Tschüss Gestern, hallo Übermorgen!

So gelingt Change

Innovationen sind der Umsatz von übermorgen. Man muss frühzeitig beginnen, um sie startklar in der Pipeline zu haben, wenn die alten Lösungen es nicht mehr bringen. Die Zukunft liegt in den Händen derer, die mit frischem Denken und Tun die entscheidenden Umbrüche wagen. Dafür braucht es Übermorgengestalter im Unternehmen – und Change-Prozesse, die tatsächlich Wandel bewirken.

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 Bild: ImagesRouges/stock.adobe.com
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Gelegenheiten mit Weitblick erkennen

Kennen Sie den Kairós? Er ist ein Gott aus dem Olymp, womöglich ein Sohn des Zeus. Der Begriff Kairos steht für den richtigen Augenblick, den passenden Moment, die besondere Gelegenheit, die man aktiv ergreifen muss, um den Fortgang der Ereignisse und damit seine Zukunft zu gestalten. Der Bildhauer Lysippos hat Kairós als Jüngling dargestellt, der an der Stirn eine lockige Haarsträhne trägt, jedoch einen kahlen Hinterkopf hat. So bekommt man ihn nicht mehr zu fassen, sobald er mit seinen geflügelten Füßen vorbeigehuscht ist. Daher die Redewendung: Die Gelegenheit beim Schopfe packen.

Zukunftsgestalter ergreifen die Chancen, die sich ihnen bieten

Man muss behände sein, ein gutes Auge haben und die Herausforderung lieben, will man die Chance, den Kairós, zu fassen kriegen. Übermorgengestalter sehen ihn schon von Weitem kommen und erwischen seine Haarlocke oft. Über alle Grenzen hinweg entwickeln sie Initiativen, die Ideen, Wissen und Können neu miteinander verknüpfen. Transformativ, agil und dynamisch vernetzen sie die virtuelle mit der realen Welt auf immer neue, mutige, bahnbrechende Weise. Denn sie sind Zukunftsversteher.

Innovatoren wissen: Chancen bergen Risiken

Sie verstehen: Geopolitische Aktivitäten, Unwägbarkeiten verschiedenster Art und Kaliber, der sich dramatisierende Klimawandel wie auch die Neukombination bislang getrennter Technologien und Industrien sorgen für vielerlei Wechselwirkungen, die sich im Vorfeld gar nicht absehen lassen. Jede technologische Verbesserung führt zudem dazu, dass die nächste Verbesserung rascher erreicht werden kann. In einem derart unvorhersehbaren Umfeld ist es unmöglich, im Voraus zu wissen, was funktionieren wird und was nicht. Wer aber zögerlich wartet, wie sich das Ganze entwickelt, wird nicht schnell genug sein, um die Vorsprünge anderer einzuholen.

Neugestalter: der Voraustrupp in die Zukunft

Veränderungsängstliche Kontinuitätsprotagonisten kann sich kein Unternehmen noch länger leisten. Es sind die Vorreiter und Schrittmacher, die experimentierfreudigen Weiterdenker und Übermorgengestalter, die mit Tatkraft und Durchhaltevermögen den Wandel initiieren. Ihr Mut macht auch anderen Mut. Ihr Enthusiasmus und ihre ansteckende Zuversicht machen Lust auf Fortschritt und den Weg dorthin. Übermorgengestalter sind Brückenbauer zwischen gestern, heute und morgen, Voraustrupp ins Neuland, Helfershelfer auf dem Weg in die Zukunft, Lotsen in die kommende Zeit. Sie sprengen den „So-machen-wir-das-hier-Rahmen“ und denken nach vorn. Sie ehren das Gute und plädieren zugleich für das bessere Neue. Sie agieren wie ein Frühwarnsystem. Oft sind sie die Ersten, die instinktiv merken, wenn in der Firma etwas aus dem Ruder läuft. Sie sprühen vor Ideen, wie man das, was in die Jahre gekommen ist, besser machen könnte, sollte und müsste – im Kleinen wie auch im ganz Großen. Sie reden Klartext, wenn sie Verfahrensweisen aufgespürt haben, die aus der Zeit gefallen sind. Sie brandmarken alles, was für Kollegen und Kunden eine Zumutung ist. Als Early Adopter und mutige Vorwärtsstürmer wagen sie sich auch dorthin, wo noch niemand vor ihnen war. Abenteuer beginnen, wo asphaltierte Wege enden. Vorne im Neuland ist da, wo noch niemand sich auskennt und wo man erst einen Weg finden muss. Die meisten Chancen gibt es auf unbekanntem Terrain. Und ja natürlich, dabei kann man sich auch verlaufen. Doch wer sich nie verirrt, findet auch keine neuen Wege. Und nur wer Risiken eingeht, kann Entdeckungen machen.

