Personenbedingte Kündigung wegen Haftstrafe

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Als Kündigungsgrund in der Person eines Arbeitnehmers kommen Umstände in Betracht, die auf einer „Störquelle“ beruhen, die in seinen persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften liegen. Dazu zählt auch eine Arbeitsverhinderung wegen einer Strafhaft. Da aber der Arbeitgeber bei haftbedingter Arbeitsunfähigkeit typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit ist, hängt es von der Dauer der Haft sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Kündigungsgrund abzugeben. Ist eine Haftentlassung nicht vor Ablauf von zwei Jahren sicher zu erwarten, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung der Stelle zu verzichten. Unter Anwendung dieser vom BAG entwickelten Grundsätze (Urt. v. 24.3.2011 – 2 AZR 790/99 sowie v. 23.5.2013 – 2 AZR 120/12, AuA 12/14, S. 729) hielt das LAG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 5.4.2017 – 4 Sa 310/16) eine ordentliche Kündigung in folgendem Fall für unwirksam.

Der über 50-jährige Kläger war seit über 34 Jahren bei dem Unternehmen als Staplerfahrer beschäftigt. Am 23.5.2015 attackierte er in einer Bar mit einem Messer eine Person und verletzte diese lebensbedrohlich. Ab dem 24.5.2015 befand er sich zunächst in Untersuchungshaft. Mit Urteil vom 18.1.2016 wurde er wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Zugleich wurde er jedoch aus der Haft entlassen und trat die Freiheitsstrafe erst am 30.9.2016 an. Er bot ab dem 19.1.2016 seine Arbeitsleistung an. Der Arbeitgeber stellte ihn daraufhin von der Arbeit frei und sprach eine ordentliche Kündigung zum 30.9.2016 aus. Der Kläger machte geltend, dass unter Anwendung der „2/3-Regelung“ und der Anrechnung seiner Untersuchungshaft von insgesamt 240 Tagen nur noch eine zu verbüßende restliche Haftstrafe von 12 Monaten verbleibe. Es sei dem Unternehmen daher zumutbar, diese Fehlzeit durch Ersatzeinstellung zu überbrücken. Das LAG gab dem Kläger Recht. Selbst wenn das Unternehmen nicht sicher davon ausgehen konnte, dass nach Verbüßung von 2/3 der verhängten Strafe die Vollstreckung des Strafrestes gem. § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird, hatte der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung bereits eine auf die Freiheitsstrafe anzurechnende Untersuchungshaft verbüßt. Es verblieben mithin nur noch rund 22 Monate. Da das Unternehmen für bis zu zwei Jahre sachgrundlos eine befristete Vertretung einstellen kann, war ihm zuzumuten, die Zeit auf diese Weise zu überbrücken. Auch die Interessenabwägung ergab, dass das Bestandsinteresse am Arbeitsverhältnis überwog.

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Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
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· Artikel im Heft ·

Personenbedingte Kündigung wegen Haftstrafe
Seite 178
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