Recruiting und Personalauswahl

Unter Beachtung von DSGVO und BDSG
Datenschutz ist naturgemäß ein Thema für die Personalabteilung. Schließlich arbeitet man dort mit nichts anderem als personenbezogenen Daten. Dennoch sahen lange recht wenige HR-Abteilungen eine primäre Zuständigkeit für dieses Thema, auch im Hinblick auf Recruiting- und Personalauswahlverfahren.
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 Bild: dervish15/stock.adobe.com
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1 Ignorierte Unsicherheit

Es hieß häufig, der Datenschutz liege in den Händen der Compliance-Abteilung. Dass sich diese zumeist mit den Spezifika der Datenverarbeitung im Bereich Personal nicht auskennen (können) wurde sanft ignoriert. Dazu verstehen zu viele Arbeitsrechtler unter Personalauswahlverfahren immer noch ausschließlich das Lesen von Bewerbungsunterlagen nebst Interview. Die Folge? Vielmehr als dass Fristen zur Aufbewahrung von Bewerber- wie auch Personalakten existieren, war nicht bekannt. Und selbst hier herrschte große Unsicherheit darüber, wie lang diese tatsächlich sind. Drei Monate für Bewerber? Oder doch sechs? Daneben tauchten zwar weitere Fragen auf, jedoch wandte man sich diesen Themen nicht zu tief zu, das Tagesgeschäft rief schließlich.

Diese fürsorglich ignorierte Unsicherheit schlug mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die am 25.5.2018 Geltung erlangte, vielerorts in Panik um – auch aufgrund der Sanktionsmöglichkeiten von bis zu 20 Millionen Euro bzw. bis zu 4 % des weltweiten Jahresumsatzes sowie der Schadensersatzansprüche von Betroffenen.

Die Panik flüsterte, man brauche für alles Rechtsgrundlagen und vor allem Einwilligungen, denn mit Einwilligungen sei wirklich immer alles sicher. Vor allem, wenn eine Einwilligung vom Bewerber zur Datenverarbeitung oder zum Einsatz von Online-Assessments vorliege. Der erleichterte Ausruf vieler Orten: „Ach, wie toll, das Bewerbermanagement-System bietet die Einwilligungsabfrage direkt an!“

Die Wahrheit ist: Mit der DSGVO und dem angepassten BDSG hat sich die Rechtslage im Hinblick auf Recruiting- und Personalauswahlverfahren nur verhältnismäßig wenig geändert. Um der dennoch aufkeimenden Panik entgegenzutreten, werfen wir nun einen unaufgeregten Blick auf die Verfahren unter DSGVO und BDSG.

2 Die Bewerbung

Am Anfang jeder Einstellung steht entweder die klassische Bewerbung oder – o tempora, o mores! – die Suche nach geeigneten Kandidaten, die Identifikation und Ansprache derer (sog. Sourcing.)

Haben Sie vor der DSGVO schon einmal eine Einwilligung zur Verarbeitung von Bewerbungsdaten eingeholt? Nein? Dann stellt sich die Frage, warum Sie es jetzt tun. Richtig, man sieht nun zwar ständig Opt-In-Kästchen mit einem Satz wie „Hiermit stimme ich der Datenschutzerklärung sowie der Verarbeitung meiner Daten zu.“, doch der Laie staunt und der Fachmann wundert sich. Denn die DSGVO verlangt dies nicht. Sowohl nach § 32 BDSG a. F. als auch nach § 26 BDSG (einschlägig via Art. 6 Abs. 1 lit. b), 88 DSGVO) dürfen „personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses (...) erforderlich ist.“ Bewerber fallen gem. § 26 Abs. 8 Satz 2 unter den Beschäftigtenbegriff. Somit existiert natürlich auch unter der DSGVO eine Rechtsgrundlage zur Verarbeitung von Bewerberdaten. Es bedarf keiner Einwilligung. Sie müssen auch keine Einwilligung oder „Zustimmung“ zu Ihrer Datenschutzerklärung einholen. Sie müssen den Interessenten nur nach Art. 12, 13 DSGVO über die Datenverarbeitung informieren.

