw. Neue Arbeitswelten und der Startschuss fiel mit dem Umzug. Wesentliche Elemente sind das mobile Arbeiten, aber eben auch das moderne Raumkonzept inklusive der beschriebenen Flächenoptimierung durch Desk-Sharing.
Ist der Berliner Standort Vorreiter im Konzern?
Ja. Viele andere Standorte schauen schon, was und vor allem wie wir das hier machen. Insofern sind wir ein kleines Versuchslabor, denn wir haben Erfahrungen gesammelt, von denen andere profitieren können.
Haben Sie sich externe Hilfe bei der Ausarbeitung und Umsetzung der neuen Arbeit gesucht?
Ja, es gab in München ein zentrales Projekt, das sich damit beschäftigt hat und dort gab es externe Beratung. In den dortigen Projektteams waren wir als Standort immer mit eingebunden. So haben wir bspw. mit dem Fraunhofer Institut zusammengearbeitet, als es um die Gestaltung der Akustikelemente ging. Die eigentliche Ausgestaltung der Prozesse vor Ort haben wir unter Einbeziehung der Mitarbeiter, des Betriebsrats, der Betriebsärzte und Führungskräfte aus den jeweils betroffenen Abteilungen sowie der Personalabteilung umgesetzt. Der Austausch ist enorm wichtig.
Welche Benefits werden am neuen Standort noch geboten und zahlt das auf die Employer Brand ein?
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Ich denke, dass sich die Menschen hier wohlfühlen und das auch nach außen tragen. Wir haben einen sehr guten Caterer, der für das leibliche Wohl sorgt. Dann haben wir eine Barista-Bar und überall im Haus verteilt Teeküchen. Die ungesunden Sachen finden sich in Automaten und müssen bezahlt werden. Der obligatorische Kickertisch ist natürlich auch da. Es gibt Ladestationen für E-Bikes und Elektroautos, einen Sport- und einen Fitnessraum sowie Duschen und Massagestühle. Wir haben also auch ein großes Angebot ringsherum.
Wirkt sich das bereits jetzt auf das Recruiting aus?
Das kann noch nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden. Wir stellen aber bei den Recruiting-Maßnahmen den neuen Campus in den Mittelpunkt. Aber auch wir merken, dass es insgesamt immer schwieriger wird, Fachkräfte zu finden – gerade in Berlin und ganz speziell hier am Wissenschaftsstandort Adlershof. Denn es handelt sich um einen sehr attraktiven Standort mit viel mehr Konkurrenz als noch vor ein paar Jahren. Die Region wächst unaufhörlich.
Wie spricht man speziell junge Leute an und macht sie auf das Unternehmen aufmerksam?
Das funktioniert nur über die Beschreibung bzw. Bewerbung der konkreten Tätigkeit. Klar ist der Standort mittlerweile attraktiv. Wir müssen damit werben, welche Vorteile es hier gibt (mobile Tätigkeit, betriebliche Krankenversicherung etc.). Die klassischen Benefits spielen eine große Rolle – da sind wir stark, aber auch bei der Zusammenarbeit im Team.
Was halten Sie von der Idee, das Haus zu öffnen und zumindest Teilbereiche als Coworking Space zu vermieten? So könnte man Synergien schaffen und vielleicht von anderen Ideen profitieren.
Ich halte das für eine sehr spannende Idee, dennoch spielen solche Überlegungen derzeit keine Rolle. Von Vorteil ist immer ein großes Netzwerk, da sind wir vor Ort bereits aktiv und bauen etwa eine Kooperation mit einem Start-up auf. Das entsteht aufgrund der Nähe hier am Standort.
Geben Sie unseren Lesern noch ein paar Tipps mit auf den Weg, wenn sie sich mit ihrer Organisation in einem ähnlichen Change-Prozess befinden; worauf sollte man besonders achten?
Als Erstes sollte man selbst den Change unbedingt ernst nehmen! Man muss die Mannschaft mitnehmen und lange vorher eine Identifikation mit dem Projekt schaffen. Als nächstes ist es wichtig, die betroffenen Kollegen nicht nur zu informieren, sondern direkt mit einzubinden und zu beteiligen. Lassen Sie die Mitarbeiter in den zukünftigen Zustand reinschnuppern. Bei uns war das natürlich leicht, wir hatten ja die Baustelle, die man besichtigen konnte. Leben Sie den Change als Führungskraft vor, Ihre Mitarbeiter orientieren sich am Führungsverhalten und trauen sich ganz andere Dinge, wenn sie es entsprechend vorgelebt bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Andreas Krabel.
Tobias Haasen


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