Unternehmen müssen sich neu erfinden

Interview
Christian Grimm meint, dass HR-Software ganzheitlich zu entwickeln ist. Es genüge nicht, lediglich die Programme auf die Bedürfnisse des Arbeitgebers zuzuschneiden. Ein gutes Recruitment könne nur betrieben werden, wenn auch die Bedürfnisse der Arbeitnehmer Berücksichtigung finden. Darüber haben wir mit ihm gesprochen.
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Christian Grimm Sales Director Talent Management DACH, Lumesse GmbH, Düsseldorf Bild: Grimm
Christian Grimm Sales Director Talent Management DACH, Lumesse GmbH, Düsseldorf Bild: Grimm

Herr Grimm, Sie fordern, dass sich Software-Lösungen im Bereich HR auf den Mitarbeiter einstellen, die Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Personalabteilung greift zu kurz. Warum?

Bislang sind HR-Lösungen in erster Linie für die HR-Abteilung entworfen worden, um eine administrative Entlastung zu ermöglichen. Die Beschäftigten in den Unternehmen hatten so nicht die Mittel an der Hand, die sie bspw. bei der Planung ihrer Karriere unterstützt hätten. Heute geht der Trend zu mitarbeiterzentrierten Talentmanagement-Systemen, die nicht nur die HR-Abteilung unterstützen, sondern auch Personalverantwortliche, Führungskräfte und eben auch die Mitarbeiter – dies bestätigt übrigens Deloitte mit der Studie 2018 HR Technology Disruptions. Durch Talent-Management-Lösungen können alle Berechtigten u. a. Entwicklungsmöglichkeiten einsehen und erhalten umfassende Transparenz. So nehmen die Angestellten ihre Karriere in die eigene Hand. Laut weiterer Studien ist dies auch eines der Kriterien, das sich Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber wünschen, um zufrieden zu sein. Die Verantwortlichen sollten hier also wachsam sein, denn in Zeiten des Fachkräftemangels und höherer Fluktuationsraten bei der Belegschaft kommt es auch auf eine gute Stimmung im Betrieb an.

Wie sieht das konkret aus?

Unserer Erfahrung nach ist es oft so, dass es keine digitalen Lösungen für das Talentmanagement gibt, die den Mitarbeitern Einsicht in die Prozesse bieten. Die aktuelle Herausforderung in den Organisationen ist es, nun eine ganzheitliche Lösung einzusetzen, in der alle Talentmanagement-Prozesse integriert sind und die so allen Beschäftigten einen echten Mehrwert bietet.

Ist Talentmanagement überhaupt eine Aufgabe der Personalabteilung?

Wir sehen die Personalabteilung nicht als Treiber. Vielmehr sollte sie diejenige Instanz sein, die den Mitarbeitern die erforderlichen Tools zur Verfügung stellt. Das Talentmanagement sollte von den Führungskräften verantwortet werden – aber eben auch von den Mitarbeitern selbst.

Alle sprechen von Arbeit 4.0 und viele meinen damit die Digitalisierung – wie weit sind die Arbeitgeber bei diesem Thema?

Oftmals sind bestimmte Prozesse in den Unternehmen heute schon digitalisiert bzw. teilautomatisiert, so u. a. das Onboarding, die Rekrutierungsvorgänge, das Performancemanagement, das Abwesenheitsmanagement und die Personaldatenpflege.Generell ist es aber so, dass sich aufgrund der Digitalisierung die Unternehmen neu erfinden müssen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Automobilbranche, da die aktuellen Entwicklungen – wie autonom fahrende Autos und Elektrofahrzeuge – auch andere Anforderungen an das sog. Skillset der Mitarbeiter mit sich bringen. Um diese darauf vorzubereiten, müssen entsprechende Weiterbildungsangebote zeitnah bereitgestellt werden.

Für wen ist die Herausforderung in Sachen Digitalisierung größer: Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?

