Sozialplan: Muss ein Betriebsrat schon bestehen?

Das BAG hat seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und setzt für die Aufstellung eines Sozialplans das Bestehen eines Betriebsrats bei der Planung der Betriebsänderung voraus. Es genügt nicht, wenn ein Betriebsrat erst nach dem Entschluss zur Betriebsänderung gegründet wird. Über die Einzelheiten haben wir mit Dr. Christoph Kurzböck, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Rödl & Partner in Nürnberg, gesprochen.

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 Bild: pixabay.com
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Überrascht Sie der Beschluss des BAG?

Ja und nein. Auf der einen Seite überrascht er mich nicht, weil der Entscheidung ein nahezu identischer Sachverhalt zugrunde lag wie bereits in den Entscheidungen aus den 80er- und 90er-Jahren. Dadurch konnte der Senat seine bisherigen Argumente aufgreifen und hat diese nochmal ausführlich hergeleitet. Auf der anderen Seite kann der Beschluss auch überraschen. Zum einen gab es eine Entscheidung des LAG Köln (Beschl. v. 5.3.2007 – 2TaBV10/07), das die Rechtsprechung des BAG kritisierte. Die Rechtsprechung würde einen Wettlauf zwischen Errichtung eines Betriebsrats und raschem Planungsende der Betriebsänderung provozieren. Und zum anderen zeigt sich durch die Modernisierung des BetrVG aus dem Jahre 2021 und einen neuen Referentenentwurf des DGB das BetrVG arbeitnehmerfreundlicher – insbesondere in Hinblick auf Mitbestimmungsrechte. Durch die gegenteilige Rechtsauffassung und rechtspolitischen Erwägungen war eine Rechtprechungsänderung nicht ausgeschlossen.

Was bedeutet das für die Praxis?

Arbeitnehmer, die einem Betrieb ohne Betriebsrat angehören, können die Aufstellung eines Sozialplans nur verlangen, wenn dies noch während der Planung einer Betriebsänderung geschieht. Hat der Arbeitgeber hingegen den Arbeitnehmern mitgeteilt, dass es zu einer Betriebsänderung kommt, hat er seinen Entschluss bereits zum Ausdruck gebracht und die Beteiligungsrechte der §§ 111 ff. BetrVG finden keine Anwendung. Dies hat zur Konsequenz, dass ein Sozialplan nur auf freiwilliger Basis geschlossen werden kann.

Der Arbeitgeber hingegen sollte die Relevanz der zeitlichen Komponente bei seiner Mitteilung beachten, ohne dabei rechtsmissbräuchlich vorzugehen. Besteht kein Betriebsrat, sollte ihm bewusst sein, dass eine Mitteilung während der Planung einer Betriebsänderung zur Errichtung eines Betriebsrats führen kann. Dies hätte zur Folge, dass auf Verlangen des Betriebsrats ein Sozialplan zu erstellen ist.

Ist ein Sozialplan denn nicht auch im Interesse des Arbeitgebers?

Häufig werden bei Betriebsänderungen auch freiwillig Sozialpläne abgeschlossen. Der Vorteil der Sozialpläne ist, dass das Vorgehen und die Kriterien durch gemeinsame Verhandlungen festgelegt werden und so die Betriebsänderung in der Belegschaft i.d.R. auch zu mehr Akzeptanz führt, was selbstverständlich auch im Interesse des Arbeitgebers ist. Zudem kann der Arbeitgeber die Kosten, die durch die Betriebsänderung auf ihn zukommen, besser kalkulieren. Andererseits bietet ein Sozialplan immer auch Angriffsfläche in Hinblick auf Gleichbehandlungsgrundsatz und Diskriminierungsverbote, weshalb ein Sozialplan stets kritisch geprüft werden sollte und immer ein gewisses Risiko in sich trägt.

Sie sprachen davon, dass der Arbeitgeber nicht rechtsmissbräuchlich handeln darf.

Damit meine ich, dass der Arbeitgeber nicht ausschließlich wegen einer sich anbahnenden Wahl eines Betriebsrats eine Betriebsänderung durchführen darf oder auch – der praxisnähere Fall – eine Wahl nicht künstlich verlängern oder vereiteln darf, um die Betriebsänderung ohne Mitbestimmungsrechte durchführen zu können.

Wie verhält es sich, wenn der Arbeitgeber während der Planung einer Betriebsänderung erfährt, dass ein Betriebsrat gewählt werden soll?

