Die Viertagewoche polarisiert. Während die einen sie als Produktivitätsbooster feiern, sehen die anderen vor allem eine Kostenfalle. Wir betrachten einmal, wo zwischen Trend und Realität sich dieses Arbeitszeitmodell bewegt. Starten wir zunächst mit dem Realitätscheck: Ist die Viertagewoche mehr als ein Marketing-Gag?
Franzmann: Auch wenn tagesaktuell die Zeiten auf Beschäftigungsabbau stehen und Arbeitslosigkeit vermehrt zum Thema wird, dürfen wir nicht die Augen vor dem demografischen Wandel mit dem Verlust von Millionen versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen verschließen. Also: Alle Modelle, die die Arbeitserbringung attraktiv machen, müssen auf den Tisch. Ob in jeder Branche und auf jeder Hierarchieebene, wird sich dann zeigen. Denkverbote jedenfalls sollten wir uns nicht auferlegen.
Lelley: Ich sehe es so: Die Viertagewoche ist zweifellos ein mediales Trendthema, das vor allem von Unternehmen genutzt wird, um sich als moderne Arbeitgeber zu positionieren. Doch die betriebliche Realität zeigt: Die Umsetzung ist komplex und längst nicht für alle Branchen und Unternehmen geeignet. Gerade in produzierenden oder kundenorientierten Bereichen kann eine Reduzierung der Wochenarbeitstage schwer realisierbar sein.
Befürworter argumentieren, dass Mitarbeiter in vier Tagen genauso viel leisten wie in fünf – Kritiker befürchten Produktivitätseinbußen. Was stimmt?
Franzmann: Die Arbeit sollte so ausgestaltet sein, dass ein Nebeneinander von Kindererziehung und Beruf sowie ein Arbeiten bis zum Renteneintrittsalter möglich ist. Wenn hierbei alternative Arbeitszeitmodelle helfen: Nur zu! Es wäre mir zu schablonenhaft, einfach nur den klassischen Achtstundentag fünfmal die Woche mit dem Zehnstundentag an vier Tagen die Woche zu vergleichen. Weder das eine noch das andere bilden zunehmend die Wirklichkeit ab. Gebrochene Lebens- und Arbeitsläufe gehen einher mit Flexibilität bei der Dauer der Wochenarbeitszeit und ihrer Lage. Und Produktivität hängt nicht zuletzt auch von intrinsischer Motivation und Begeisterung für das, was ich tue, ab.
Lelley: Der Wunsch, dass Arbeitnehmer in vier Tagen dasselbe leisten wie in fünf, ist stark branchenabhängig. Studien zeigen, dass eine gesteigerte Effizienz möglich ist, insbesondere bei Tätigkeiten mit hoher Eigenverantwortung und wenig Fremdbestimmung. In anderen Bereichen, etwa in der Produktion oder in der Kundenbetreuung, sind Produktivitätseinbußen wahrscheinlicher. Ein Aspekt wird von den Fans der Viertagewoche eigenartigerweise fast gar nicht thematisiert: Es fragt sich doch, ob eine Verdichtung der Arbeitszeit auf vier Tage mit einer höheren Belastung der Belegschaft einhergeht, oder?
Wirkt das aktuelle deutsche Arbeitsrecht als ein Bremsklotz für moderne Arbeitszeitmodelle und welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es?
Franzmann: Die Viertagewoche wird nicht selten mit einer Arbeitszeitreduzierung in einen Topf geworfen. Hält man sich vor Augen, dass sie sich erstmal nur zur Lage der Arbeitszeit verhält, sind gesetzliche Beschränkungen kaum vorhanden. Einzig § 5 Abs. 1 ArbZG postuliert die Ruhezeit von elf Stunden von einem auf den anderen Tag. Ansonsten sind die Arbeitsvertragsparteien frei in der Gestaltung mit der Maßgabe, dass in Betrieben mit Betriebsrat die Lage der Arbeitszeit der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unterfällt.
Lelley: Das deutsche Arbeitszeitrecht wurde für eine klassische Sechstagewoche konzipiert und setzt klare Grenzen. So darf die tägliche Höchstarbeitszeit grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten. Eine Viertagewoche mit einer 40-Stunden-Woche wäre also arbeitsrechtlich problematisch. Eine Reform des Arbeitszeitgesetzes könnte hier mehr Flexibilität schaffen, doch bislang sind keine konkreten Änderungen in Sicht.
Sehen Sie tragfähige Lösungen, um wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden – z. B. im Rahmen tariflicher oder betrieblicher Regelungen?
Franzmann: Was die Lage der Arbeitszeit anbelangt – und nur hierüber verhält sich die Viertagewoche – sehe ich tarifvertragliche Regelungen für die Fläche nicht. Dafür ist selbst ein Branchentarifvertrag zu weit von betrieblichen Begebenheiten entfernt. Passgenaue Lösungen für Arbeitszeitmodelle sollten den Betriebspartnern, also Arbeitgeber und Betriebsrat überlassen werden. Sie wissen um die Eigenarten und Notwendigkeiten ihres jeweiligen Betriebes und vereinbaren von der Vertrauensarbeitszeit, in der die Arbeitnehmer selbstbestimmt über ihre Zeiten verfügen bis zu fest vereinbarten Dienst- und Schichtplänen alles, was vor Ort benötigt wird.