3 Das Sourcing

Beim Sourcing und der Suche sowie der Anlage der ersten Vorauswahllisten hilft uns § 26 BDSG nicht weiter. Ein Kandidat ist kein Bewerber. Jedoch bietet die DSGVO selbst eine Rechtsgrundlage aufgrund derer Sie Kandidaten insbesondere in sozialen Netzwerken suchen und deren Daten verarbeiten dürfen. Nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) i. V. m. Art. 9 Abs. 2 lit. e) DSGVO ist dies dann möglich, wenn

  • Sie ein berechtigtes Interesse vorweisen können,
  • kein entgegenstehendes, überwiegendes Interesse auf Seiten des Kandidaten besteht und
  • die Daten selbst durch den Kandidaten offensichtlich öffentlich gemacht wurden.

Ergo, solange die Daten, die Sie verarbeiten, vom Kandidaten selbst im Internet – also auch in Foren oder sozialen Netzwerken – öffentlich gemacht und nicht durch gesonderte Privatsphären-Einstellungen geschützt sind, können Sie diese zur Aufstellung von Kandidatenlisten verwenden. Ein berechtigtes Interesse an der Verarbeitung haben Sie in Form des Personalgewinnungsinteresses. Das genügt.

Nun könnte man meinen, dass Sie die Daten sogleich zur Ansprache nutzen dürften. Schließlich ist der Verarbeitungsbegriff der DSGVO weit. Ja, das kann man so sehen. Jedoch stellt uns hier das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) noch ein Bein. Nach § 7 Abs. 2 UWG hängt die Frage der Zulässigkeit einer Ansprache von dem gewählten Kommunikationsmittel ab.

  • Ein Brief ist stets unproblematisch.
  • Ein Telefonanruf kann rechtmäßig sein, wenn und soweit Sie sich als werbendes Unternehmen kurz fassen und sachlich bleiben sowie sich nicht aufdringlich, belästigend oder bedrängend verhalten (u. a. BGH, Urt. v. 22.11.2007 – I ZR 183/04).
  • Problematisch wird es nach derzeitiger Rechtslage jedoch, wenn Sie sich für eine elektronische Direct-Message, also für eine E-Mail, Xing-, Linkedin-, Twitter- oder Facebook-Nachricht entscheiden. Denn solche elektronischen Nachrichten dürfen im Rahmen von werblichen Direktansprachen nicht ohne vorherige Einwilligung verschickt werden (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG).

Das finden Sie sehr merkwürdig? Das kann ich verstehen. Aber so ist nun mal der Gesetzeswortlaut. Sie finden es noch seltsamer, dass das UWG einschlägig ist? Das ist schnell erklärt. Zunächst einmal befinden Sie sich mit anderen Unternehmen im Wettbewerb um Personal. Folglich ist das Wettbewerbsrecht einschlägig (BGH, Urt. v. 4.3.2004 – I ZR 221/01; LG Bonn, Urt. v. 3.1.2013 – 14 0 165/12). Des Weiteren handelt es sich bei der Direktansprache von Kandidaten um die Werbung für einen Arbeitgeber, neudeutsch: Employer Branding (vgl. zum Werbebegriff auch BGH, Urt. v. 9.2.2006 – I ZR 73/02 sowie EU-Richtlinie 2006/114/EG, Art. 2 lit. a).

Sicherlich fragen Sie sich nun, wie Sie dieses Dilemma auflösen können. Die Antwort lautet: Ein Dilemma kann man nicht auflösen. Infolgedessen hier der nicht rechtskonforme Praxistipp: Sprechen Sie die Kandidaten an und holen Sie sich schnellstmöglich die Einwilligung zur Ansprache ein. Das kann charmant sogleich mit den Informationen zur Datenverarbeitung sowie ggf. mit der Option, weitere Einwilligungen zu erteilen (etwa: langfristige Aufnahme in Talentpools), verbunden werden. Einige meiner Mandanten praktizieren dies schon seit etwa 2016 und berichten durchweg von positiven Rückmeldungen der Kandidaten, die diesen vertraulichen Umgang und die gegebenen Wahlmöglichkeit im Hinblick auf die Datenverarbeitung sehr zu schätzen wissen. Andererseits müssen Sie eine (eher unwahrscheinliche) etwaige Abmahnung aufgrund von E-Mail-Spam von Kandidaten schlicht einkalkulieren. Da bei einem durchschnittlichen Streitwert von 4.000 Euro aber nur mit Kosten i. H. v. ca. 750 Euro für die außergerichtliche Erledigung zu rechnen ist, lassen sich hierfür machbare Rückstellungen bilden.

