Nicht wenige Arbeitgeber sind geneigt, unliebsame Mitarbeiter durch die Erteilung extrem wohlwollender Zwischenzeugnisse „wegzuloben“. Dies kann zu unliebsamen Konsequenzen führen, wie eine durchaus kritikwürdige Entscheidung des LAG Hamm vor Augen führt (Urt. v. 3.5.2022 – 14 Sa 1350/21).
Ein Produktionsmitarbeiter hatte gegen seine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung geklagt, die er am 11.2.2021 erhalten hatte. Einen Tag zuvor, am 10.2.2021, war es zwischen ihm und dem Geschäftsführer zu Auseinandersetzungen über die konkrete Aufzeichnung von Arbeitszeiten und die Erteilung eines Zwischenzeugnisses gekommen. Nach Vortrag des Arbeitgebers hatte der Mitarbeiter den Geschäftsführer übel beschimpft und sich aggressiv verhalten, dies in Gegenwart von Arbeitskollegen. Dennoch erteilte dieser ihm ein Zwischenzeugnis mit der Aussage, damit könne er sich ja bewerben. Es enthielt die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“, „immer einwandfreies Verhalten“. Im Vorfeld der Kündigung hatte der Arbeitgeber mehrere Abmahnungen wegen unterschiedlicher Arbeitspflichtverstöße ausgesprochen.
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Das LAG Hamm hielt die Kündigung für unwirksam und zwar unabhängig davon, ob die verhaltensbedingten Gründe tatsächlich vorlagen oder nicht. Allein aufgrund des erteilten Zwischenzeugnisses habe sich der Arbeitgeber nicht auf etwaige Pflichtverletzungen berufen dürfen. Hierin läge ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, der zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung führe. Es ist zwar unbestritten, dass die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung in einem Zwischenzeugnis den Arbeitgeber bindet, wenn es darum geht, ein Endzeugnis zu erteilen und sich keine wesentlichen Änderungen in Leistung und Verhalten des Mitarbeiters ergeben haben. Dass dies auch gilt, wenn der Arbeitgeber im Nachgang zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses eine Kündigung ausspricht, ist aber neu. Von einem immer einwandfreien Verhalten konnte angesichts des von der Arbeitgeberseite vorgetragenen massiven Fehlverhaltens nicht die Rede sein. Entsprechendes gilt für die Leistungsbeurteilung. Das Zeugnis war danach schlicht falsch. Nach Auffassung des Gerichts hatte sich der Arbeitgeber jedoch gegenüber dem Kläger dahin gebunden, dass die ggf. eine schlechtere Leistungs- und Verhaltensbeurteilung rechtfertigenden Vorgänge nicht mehr zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass es sich bei dem Zeugnis um eine „schriftliche Lüge“ gehandelt habe. Schwierigkeiten im Umgang mit dem Verhalten eines Arbeitnehmers seien keine Rechtfertigung dafür, Dritte, an die sich das Zeugnis auch richtet, potenziell durch unwahre Angaben über einen Arbeitnehmer zu schädigen. Es sei nicht schützenswert, dass die Beklagte es trotz des Risikos einer Haftung in Kauf nahm, unbeteiligte Dritte über Leistung und Verhalten des Klägers zu täuschen. Zeugnisse seien nicht dazu da, durch ihre gefällige Formulierung Schwierigkeiten des Arbeitgebers in der Personalführung beim Umgang mit verhaltensauffälligen Arbeitnehmern zu bewältigen. Das Gericht hielt es nicht gerechtfertigt, die Bindung an die Zeugnisbeurteilung auf den Bereich des Zeugnisrechts zu beschränken. Vielmehr müsse sich die Beklagte daran festhalten lassen, sodass sich die Kündigung als rechtsmissbräuchlich erwies.
Das Gericht ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Es ist höchst richterlich bislang nicht entschieden, ob die Erteilung von Gefälligkeitszeugnissen geeignet ist, die Berufung auf Kündigungsgründe auszuschließen.
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