Lelley: Seien wir ehrlich: Die Kostenfrage ist für Arbeitgeber entscheidend. Die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich bedeutet eine faktische Lohnerhöhung – ohne Mehrwert für das Unternehmen, wenn die Produktivität nicht entsprechend steigt. Eine Alternative sind tarifliche oder betriebliche Regelungen, die eine reduzierte Arbeitszeit mit anteiliger Vergütungsanpassung vorsehen. Auch Modelle mit flexiblen Arbeitszeiten, die an den tatsächlichen Bedarf des Unternehmens angepasst werden, können wirtschaftlich tragfähiger sein. Nicht umsonst höre ich immer wieder, wie Unternehmen prüfen, ob sich Einsparungen durch reduzierte Betriebskosten (z. B. Energie, Büronutzung) erzielen lassen, um die finanzielle Belastung auszugleichen.
Ein vermeintlicher Vorteil der Viertagewoche soll deren Attraktivität für Arbeitnehmer sein. Aber überwiegen nicht andere Aspekte wie Vergütung oder – gerade heute – Jobsicherheit?
Franzmann: Das eine schließt das andere nicht aus. Ich will nicht darüber spekulieren, welche Faktoren am Ende des Tages für Einzelne ausschlaggebend sind. Ich glaube indes, wir sollten nichts unversucht lassen, um die Attraktivität der Arbeit hochzuhalten. Sie wird schon über Steuern und Abgaben mehr als andere Einkommensquellen belastet. Von daher wünsche ich mir eine unvoreingenommene und rein an der Sache orientierte Diskussion: Dort, wo möglich, sollte den persönlichen Wünschen der Arbeitnehmer Rechnung getragen werden.
Lelley: Zweifellos kann die Viertagewoche ein attraktiver Faktor für Fachkräfte sein. Gerade für junge Talente oder Beschäftigte mit familiären Verpflichtungen ist eine reduzierte Arbeitszeit ein starkes Argument. Allerdings spielen weiterhin klassische Faktoren wie Gehalt, Entwicklungsperspektiven und Jobsicherheit eine zentrale Rolle. Unternehmen müssen daher abwägen, ob die Einführung der Viertagewoche langfristig zur Mitarbeiterbindung beiträgt. Ich wäre da eher vorsichtig.
Zuletzt ein Blick in die Kristallkugel: Setzt sich die Viertagewoche durch?
Franzmann: Sie, die Viertagewoche, kommt mir im öffentlichen Diskurs zu schlecht weg: Wir sind wirtschaftlich ohnehin hintendran, Work-Life-Balance als die Erlaubnis zur Faulheit und wir haben auch die Ärmel hochgekrempelt. Verzieht sich indes dieser Pulverdampf, bleibt festzuhalten, dass in Deutschland noch nie so viel gearbeitet wurde wie heute; nahezu 55 Milliarden Stunden weist das DIW für das Kalenderjahr 2023 aus. Und wenn die Arbeitnehmer Kinderbetreuung besser hinbekommen, wenn sie sich nachhaltiger ausruhen können und motiviert und fit zur Arbeit kommen, sollten die Vorteile für uns alle auf der Hand liegen.
Lelley: Ob sich die Viertagewoche breitflächig durchsetzt, hängt von mehreren Faktoren ab: der wirtschaftlichen Entwicklung, dem Fachkräftemangel und möglichen arbeitsrechtlichen Anpassungen. Während einige Unternehmen und Branchen das Modell erfolgreich implementieren, wird es für viele Betriebe schwer umsetzbar bleiben. Viel wahrscheinlicher als eine generelle Umstellung ist eine zunehmende Differenzierung der Arbeitszeitmodelle, bei der Unternehmen flexiblere Lösungen anbieten, die sich an den individuellen Bedürfnissen ihrer Belegschaft und den betrieblichen Erfordernissen orientieren. Wir haben es hier aus meiner Sicht nicht mit einer Patentlösung zu tun.
Dr. Jan Tibor Lelley

Armin Franzmann

Attachment | Size |
---|---|
Beitrag als PDF herunterladen | 170.54 KB |
· Artikel im Heft ·
Liebe Frau Dransfeld-Haase, was macht eine gute Employer Brand heutzutage aus?
Aushängeschild oder notwendiges Übel? Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist zumindest in Bezug
Arbeiten die Beschäftigten in Deutschland zu viel und zu hart? Die aktuellen Diskussionen um „Null-Bock-Tage“, die Viertagewoche und mehr
das Thema New Work ist vielschichtig und spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie omnipräsent (einige würden sagen, zu präsent). Dabei
Die Diskussion ist nicht neu: Arbeitnehmerinteressen zielen vor allem auf Sicherheit, Unternehmen
Digitale Transformation
Was vor Jahren noch undenkbar erschien, ist Realität geworden: Homeoffice ist in den Unternehmen angekommen