Tilgungsbestimmung bei Urlaubsansprüchen

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 Bild: MohamadFaizal/stock.adobe.com
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Fraglich in diesem Fall war, ob Urlaub aus dem Jahr 2019 im Jahr 2021 verfallen war. Im Jahr 2019 gewährte das beklagte Land der Klägerin 17 von 35 Urlaubstagen (30 gem. TVöD und 5 gem. SGB IX). Seit dem 24.7.2019 war die Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.1.2021 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Mit Schreiben vom 30.6.2020 erklärte der Arbeitgeber, die im Jahr 2019 in Anspruch genommenen Urlaubstage seien zunächst auf den gesetzlichen Urlaub einschließlich des Zusatzurlaubs nach § 208 SGB IX anzurechnen, sodass noch ein Anspruch auf acht Tage Urlaub bestehe; der den gesetzlichen Urlaub übersteigende Tarifurlaub i. H. v. zehn Tagen verfalle mit Ablauf des 30.9.2020. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses leistete das beklagte Land für das Jahr 2019 Urlaubsabgeltung für acht Tage gesetzlichen Urlaub. Die Klägerin hingegen begehrte die Abgeltung weiterer zehn Urlaubstage.

Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, die gesetzlichen Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2019, die sich einschließlich des Anspruchs auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen auf insgesamt 25 Tage belaufen hätten, seien unter Berücksichtigung der gewährten 17 und der abgegoltenen acht Urlaubstage vollständig erfüllt worden. Der die gesetzlichen Urlaubsansprüche übersteigende Tarifurlaub i. H. v. zehn Tagen sei aufgrund der lang andauernden Erkrankung der Klägerin unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten mit Ablauf des 30.9.2020 verfallen.

Das BAG (Urt. v. 28.3.2023 – 9 AZR 488/21) entschied zugunsten der Klägerin. Stehen dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr auf unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen beruhende Ansprüche auf Erholungsurlaub zu, für die unterschiedliche Regelungen gelten, handelt es sich um selbstständige Urlaubsansprüche. Deshalb findet § 366 BGB Anwendung, wenn die Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht zur Erfüllung sämtlicher Urlaubsansprüche ausreicht.

Sofern der Arbeitgeber keine Tilgungsbestimmung vornehme, sei die in § 366 Abs. 2 BGB vorgegebene Tilgungsreihenfolge mit der Maßgabe heranzuziehen, dass

  • zuerst gesetzliche Urlaubsansprüche und
  • erst dann den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Urlaubsansprüche erfüllt werden,

um anderenfalls eintretende systemwidrige und dem hypothetischen Parteiwillen widersprechende Ergebnisse zu vermeiden.

Die Entscheidung zeigt, dass Arbeitgeber bei der Urlaubsgewährung darauf achten sollten, den Urlaub anhand der Rechtsgrundlage zu klassifizieren.

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Tilgungsbestimmung bei Urlaubsansprüchen
Seite 60 bis 61
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