Es gibt keine Vollkaskoversicherung für gute Ideen

Kein Unternehmen wird Innovationssprünge erzielen, wenn es seine Mitarbeiter dafür belohnt, ihre Arbeit „at target, on budget, in time“ abzuliefern, also Punktlandungen auf Vorgaben zu machen. Niemand kann sich mit dem Übermorgen befassen, wenn er Zielen aus dem Vorjahr hinterherlaufen soll. Wer vorgefassten Verfahrensweisen präzise folgt, erblindet für die tatsächlichen Chancen. Im Neuland gibt es keine Erfolgsgarantien – und keine Vollkaskoversicherung für gute Ideen. Zukunft kann man nicht zählen und messen, denn sie ist noch gar nicht passiert. Märkte, die noch nicht existieren, können nur hoffnungsvoll voreingeschätzt werden. Ein Albtraum für den Controller. Der will keine Abenteuer, sondern exakte Zahlen und einen festen Plan. So versanden selbst die besten Initiativen.

Übermorgengestaltern hingegen ist klar: Auf ausgetretenen Pfaden kann man kein Neuland entdecken und mit vergilbtem Kartenwerk kommt man in neuen Gefilden nicht weit. Sie sind keine Hasardeure oder Fantasten, die sich tollkühn ins Wildwasser stürzen. Sie gehen die Dinge wohlüberlegt, doch mit großer Offenheit an. Sie sind auch keine Exoten, die man nur milde belächelt, sondern sie sind: die wichtigsten Menschen in den Organisationen, die den Sprung nach vorn schaffen wollen.

So wird man zu einem Überflieger der Wirtschaft

Die Zukunft liegt in den Händen unkonventioneller Ideengeber, die mit jungem, wildem, kühnem Denken und Tun die entscheidenden Umbrüche wagen. Ihre Wissbegier, ihr Wagemut, ihr Tatendrang und ihr Innovationsgeist müssen das ganze Unternehmen erfassen. Als Aus-der-Reihe-Tänzer, Um-die-Ecke-Denker und Über-den-Tellerrand-Schauer sind sie die treibende Kraft, damit das notwendige Neue entsteht.

Innovation lässt sich nicht aussperren

„Für so was haben wir eine Innovation Unit“, höre ich oft. Oh, oh! Innovationsgeist darf man nicht in eine Abteilung sperren. Veränderungswillen, Adaptionsvermögen und Erneuerung braucht es in jedem Bereich. Denn permanente Vorläufigkeit ist die neue Normalität. Nur die wendigen, flinken, anpassungsfähigen multiperspektivisch denkenden und handelnden Firmen werden das überleben. Leider weht dem Neuartigen oft eine steife Brise entgegen. Früher landeten viele, die Altbewährtes infrage stellten und durch disruptiv Neues ersetzten, in der Verbannung, am Galgen oder auf dem Schafott. Selbst heute erfährt das ganz und gar Neue gefährlich oft den erbitterten Widerstand der Nutznießer des Alten. Verlustaversion, Besitzstandswahrung und Trägheit sind in der traditionellen Wirtschaft weit verbreitet.

