Ein Fahrer für Geldtransporte war seit Januar 1998 beschäftigt und bezog zuletzt ein Monatsgehalt von rund 4.500 Euro. Im Sommer 2016 wurde ein sog. „Tunnelblick“ diagnostiziert, wodurch das Gesichtsfeld eingeengt ist und Nachtblindheit auftritt. Das Unternehmen setzte den Fahrer daher ab April 2017 als Empfangsmitarbeiter am Haupteingang der Verwaltungszentrale ein. Obwohl dort in Schichten gearbeitet wird, wurde ihm zugesagt, lediglich in der Zeit zwischen 7 Uhr und 15:30 Uhr arbeiten zu müssen. Er arbeitete seither zu seinem bisherigen Gehalt am Empfang mit Frau F. und Herrn S. zusammen. Am 17.8.2021 war er gemeinsam mit Frau F. am Empfang eingesetzt. Gegen 13:50 Uhr nahm Frau F. einen Anruf von Herrn S. entgegen. Dieser teilte mit, dass er im Stau stehe und deshalb 10 bis 15 Minuten später komme. Frau F. informierte ihren Kollegen entsprechend und sagte ihm, dass sie pünktlich gehen müsse, da sie ihr Kind abholen müsse. Kurz nach 14 Uhr traf Herr S. am Arbeitsplatz ein. Bei dem Gespräch zwischen den beiden war zeitweise ein weiterer Kurierfahrer, Herr B., anwesend, der Zeuge des Gesprächsverlaufs war. Im Rahmen einer durchgeführten Beweisaufnahme stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger gegenüber der Zeugin F. in Bezug auf den Zeugen S. gesagt habe: „Ich hasse die scheiß Ausländer.“ Als Herr S. einige Minuten später am Arbeitsplatz eingetroffen war, hatte er ihn mit den Worten „Wo bist du Arschloch? Wieso kommst du zu spät?“ begrüßt. Das Unternehmen kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos.
Die Einlassungen des Klägers, er habe nicht Herrn S. Arschloch genannt, sondern ihm lediglich die Bedeutung des Begriffs „Streit“ erklärt, mit dem Satz „Wenn ich dich jetzt Arschloch nennen würde, dann streiten wir uns.“, hielt das LAG Hamburg in seinem Urteil vom (17.1.2022 – 1Sa40/22, rk.) nicht für glaubhaft. Es sah in den Aussagen des Klägers vielmehr eine grobe Beleidigung eines Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeutet. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt
- zum einen weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen
- noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen.
Die strafrechtliche Beurteilung ist kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend. Trotz der 23-jährigen Betriebszugehörigkeit hielt das Gericht eine Abmahnung für entbehrlich. Es sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der siebenmonatigen Kündigungsfrist fortzusetzen. Erschwerend bewertete das Gericht, dass die Beleidigungen in Gegenwart einer dritten Person, des Zeugen B., erfolgten.
#ArbeitsRechtKurios: Amüsante Fälle aus der Rechtsprechung deutscher Gerichte - in Zusammenarbeit mit dem renommierten Karikaturisten Thomas Plaßmann (Frankfurter Rundschau, NRZ, Berliner Zeitung, Spiegel Online, AuA).
Dr. Claudia Rid

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Ausgangslage
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