Nach der Entscheidung des BAG vom 5.12.2024 (8 AZR 370/20; vorab: EuGH, Urt. v. 29.7.2024 – C-184/22 und C-185/22, C-184/22, C-185/22) stellt sich die Frage, ob die Differenzierung zwischen Mehrarbeit und Überstunden für nach dem TVöD bzw. TV-L Beschäftigte noch zulässig ist oder ob es sich dabei um eine Diskriminierung gegenüber Teilzeitbeschäftigten und wegen des Geschlechts handelt.
Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten?
Grundlegend entschied das BAG zum TVöD-K (Bereich der VKA, dort Krankenhäuser) mit seinem Urteil vom 15.10.2021 (6 AZR 253/19): An der bisherigen, ausschließlich auf den nicht gezahlten Überstundenzuschlag gerichteten Rechtsprechung (siehe auch dazu BAG, Urt. v. 23.3.2017 – 6 AZR 161/16 und v. 25.4.2013 – 6 AZR 800/11) und dem dabei gefundenen Auslegungsergebnis des Überstundenbegriffs des § 7Abs. 8 Buchst.c TVöD/TV-L bei Wechselschicht- oder Schichtarbeit hält das BAG nicht mehr fest.
Im Gegenzug bleibt die Norm des § 7Abs. 6 TVöD (gleichlautend im TV-L) zur Mehrarbeit wirksam. Teilzeitbeschäftigte sind weiterhin von Überstundenzuschlägen ausgenommen, bis das Volumen der Arbeit die Vollzeitgrenze erreicht.
Das BAG erachtet die folgenden Argumente für maßgeblich, um die Teilzeitbeschäftigten für gleichbehandlungsrechtlich „unvergleichbar“ zu halten:
- Die Teilzeitbeschäftigten können gem. § 6Abs. 5 TVöD/TV-L nur dann zu Mehrarbeit und Überstunden herangezogen werden, wenn sie zustimmen. Dass dies bereits regelmäßig bereits mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags erfolgt, hält das BAG für nicht relevant.
- Die Tarifvertragsparteien haben für die Vergütung von Überstunden i. S. v.§ 7Abs. 7 TVöD-K sowie von Mehrarbeit i. S. v.§ 7Abs. 6 TVöD-K in § 8Abs. 1 und Abs. 2 TVöD-K eigenständige Regelungen geschaffen, die Teilzeitbeschäftigte zum Teil sogar begünstigen. Das Entgelt bemisst sich für Teilzeitbeschäftigte im Falle von Mehrarbeit aus der individuellen Entgeltstufe, bei Zuschlägen wäre die Vergütung aus der Stufe 3 zugrunde zu legen. Überstunden werden hingegen höchstens mit dem Entgelt aus der Stufe 4 vergütet.
- Das dritte Argument: Die Mehrarbeit für Teilzeitbeschäftigte wird vom regulären Arbeitszeitkonto erfasst – Überstunden sind in kürzerer Zeit auszugleichen.
In der Gesamtschau der äußerst ausdifferenzierten tariflichen Regelungen haben die Tarifvertragsparteien des TVöD-K damit für das Entstehen und den Ausgleich von Mehrarbeit Regelungen gefunden, die sich von denen für das Entstehen und den Ausgleich von Überstunden grundlegend unterscheiden.
Diese Unterschiedlichkeit führt dazu, dass es sich nicht mehr um vergleichbare Sachverhalte i. S. v.Art. 3Abs. 1 GG handelt.
Damit gilt: Teilzeitbeschäftigte werden durch die Ausgestaltung der Vergütung von Überstunden und Mehrarbeit im TVöD-K nicht wegen ihrer Teilzeitarbeit i. S. v.§ 4 TzBfG diskriminiert.
Die Entscheidung des BAG vom 5.12.2024 (8 AZR 370/20) ist zu einem anderen Tarifvertrag ergangen, in dem die Vergütung für Teilzeitkräfte nicht entsprechend eigenständig geregelt wurde. Im Ergebnis lässt sich die BAG-Entscheidung vom 5.12.2024 nicht auf den TVöD bzw. TV-L übertragen.
Diskriminierung wegen des Geschlechts?
In der Entscheidung des BAG vom 5.12.2024 (8 AZR 370/20) prüfte das Gericht auch eine Diskriminierung wegen des Geschlechts und stellte fest: Liegen sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten nicht vor, bewirkt eine tarifvertragliche Regelung zur Herausnahme der Teilzeitbeschäftigten aus den Überstundenregelungen eine gegen § 7Abs. 1 AGG verstoßende mittelbare Benachteiligung weiblicher Arbeitnehmer wegen des Geschlechts, wenn innerhalb der Gruppe der in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmer signifikant mehr Frauen als Männer vertreten sind.
Dabei kam es für das BAG auf die konkreten Zahlen an. Im zu entscheidenden Fall ergab sich, dass der Arbeitgeber an all seinen Standorten zusammen über 5.000 Personen beschäftigt, davon 76,96 % Frauen. 52,78 % dieser Arbeitnehmer arbeiten in Teilzeit. 84,74 % der Teilzeitbeschäftigten waren Frauen und 15,26 % Männer, während bei den Vollzeitbeschäftigten 68,20 % Frauen und 31,80 % Männer waren. Sowohl in der Gruppe, die durch die Tarifregelung „begünstigt“ würde, als auch in der Gruppe, die dadurch „benachteiligt“ würde, befinden sich demnach die weiblichen Arbeitnehmer in der Mehrheit.
Aufgrund dieser konkreten Beschäftigtenzahlen kommt das BAG zu einer mittelbaren Diskriminierung. Das BAG hat der Klägerin eine Entschädigung i. H. v. 250 Euro zuerkannt. Hierzu stellt sich die Frage der Übertragbarkeit auf den TVöD/TV-L. Die Frage nach dem sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung stellt sich an sich für den TVöD/TV-L nicht, da nach den Maßgaben des BAG vom 15.10.2021 (6 AZR 253/19) schon keine Vergleichbarkeit der Beschäftigtengruppen (Vollzeit/Teilzeit) vorliegt. Dies dürfte jedoch nicht von einer Prüfung der Diskriminierung nach dem AGG entbinden.
In der Entscheidung aus dem Jahr 2021 entschied das BAG, dass aus den zur Mehrarbeit ausgeführten Differenzierungsgründen auch die Geschlechtsdiskriminierung ausscheidet. Dies auch dann, wenn bei der Beklagten rund 93 % der im Wechselschicht- und Schichtdienst Beschäftigten Frauen sind, wovon rund zwei Drittel in Teilzeit arbeiten, was zur Folge hat, dass der Anteil von Frauen auch bei den Vollbeschäftigten überwiegt.
Ob dies vor dem Hintergrund der nun ergangenen EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 29.7.2024 – C-184/22 und C-185/22, C-184/22, C-185/22) noch gilt, ist fraglich. Denn mit Blick auf die Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie (bis Juni 2026) und die Informationen aus den über die Landesgleichstellungsgesetze vorgeschriebenen Frauenförderpläne sind Sachverhalte mit mittelbarer Diskriminierung einfacher aufzudecken.
Sebastian Günther

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