Nichteinladung zum Bewerbungsgespräch: Benachteiligung wegen Behinderung oder des Alters
Ein an den TVöD gebundenes Unternehmen schrieb die Stelle als „Sachbearbeiter/in für die Verwaltung“ aus, die nach der Entgeltgruppe 6 TVöD mit 2.683,45 Euro brutto vergütet werden sollte. Es wurde eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung, mehrjährige Berufserfahrung, ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, strukturierte und eigenständige Arbeitsweise sowie Freude im Umgang mit Menschen gefordert. Bewerbungen von Schwerbehinderten sollten bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt werden. Auf die Stelle bewarb sich ein schwerbehinderter Mann, der die Regelaltersgrenze überschritten hatte. Im Bewerbungsschreiben verwies er auf seine kaufmännische Ausbildung und eine langjährige Tätigkeit als Bürokraft und in der Verwaltung sowie auf seine Schwerbehinderung.
Auf die Stelle bewarben sich 24 Personen, von denen nur der Kläger die Regelaltersgrenze überschritten hatte. Ohne den Kläger zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen, schloss das Unternehmen einen Vertrag mit einer 1976 geborenen Bewerberin. Der Rentner klagte daraufhin eine Entschädigung ein und behauptete einen Verstoß gegen die Pflicht, ihn als Schwerbehinderten zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Außerdem sei die Berufung des Unternehmens, dass er aufgrund des Erreichens der Regelaltersgrenze ungeeignet sei, ein zusätzliches Indiz für eine Altersdiskriminierung.
Die Klage wurde wie schon in der ersten Instanz vom LAG Hamm abgewiesen (Urt. v. 6.8.2024 – 6 SLa 257/24).
Das Gericht prüfte, ob die Beklagte gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG verstoßen hatte. Es stellte im Ergebnis fest, dass keine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters vorlag. Gem. § 10 Satz 1 und 2 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Mittel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Legitime Ziele sind in unionsrechtskonformer Auslegung Ziele insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, die als „sozialpolitische Ziele“ im Allgemeininteresse stehen. Dadurch unterscheiden sie sich von Zielen, die im Eigeninteresse des Arbeitgebers liegen, wie Kostenreduzierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Beklagte berief sich zur Rechtfertigung der Nichteinladung des Klägers zum Bewerbungsgespräch auf die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur von jüngeren und älteren Beschäftigten, um den Zugang jüngerer Personen zur Beschäftigung zu fördern. Bei ihr sind unbestritten von 47 Mitarbeitern nur fünf Mitarbeiter unter 40 Jahren, 19 Mitarbeiter unter 50 Jahren, 12 Mitarbeiter sind bereits älter als 60 Jahre. Danach besteht bei der Beklagten tatsächlich ein Bedarf, als Teil der Generationengerechtigkeit vermehrt jüngere Mitarbeiter einzustellen. Auch der TVöD sieht vor, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze automatisch endet. Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung über die Rentenaltersgrenze hinaus ist im TVöD nicht verankert. § 33 Abs. 5 TVöD eröffnet lediglich die Möglichkeit einer vorübergehenden Weiterbeschäftigung bei besonderem Bedarf, wenn hinreichend qualifizierte jüngere Bewerber fehlen.
Die Ablehnung des Klägers erwies sich auch im Einzelfall als angemessen und erforderlich. Nach der Konzeption der Altersgrenzenregelung soll der jüngere qualifizierte Bewerber die Möglichkeit der beruflichen Entwicklung erhalten. Ist ein solcher Bewerber nicht vorhanden, widerspricht die Ablehnung des älteren Bewerbers dem Ziel der Herstellung der Generationengerechtigkeit. Hier waren jedoch hinreichende Bewerbungen von qualifizierten jüngeren Kandidaten vorhanden.
Das Gericht sah auch keine unzulässige Benachteiligung wegen einer Behinderung infolge der Nichteinladung zum Bewerbungsgespräch. Nachdem die Beklagte den Kläger wegen Überschreitens der Regelaltersgrenze und des Vorhandenseins jüngerer qualifizierter Bewerber nicht eingeladen hatte, würde sich eine Einladung zum Vorstellungsgespräch als bloße Förmelei darstellen. Das Gericht ließ die Revision zum BAG zu. Die Frage, ob ein an den TVöD gebundener Arbeitgeber die Neueinstellung eines Bewerbers, der die Regelaltersgrenze überschritten hat, ablehnen kann, falls ein jüngerer qualifizierter Bewerber zur Verfügung steht, hat grundsätzliche Bedeutung und ist vom BAG bislang nicht entschieden.
Dr. Claudia Rid

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