Veränderung braucht Raum

Deshalb die entscheidende Frage: „Wie viel Neudenken und Andersmachen will Ihre Organisation denn wirklich verkraften?“ Übermorgengestalter, Innovatoren und Pioniere sind eine Investition in die Zukunft des Unternehmens. Sie sind, wie die Joker in einem Kartenspiel, vielseitig einsetzbar und katapultieren die smarten Player im Markt auf die vordersten Plätze. Denn Übermorgengestalter sind die, die die Haarlocke des Kairós tatsächlich ergreifen. Würde man sie doch nur endlich machen lassen!

Klassische Change-Prozesse funktionieren nicht mehr

Wer größere Veränderungen bewirken und so die Zukunft erreichen will, muss seine Change-Prozesse auf den Prüfstand stellen. Üblicherweise werden diese top-down initiiert und im Rahmen langwieriger Planvorgaben im Unternehmen fest implementiert. In temporeichen Zeiten mit permanenter Vorläufigkeit hingegen braucht es erstens fortwährende und zweitens vorausschauende schrittweise Wandlungsprozesse, die zunehmend aus der Mitte der Unternehmen heraus entstehen. Eine Avantgarde von Übermorgengestaltern wird dabei voranmarschieren, um notwendige Transformationen zügig in Gang zu bringen und das Neue testweise auszuprobieren. Doch statt mit einer Vorausmannschaft zügig loszulegen, verplempert man in vielen Unternehmen wertvolle Zeit damit, gleich alle mitzunehmen und/oder zunächst die Verweigerer überzeugen zu wollen. Indem man denen aber zu lange viel zu viel Aufmerksamkeit schenkt, stärkt man ihre Position und gibt ihnen Zeit, Zwietracht zu säen. Aus ihren Schützengräben heraus bekämpfen sie das Neue und verbreiten ein Klima der Angst. Doch Angst ist der größte Blockierer des Wandels.

Viele haben nichts gegen Veränderung, im Gegenteil

Klar sieht nicht jeder in allem „Neu“ eine Verheißung. Manche sehen darin kein mögliches Plus, sondern eine Bedrohung. So werden die Risiken, die eine Neuerung bringen könnte, überbewertet und stark überzeichnet. Im Wesentlichen ist Neurochemie, die übermächtige Mitgift unserer Jahrmillionen langen Vergangenheit, die Ursache dafür. Unbekanntes erscheint vielen als diffuse Bedrohung, die in der Tat ängstigen kann, weil sie nicht greifbar ist. Manche Gehirne sind, wenn es um Umbruch und Wandel geht, richtig gut darin, sich geradezu apokalyptische Szenen auszumalen. Selbst wenn solche Ängste unbegründet sein sollten, für die Betroffenen sind sie real. Je mehr die Führung dann auf Veränderung pocht, desto stärker klingt das nach Gefahr. Hätten aber alle Menschen das Ungewisse gescheut, wären wir nicht da, wo wir heute sind. Es sind die Weiterdenker, die mutigen Andersmacher und kühnen Übermorgengestalter, die mit neugierigem Infragestellen und umtriebigen Ideen Konventionen durchbrechen und Trittsteine in neue Lebensräume legen. Dieser unbändige Vorwärtsdrang, das Entdeckergen in uns, bringt die Menschheit voran.

Change-Projekte misslingen?