Dringend (!) sollten Sie als Personaler ein weiteres in der Entstehung befindliches Gesetz im Auge behalten: Die sog. ePrivacy Verordnung. Eigentlich als Erweiterung zur DSGVO im Bereich der elektronischen Kommunikation gedacht, enthält der Entwurf mit Art. 16 auch eine wettbewerbsrechtliche Regelung zur Direktansprache. Er fordert – wie § 7 UWG – das Vorliegen einer Einwilligung im Rahmen von Direktansprachen. Soweit nichts Neues. Allerdings ist bei Verstößen der gleiche Bußgeldrahmen wie unter der DSGVO vorgesehen!

4 Die Personal(vor)auswahl- verfahren

Im Rahmen von Recruitingprozessen geht es nicht darum, einen Mitarbeiter zu gewinnen, sondern einen geeigneten, passenden Mitarbeiter. Die negative Personalvorauswahl wie die positive Personalauswahl müssen eignungsdiagnostisch so gestaltet sein, dass sowohl eine frühzeitige falsch-negativ Vorausauswahl möglichst ausgeschlossen als auch eine falsch-positive Auswahl verhindert wird. Der Personaler nickt, ein Großteil der Juristen versteht nicht mehr viel.

Doch die Unkenntnis vieler Arbeitsrechtler und Datenschützer ist die Ursache dafür, dass Personalauswahlverfahren zu oft fälschlicherweise als unzulässig eingestuft werden. Die juristische Verhältnismäßigkeitsprüfung leidet in diesen Fällen an sachlichen Fehlannahmen. Hinzu kommt, dass man statt aktueller Gesetze Tatbestandsnormen vergangener Zeiten prüft.

Der demografische Wandel ist für Personalabteilungen schon lange keine Elfenbeinturmdiskussion mehr, sondern harte Realität. Aufgrund des sich verknappenden Marktes sind Unternehmen gezwungen, einerseits ihre eigene Sichtbarkeit durch Employer-Branding-Maßnahmen zu erhöhen, andererseits aktiv geeignete Kandidaten zu identifizieren und anzusprechen (Sourcing). Auch im (weiteren) Auswahlverfahren ist es unerlässlich, eine gute candidate experience zu ermöglichen, um den Bewerber nicht schon durch die Art des Auswahlverfahrens zu verlieren (instruktiv zu all dem: Staufenbiel Institut/Kienbaum, Recruiting Trends 2017). Dabei ist jedem Auswahlprozess die Gefahr zu eigen, entweder geeignete Kandidaten fälschlicherweise abzulehnen (sog. Falsch-Negativ-Selektion) und/oder nicht geeignete einzustellen (sog. Falsch-Positiv-Selektion). Daher sollten Arbeitgeber Verfahren verwenden, die eine hohe prognostische Sicherheit hinsichtlich der Eignung des Bewerbers aufweisen. Für eine solche müssen die Verfahren über eine hohe (prognostische) Validität verfügen. Letztere gibt den Grad der Genauigkeit an, mit dem ein Test Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensweisen tatsächlich misst oder vorhersagt (vgl. urspr. Lienert/Ratz, Testaufbau und Testanalyse, 1994, S. 1; zitiert in: Schuler/Höft/Hell in Schuler/Kanning, Lehrbuch der Personalpsychologie, S. 1083). Anders ausgedrückt: Die prognostische Validität eines Verfahrens gibt Auskunft darüber, wie gut anhand der genutzten Auswahlmethode die spätere tatsächliche Leistung des Bewerbers vorhergesagt werden kann (vgl. J. Diercks, Recrutainment Blog, Art. v. 5.6.2017).

5 Ein paar Worte zur Eignungs- diagnostik

Falsch-Negativ-Selektionen? Prognostische Validität? Der eine oder andere unter Ihnen wird mit dem Kopf schütteln. Nicht nur ob der Begrifflichkeit, sondern ob eines grundlegenden Unverständnisses. Schließlich meint man, Personalauswahl sei keine Wissenschaft und außerdem erfolge sie zuverlässig anhand von Lebensläufen und Noten, alles andere sei nicht erforderlich.

Zunächst einmal ist die Personalauswahl – bzw. die dieser zugrunde liegende Eignungsdiagnostik – keine Frage des Glaubens oder eine esoterische Pseudowissenschaft, sondern ein Teilbereich der Psychologie und damit eine empirische Wissenschaft, die ihre Nachweise anhand von mathematischen Modellen erarbeitet und nachweist. Damit stellt die Eignungsdiagnostik wissenschaftlich fundiert Prinzipien, Methoden und Messinstrumente für die diagnostischen Aufgaben im Personalwesen, insbesondere für die Personalauswahl, bereit (vgl. Kanning, Standards der Personaldiagnostik, S. 12).