Hier muss der Arbeitgeber keine Angst haben, rechtsmissbräuchlich zu agieren, ihn trifft keine Pflicht, die Betriebsratswahl abzuwarten. Das BAG (Beschl. v. 28.10.1992 – 10ABR75/91) sieht in dem Grundsatz der verantwortungsvollen Zusammenarbeit der Betriebspartner gem. §2 Abs. 1 BetrVG keine Pflicht des Arbeitgebers, seine Handlungen und Entscheidungen zeitlich an die Betriebsratsgründung anzupassen. Diese Rechtsprechung könnte aber (in Teilen) in Zukunft irrelevant sein, da ein Referentenentwurf des DGB vorliegt, der diesen Fall gesetzlich regeln will.

Ein Überblick über die drei Teilbereiche des „Kollektiven Arbeitsrechts“: Betriebsverfassungsrecht (BetrVG, SprAuG, EBRG), Unternehmensmitbestimmungsrecht (DrittelbG, MitbestG, Montan-MitbestG), Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (TVG, Artikel 9 III GG)

Was beinhaltet dieser Entwurf konkret?

Eine Vielzahl von Änderungen sind geplant. Relevant für die jetzige Thematik ist ein neuer § 113a BetrVG, der die Möglichkeit, einen Sozialplan zu verlangen, bis auf den Abschluss der Betriebsänderung ausdehnt, wenn der Betriebsrat sich in Gründung befindet. Ebenso soll der Katalog zu den Betriebsänderungen des § 111 BetrVG erweitert werden.

Wie stehen Sie zu den geplanten Änderungen?

Ich halte die geplante Gesetzesänderungen dann für notwendig, wenn die jetzige Rechtsprechung des BAG geändert werden soll. Man hat gesehen, dass eine andere Rechtsauffassung der Instanzgerichte das BAG nicht überzeugt hat, von seiner Rechtsprechung abzuweichen. Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass mit der aktuellen Gesetzeslage der Beschluss des BAG richtig war, da die § 111ff. BetrVG eindeutig formuliert sind und es keiner Gesetzesänderung aus Klarstellungsgründen bedarf. Auch der Arbeitnehmer kennt die Risiken eines Arbeitsverhältnisses bei einer betriebsratlosen Arbeitsstätte und weiß, dass sein Begehren einer Betriebsratsgründung frühzeitig durchgeführt werden muss,ein Betriebsrat unabhängig von Betriebsänderungen oder anderen Handlungen des Arbeitgebers durchgeführt werden kann und auch nach der gesetzgeberischen Intention unabhängig sein soll.

Möchte man aus rechtspolitischen Gründen einer arbeitnehmerfreundlicheren Ausgestaltung auch ein Mitbestimmungsrecht während der Gründung des Betriebsrats gewähren, halte ich den aktuellen Vorschlag für unzureichend. Die Überschrift des Entwurfs „Betriebsrat in Gründung“ ist bereits verwirrend, sie suggeriert, eine Regelung zur Mitbestimmung bei Betriebsänderung zu treffen, wenn der Betriebsrat in Gründung ist. Allerdings stellen die Absätze auf das Stadium, in der sich die Betriebsänderung befindet, ab und definieren nicht, wann ein Betriebsrat in Gründung ist. Demnach wäre zum einen in Zukunft gerichtlich zu klären, wann ein Betriebsrat in Gründung ist, wann „wesentliche Teile“ einer geplanten Betriebsänderung umgesetzt sind und ob der Betriebsrat sich dann auch noch in Gründung befinden darf oder endgültig bestehen muss.

Für wie wahrscheinlich halten Sie eine solche Änderung?

Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampelregierung auf die Agenda gesetzt, insbesondere betriebsverfassungsrechtliche Prozesse zu digitalisieren. Zwar möchte sie auch Mitbestimmungsrechte ausweiten, jedoch nicht im Rahmen der §§ 111ff. BetrVG. Deshalb halte ich eine Änderung aktuell für unwahrscheinlich und gehe davon aus, dass ohne Gesetzesänderung das BAG bei seiner Rechtsauffassung (zu Recht) bleiben wird.

Dr. Christoph Kurzböck

Dr. Christoph Kurzböck
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, Leiter Arbeitsrechtsteam, Rödl & Partner, Nürnberg
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Sozialplan: Muss ein Betriebsrat schon bestehen?
Seite 62
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