Das liegt sehr oft am „Wie“

Schauen wir uns das übliche „Wie“ eines klassischen Change-Projekts einmal an: Mit großen Zielen, vorgezeichneten Pfaden und festgezurrten „Meilensteinen“ versehen, gern von Beratungshäusern teuer begleitet, wird es weit oben im Unternehmen fix geplant und dann über alles und jeden von oben nach unten „ausgerollt“. Heißt: Die Mitarbeiter werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Da längst alles beschlossene Sache ist, geht es insbesondere darum, wie man ihnen das am besten „verkauft“. Zudem wird unterstellt, dass es grundsätzlich Widerstand gegen Veränderung gibt. Deshalb plant man einen Konfrontationskurs von Haus aus mit ein. So sind Change-Projekte längst zu Hassprojekten verkommen und es scheitern, konträr zu den gern verbreiteten Erfolgsgeschichten, zwischen 70 und 80 %, wie Studien schon seit Jahren zeigen.

Der unbekannte Weg führt häufig zum Ziel

Doch nicht der Starrsinn der Mitarbeiter, ihre Beharrungstendenzen oder ihre Unwilligkeit sind das Problem. Das Problem ist die falsche Vorgehensweise. Natürlich mag unser Denkapparat das Bekannte und die Routinen, weil beides Sicherheit bietet und Energie sparen hilft. Zugleich üben Herausforderungen eine starke Faszination auf uns aus. Wir empfinden Stolz und erleben Hochgefühle, wenn wir uns weiterentwickeln und das, was wir können, optimieren. Bei Kindern ist dies besonders stark ausgeprägt. Und das geht ganz gewiss nicht verloren, nur weil wir erwachsen werden.

Die Evolution favorisiert ehrgeiziges Leben, das sich an die jeweiligen Umstände aktiv anpassen kann. Sie stellt den Pioniergeist vor das Beharren und den üblichen Trott. Neugier, Wissensdurst und Lernbereitschaft sind uns angeboren – und die wichtigsten Treiber, um uns voranzubringen. Wir sind die Nachfahren derer, die eine bessere Zukunft wollten und deshalb den Fortschritt wagten. Und mal ehrlich: Oft ist man doch einfach nur froh, wenn auf etwas schlechtes Bestehendes etwas gutes Neuartiges folgt. Ständig ändern wir was, wenn das Danach uns attraktiver erscheint als das Davor.

Freiwilligkeit: die wichtigste Zutat für Antrieb und Wandel

Ablehnung und Unlust entstehen immer dann, wenn etwas „von oben“ verordnet wird, also mit Druck oder Zwang behaftet ist. Zustimmung hingegen entsteht, wenn wir über eine Veränderung selbst entscheiden. Freiwilligkeit ist die wichtigste Zutat für Antrieb und Fortschritt. Wenn die Mitarbeiter von Anfang an in den Veränderungsprozess eingebunden werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Wandel wirklich gelingt. Wenn zudem die Entscheidungen „klein“ sind und man es gewohnt ist, sie immer wieder anzupassen, ist es viel leichter, das Unternehmen zu restrukturieren, wenn die Umstände dies fordern. Sind die Entscheidungen hingegen „groß“ und neigt man intern dazu, vorgedachten Plänen akribisch zu folgen, wird man auch dann noch an ihnen festhalten, wenn sie unbrauchbar sind.

Wer größere Change-Maßnahmen plant, darf die Leute also nicht abkommandieren. Die Menschen haben ganz einfach verschiedene Geschwindigkeiten, wenn es um Veränderung geht. Manche haben ein hohes Strukturierungsbedürfnis, andere eine geringe Risikotoleranz. Einige wollen springen, andere schaffen es nur in kleinen Schritten. Das muss man respektieren. Man darf weder die einen unterfordern noch die anderen überfordern. Ein Change-Vorgehen in Anlehnung an die Innovation Curve des Kommunikationswissenschaftlers Everett Rogers halte ich deshalb für sehr viel besser geeignet. Seine Diffusionstheorie besagt, dass Neuerungen je nach Persönlichkeitstyp meist zeitlich verzögert übernommen werden.