Daneben sei bemerkt, dass die Auswahl nach biografischen Daten und Schulnoten hinsichtlich ihrer prognostischen Validität am schlechtesten von allen Verfahren abschneidet (Schmidt/Oh/Shaffer, The Validity and Utility of Selection Methods in Personnel Psychology: Practical and Theoretical Implications of 100 Years of Research Findings, Working Paper October 2016). Diese Methode ist also die diejenige, auf die sich Personaler am wenigsten verlassen sollten, wenn sie nicht zahlreiche und viel zu frühe Falsch-Negativ-Selektionen in Kauf nehmen wollen.

Damit sind weitere Auswahlverfahren als ein Blick auf den Lebenslauf, die Noten und „den Nasenfaktor“ im persönlichen Gespräch erforderlich. Der Eignungsdiagnostiker würde das so ausdrücken: Die prognostische Sicherheit eines Auswahlverfahrens steigt, wenn man mehrere Verfahren – etwa konstrukt-, simulations- und biografieorientiert – ergänzend anwendet. Es handelt sich um den sog. multimodalen Ansatz (vgl. ausf. Schuler/Höft/Hell, in Schuler/Kanning, Lehrbuch der Personalpsychologie, S. 149.).

6 Rechtsgrundlage zum Einsatz von Personalauswahlverfahren

Zurück zum Rechtlichen: Personenbezogene Daten von Beschäftigten können nach § 26 BDSG (wie bisher unter § 32 BDSG a. F.) verarbeitet werden, wenn dies zur Begründung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist.

Seit 2013 ist dabei durch das BAG (Beschl. v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, AuA 2/05, S. 119) klargestellt, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den hier entscheidenden Prüfungsmaßstab darstellt. Erstaunlicherweise heißt es in der Literatur bis heute, dass Datenverarbeitungen zu Zwecken des Beschäftigungsverhältnisses nur erlaubt seien, wenn diese „für das Arbeitsverhältnis geboten“ seien bzw. „dem Arbeitsverhältnis dienen“. Diese Kriterien finden sich in § 26 BDSG bzw. § 32 BDSGa. F. nicht. Dennoch ist weiter die Rede davon, dass die Erforderlichkeit über eine Nützlichkeit hinausgehen müsse. Zurück geht dieses viel zitierte (Negativ-)“Kriterium der Nützlichkeit“ auf einen Aufsatz von Däubler aus 2001 (NZA 2001, S. 874 ff.).

Allerdings wurde mit der BDSG-Novelle 2009 § 32 BDSG als Spezialregelung des Beschäftigtendatenschutzes eingefügt. Ebenso lange findet sich das Wort „dienen“ nicht mehr im BDSG. Der noch in § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG a. F. in Bezug auf Beschäftigungsverhältnisse verwendete Begriff der „Dienlichkeit“ wurde vom Begriff der „Erforderlichkeit“ abgelöst (so auch Brink/Schmidt, MMR 2010, S. 592). Insofern bleibt schleierhaft, warum dieses Kriterium heute noch zitiert wird und in rechtlichen Abwägungen eine Rolle spielt.

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7 Streitthema „Erforderlichkeit“

Dass weiterhin Betonung findet, eine Datenerhebung müsse mehr als „nützlich“ sein, um „erforderlich“ zu sein, wäre an sich unbeachtlich. Die Betonung auf ein nicht vorhandenes Nützlichkeitskriterium ist aber deswegen nicht zu vernachlässigen, weil diese ganz offensichtlich weiter bestehende Fehlvorstellungen in Bezug auf die Erforderlichkeit von Personalauswahlmaßnahmen bestärkt. So wurde noch 2017 auf den Kölner Tagen zum Datenschutzrecht von einem renommierten Arbeitsrechtler vertreten, dass der Einsatz von Online-Assessments deswegen nicht erforderlich sei, weil ein solcher in der eigenen Kanzlei auch nicht von Nöten sei; folglich sei ein Online-Assessment in Bezug auf die Personalgewinnung nur nützlich, aber nicht erforderlich. Dem ist nicht nur entgegenzuhalten, das „Nützlichkeit“ seit 2009 überhaupt kein Kriterium mehr darstellt. Eine persönliche Bewertung losgelöst von den normativen Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung entspricht zudem nicht einer sachorientierten Prüfung i. S. v. § 26 BDSG. Im Rahmen der Erforderlichkeit ist mit dem BAG vielmehr sachorientiert gemäß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu fragen, ob die Datenverarbeitung einen legitimer Zweck verfolgt, der nicht mit einem gleich geeigneten, aber milderen Mittel erreicht werden kann und ob sie verhältnismäßig im engeren Sinne ist.