Change reloaded: So nutzt man die Innovation Curve

In jeder Firma gibt es Vorreiter, Mitläufer und Nachzügler. Und eine Faustregel besagt: Sind 10 % der Menschen für eine Sache gewonnen, entsteht ein Sog. Eine Gruppe als Ganzes ist sicherer, wenn zunächst eine kleine Vorhut der Willigen ins Neuland aufbricht, um nach Chancen zu suchen. Dann erst rücken weitere Einheiten nach:

  1. Die Vorreiter stürzen sich mutig ins Neuland.
  2. Die frühe Mehrheit benutzt Trittsteine dorthin.
  3. Die späte Mehrheit wartet auf eine feste Brücke.
  4. Die Nachzügler folgen erst ganz zum Schluss.
  5. Einzelne kommen nicht mit oder bleiben zurück.

Transformationsprozesse: horizontal und ohne Zwang

Beginnend mit den Vorreitern wird also nach und nach die ganze Organisation durch den Transformationsprozess gehen. Die Stoßrichtung ist dabei nicht top-down, sondern horizontal. Von den Ersterfolgen inspiriert schließen sich immer mehr an. Die frühe Mehrheit wird nichts versuchen, bevor es nicht andere ausprobiert haben. „Ihr müsst nicht durch den reißenden Fluss ans andere Ufer. Wir schicken eine Vorhut, die euch Trittsteine legt“, so ermuntert man die, die zunächst noch zögern. Sukzessive werden mit wachsender Gewissheit immer mehr Leute freiwillig durch die Veränderung gehen.

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Warten auf Sicherheit

Wurden genügend Personen aus der frühen Mehrheit erreicht, das Neue zu wagen, wird die späte Mehrheit ihnen folgen. Dort sitzen viele Bewahrer. Die warten, bis auf beschilderten Wegen eine Brücke ins Neuland gebaut wurde und damit alles sicher ist. Es bringt rein gar nichts, sie gleich zu Beginn mitnehmen zu wollen. Vielmehr beruhigt man sie, indem sie zunächst an den Veränderungen noch nicht teilnehmen müssen.

Bei den Nachzüglern sitzen die Bedenkenträger. Diese wird man erst dann überzeugen, wenn alle Gefahren beseitigt sind. Dabei ist zu differenzieren: Konstruktive Skeptiker können durchaus nützlich sein, weil sie einen dazu bringen, gründlicher nachzudenken und bessere Optionen zu finden. Boykotteure hingegen, die neophobisch im Gestern verharren oder alte Pfründe zu halten versuchen, also eigennützig für die Konservierung der Vergangenheit kämpfen, kann sich niemand noch länger leisten.

„Kill a stupid rule“

Damit der Sprung in die durchdigitalisierte Hochgeschwindigkeitszukunft gelingt, braucht es leichtes Gepäck. Regeln, die längst überholt sind, Rituale, die keiner mehr braucht, komplizierte Entscheidungsverfahren, vorgestrige Meetingstrukturen, Prozessbesessenheit: All das ist eine kolossale Verschwendung von Zeit, Geld, Engagement und Talenten, die sich fortan niemand mehr leisten kann, zumal es keinerlei Wertschöpfung bringt und Raum für das notwendige Neue versperrt.

So schaffen Sie Platz für Neues

Je schwerfälliger eine Organisation, desto anfälliger ist sie für Überholmanöver. Von daher ist zunächst eine Transformation in einen fluideren Zustand vonnöten. Um dynamischer, adaptiver, schneller und innovativer zu werden, muss man zunächst entrümpeln. Das bedeutet im Klartext: Alles Überflüssige muss eliminiert, umständliche Prozedere müssen vereinfacht und unzeitgemäße Vorgehensweisen erneuert werden. Bürokratie macht ein Unternehmen langsam und dumm, weil alles einem vordefinierten Weg folgen muss und in starren Abläufen versinkt. Standards sind zwar einerseits wichtig, doch sie erzeugen auch Isomorphie: Alles gleicht sich immer mehr an. Und das ist fatal. Denn bei Vergleichbarkeit entscheidet am Markt der Preis. Dann soll es wenigstens billig sein. Für die Bilanz ist dies verheerend.