Ohne Kenntnisse der Eignungsdiagnostik und der Arbeitsmarktsituation muss eine Bewertung fehlgehen. Denn auch im juristischen Sinne kann die Geeignetheit eines Mittels ohne jegliches Verständnis der Sachmaterie nicht bestimmt werden.

Leider zeigt ein Blick in die Literatur, dass ein nicht unerheblicher Teil der mit der Thematik befassten Kollegen meint, Kenntnisse der Sachmaterie seien für die juristische Bewertung unnötig. So heißt es noch im Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 2017 hinsichtlich allgemeiner Intelligenztests, sie seien nicht erforderlich, weil der Bezug zum Arbeitsplatz fehle. Dabei haben allgemeine Intelligenztests den höchsten Validitätskoeffizienten hinsichtlich der Eignung eines Bewerbers (Schmidt/Oh/Shaffer, a. a. O.). Diese Auffassung ist unter Eignungsdiagnostikern unumstritten (s. dazu ausführlich Schuler/Höft/Hell, a. a. O.).

Wenn schon die Geeignetheit eines Mittels nicht bestimmt werden kann, lässt sich sicher nicht feststellen, ob überhaupt ein anderes gleich geeignetes Mittel existiert. So haben zwar Lebenslaufanalyse, Online-Assessments und Video-Interviews alle den legitimen Zweck der Personalauswahl, doch die Mittel sind schon deswegen nicht gleich geeignet, da es sich um verschiedene Eignungsverfahren mit unterschiedlichen Bewertungsdimensionen (biografisch, simulativ, konstruktiv) handelt. Es geht hier natürlich nicht um die Zulässigkeit einzelner Auswahlmittel, sondern um die hierfür anzulegenden Kriterien. Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit einer Personalauswahlmethode ist ausschließlich die Erforderlichkeit i. S. v. § 26 BDSG und damit die normativen Maßstäbe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Unter diesen Aspekten sollten Ihre Sie Ihre Auswahlmethoden analysieren. Wenn Sie noch auf Grafologie, Schädeldeutung oder die Heilsversprechen von „Profilern“, die Ihnen suggerieren, sie könnten Bewerber anhand von Brillenform und Vornamen analysieren, vertrauen, dann kann ich Ihnen verraten, dass Sie nicht nur eignungsdiagnostisch über den Tisch gezogen werden, sondern damit auch tief in den Bußgeldtatbeständen der DSGVO stehen. Denn erwiesenermaßen eignungsdiagnostisch ungeeignete Mittel können in keinem Fall „erforderlich“ sein (ausführlich zum Vorstehenden mit zahlreichen weiteren Nachweisen: Diercks, DuD 2017, S. 750 ff.).

8 ... aber die Einwilligung!

Möglicherweise hat Ihr Grafologe oder Ihre Profilerin bislang mit passenden Zufallsfunden überzeugt, weswegen Sie an Ihnen festhalten wollen. Wenn Sie für diese Datenverarbeitungen eine Einwilligung einholen möchten, um eine Rechtsgrundlage vorzuhalten, kann ich Ihnen mitteilen, dass auch dies keine Lösung ist.

Eine Einwilligung muss freiwillig i. S. v. § 26 Abs. 2 Satz 2 BDSG abgegeben werden. Dies ist der Fall, „wenn für die beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht wird oder Arbeitgeber und beschäftigte Person gleichgelagerte Interessen verfolgen“. Wenn jedoch ein Verfahren aufgrund mangelnder Validität in eignungsdiagnostischer Hinsicht nicht „erforderlich“ gem. § 26 Abs. 1 BDSG ist, kann aufgrund dieser fehlenden prognostischen Validität aller Wahrscheinlichkeit nach weder ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht, noch können gleichgelagerten Interessen verfolgt werden. Demnach würde es an der Freiwilligkeit i. S. d. § 26 Abs. 2 BDSG mangeln. Und eine etwaig eingeholte Einwilligung des Bewerbers in die Verarbeitung der über diese Verfahren ermittelten Daten wäre unwirksam.