Ineffizienz als Ursprung vieler Missstände

Die Studie „The Workforce View in Europe“, an der knapp 10.000 Arbeitnehmer in acht europäischen Ländern teilnahmen, hat deutlich gemacht, dass ineffiziente Systeme und Prozesse die Hauptursachen für mangelnde Produktivität am Arbeitsplatz sind. Was veraltete Technologie, überbordende Richtlinientreue und hausgemachte Bürokratie letztlich an Kosten erzeugt, wird allerdings kaum je berechnet.

„Kill a stupid rule“ heißt: kräftig entrümpeln

Rigide Strukturen lockern, Altlasten entsorgen und Hürden entfernen, um flotter laufen zu können: „Kill a stupid rule“ setzt genau an diesem Punkt an. Ursprünglich stammt diese Maßnahme von US-Banker Vernon Hill, um kundenunfreundliche Abläufe schnellstmöglich aufzuspüren. Wir nutzen das Tool, um lähmenden, demotivierenden, umsatzzerstörenden Ballast zu identifizieren und durch einfachere, zeitgemäßere Vorgehensweisen zu ersetzen. Erteilen Sie ihren Leuten also eine „Licence to kill“, und zwar so: „Kill a stupid rule! Von welchen untauglichen Standards, Regeln und Verfahren und von welchem administrativen Unsinn sollten wir uns schnellstmöglich trennen?“ Als Führungskraft können Sie diese Aufgabe selbst initiieren – oder in die Hände eines erfahrenen Mitarbeiters legen. Damit das Ganze höchst ergiebig wird, nutzt man am besten die „Weisheit der Vielen“ im Rahmen eines Meetings oder Workshops, lädt also möglichst viele kluge Köpfe zum Entrümpeln ein.

Erfolge feiern, Altvorderes würdig begraben

Ab damit auf die Killerliste

Bitten Sie die Anwesenden zunächst darum, sich jeweils zu zweit zusammenzusetzen und innerhalb von zehn Minuten so viele „stupid rules“ wie nur möglich zu finden, auf Haftzettel oder Moderatorenkärtchen zu schreiben und an eine Pinnwand zu heften. Sie werden sich wundern, wie auf einmal die Funken sprühen und was so alles zusammenkommt. Ist die Sammlung komplett, wird eine Priorisierung vorgenommen. Danach machen sich bereichsübergreifende Dreierteams an die Arbeit, um „stupid rules“ ganz zu streichen oder durch neue, agilere Vorgehensweisen zu ersetzen. Zum Start fängt man dort an, wo sich am schnellsten etwas bewegen lässt. Erste Erfolgserlebnisse werden via Storytelling gefeiert. „Setz es auf die Killer-Liste“ ruft man fortan allen zu, denen etwas einfällt, was dringend abgeschafft werden sollte.

Achtsamer Abschied von dem, was gut war

Um die volle Energie auf das Neue zu lenken, kann es sinnvoll sein, sich von abgewählten Vorgehensweisen achtsam zu trennen. Die hatten ja auch mal ihr Gutes. Deshalb gilt es, Verfahren, von denen man Abschied nimmt oder Konzepte, die eingestampft werden müssen, in Würde zu Grabe zu tragen. Bei Google gibt es dafür den „Día de los Muertos“. So wie die Mexikaner zu Ehren der Verstorbenen feiern, so beerdigen die Googler ihre nicht umgesetzten Projekte mit ausgelassener Freude.

Anne Schüller

Anne Schüller
Managementdenker, Keynote-Speaker, Bestsellerautorin, Businesscoach
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· Artikel im Heft ·

Tschüss Gestern, hallo Übermorgen!
Seite 38 bis 41
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