9 Talentpool und Fristen

Für ein Talent-Relationship-Management benötigen Sie natürlich die Daten der Betroffenen. Hier brauchen Sie nun tatsächlich einmal eine Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a), 7 DSGVO, da eine Rechtsgrundlage für die Speicherung von Daten über die Bewerbungsphase hinaus nicht existiert.

Und mögen Sie bzgl. der Fristen auch immer wieder von drei oder sechs Monaten im Hinblick auf die Aufbewahrung von Bewerbungsunterlagen hören, so gibt es diese nicht. Es gibt nur den Grundsatz der zweck- und verhältnismäßigen Datenverarbeitung. Danach darf man Bewerbungsunterlagen acht Monate nach Einstellung des A-Kandidaten aufbewahren. Begründung: Die Probezeit dauert i. d. R. sechs Monate. Sollten sich Unternehmen oder Mitarbeiter binnen dieser Frist gegen eine Fortführung der Beschäftigung entscheiden, so muss es möglich sein, den Bewerbungsprozess nicht von Neuem in Gang setzen müssen, sondern noch auf die B-Kandidaten zurückgreifen zu können. Bezüglich des Sourcings gilt: Die Daten von nicht angesprochenen Kandidaten sollten Sie maximal sechs Monate aufbewahren. Denn länger lässt sich ein berechtigtes Interesse i. S. v. Art 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO auch bei schwierigen Auswahlprozessen nicht begründen. In diesem Zeitraum müsste sich der Kandidat als wenigstens so passend für Sie erwiesen haben, dass Sie ihn ansprechen. Andernfalls sind die Daten zu löschen.

10 Fazit

Auch unter der DSGVO und dem jetzigen BDSG können Sie dem Grunde nach unproblematisch rekrutieren und Personalauswahlverfahren durchführen. Das Einholen von Einwilligungen ist weder für das Bearbeiten von Bewerbungen noch für bestimmte Auswahlverfahren notwendig. In beiden Fällen stellt § 26 BDSG die Rechtsgrundlage, solange das Kriterium der Erforderlichkeit erfüllt ist. Eine Einwilligung müssen Sie nur einholen, wenn Sie Daten längerfristig im Talentpool verarbeiten möchten. Daneben ist im Rahmen des Sourcings von den Kandidaten eine Einwilligung zur Ansprache einzuholen.

Ach so, naja, und dann dürfen Sie natürlich nicht Ihre Pflichten und Maßnahmen sowie die ggf. notwendigen Datenschutzfolgeabschätzungen nach der DSGVO vergessen. Ein Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten sowie Auftragsverarbeitungsverträge mit ihren Dienstleistern haben Sie selbstverständlich schon.

In diesem Sinne, auf eine erfolgreiche und rechtskonforme Personalauswahl!

PRAXISTIPP

1 Es genügt vollkommen, wenn Sie in Ihren Informationen zur Datenverarbeitung (kurz: IDV, besser bekannt als „Datenschutzerklärung“) auf der Webseite einen Passus zum Recruiting einfügen. Diesen Link können Sie auch unter Ihr Bewerberformular oder in eine Stellenanzeige sowie in den E-Mail-Footer bzw. auf Ihr Briefpapier setzen. Schon ist der Bewerber informiert.

PRAXISTIPP

2 Aufgrund der Arbeitsmarktsituation müssen Unternehmen Auswahlverfahren einsetzen, die einerseits bewerberfreundlich sind, aber andererseits über eine hohe prognostische Validität verfügen und die Testung einer Vielzahl von Personen ermöglichen, um (zu frühe) Falsch-Negativ-Selektionen zu vermeiden.

PRAXISTIPP

3 Bitte kommen Sie nicht auf die Idee, doch von jedem Bewerber eine „Zustimmung“ zur Datenverarbeitung einzuholen und dabei eine Einwilligung zur Aufnahme in den Talentpool in der Datenschutzerklärung zu verstecken. Eine solche wäre aufgrund des Kopplungsverbots in Art. 7 Abs. 4 DSGVO unwirksam.

Nina Diercks

Nina Diercks
RA
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· Artikel im Heft ·

Recruiting und Personalauswahl
Seite 704 bis 707
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