Sowohl für Arbeitgeber als auch für die Angestellten stellt die Digitalisierung eine große Herausforderung dar, da diese die Anpassung von Arbeitsprozessen erfordert. Es gibt aber bestimmte Branchen, die die Digitalisierung verstärkt betrifft, wie die bereits erwähnte Automobilbranche, der Einzelhandel oder auch Banken und Versicherungen.

Das heißt, man muss die Beschäftigten „mitnehmen“? Wie sieht das konkret aus?

Die Einführung einer Software allein reicht nicht aus, da diese von den Mitarbeitern immer auch akzeptiert und genutzt werden muss. Ist dies nicht der Fall, so entsteht oft eine Schatten-Systemlandschaft. Um dem vorzubeugen, ist ein gutes Change Management notwendig. Den Angestellten muss vermittelt werden, welche Vorteile sie durch die Nutzung neuer Lösungen erhalten und warum es unvermeidlich ist, Veränderungen vorzunehmen und mitzugehen. Lebt ein Unternehmen eine Kultur der Transparenz und betrachtet das Talentmanagement eher als „Peoplemanagement“, so ist es für Personalverantwortliche und Führungskräfte einfacher, alle Beteiligten mit ins Boot zu holen.

Wie wichtig ist die Unternehmenskultur?

Eine positive Unternehmenskultur ist einer der wichtigsten Faktoren, der für die neue Generation von Bedeutung ist. Das heißt: Die Führungskräfte und Personalverantwortlichen in Unternehmen sollten nicht nur von den Mitarbeitern erwarten, dass Veränderungen umgesetzt werden, sondern müssen dies selbst vorleben. Dies betrifft selbstverständlich auch die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Hier muss man teilweise hierarchische Strukturen aufbrechen und einen Teil „der Macht“ abgeben.

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Welchen Einfluss hat die Digitalisierung in Sachen Talentmanagement?

Deutsche Arbeitgeber tun sich oftmals schwer, bestehende Prozesse zu ändern oder automatisierten Abläufen Vertrauen entgegenzubringen. Allerdings ist die Automatisierung bestimmter HR-Prozesse sinnvoll, um die Administration zu erleichtern und den Verwaltungsaufwand zu reduzieren etc. Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen sowie der Einsatz einer integrierten Software für das Talentmanagement verringern den Arbeitsaufwand und die Zeit, die aufgebracht werden muss. Prozesse werden so effizienter gestaltet.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen der Herangehensweise beim Recruiting (extern) und dem internen Talentmanagement im Unternehmen?

Ich bin der Auffassung, dass dem internen Recruiting ein viel höherer Stellenwert beigemessen werden sollte, da die Besetzung einer offenen Position durch einen externen Kandidaten i. d. R. einen zeit- und kostenintensiveren Ansatz darstellt. Bestehende Mitarbeiter zu entwickeln und zu fördern ist der effizientere Weg. Der interne Talentmanagement-Prozess stellt somit eine wichtige Form des Recruitings dar und sollte andere Maßnahmen mindestens ergänzen.

Was sind die neuesten Trends?

Talentmanagement wird immer öfter als People- oder sogar Teammanagement gesehen. Das heißt, der Fokus wird auf die Angestellten und deren Zusammenarbeit gelegt.Dadurch wird eine teambasierte Kommunikation gefördert.Zudem liegt der Fokus zunehmend auf einem agilen Performancemanagement. Alte traditionelle Prozesse werden somit durch kontinuierliches Feedback und Coaching abgelöst. Zudem erfolgen regelmäßige Mitarbeiterumfragen, die u. a. aufzeigen sollen, ob sie sich im Betrieb wohlfühlen.Ein ganz großes Thema stellt auch der Bereich E- und Social Learning dar. Die Beschäftigten kreieren dabei selbst Lerninhalte und stellen diese ihren Kollegen elektronisch zur Verfügung. Zwar gibt es immer noch ausführliche Präsenzveranstaltungen. Gilt es aber, bereits erlerntes Wissen lediglich aufzufrischen, können sich Mitarbeiter online Kurzvideos – wir sprechen hier von Learning Nuggets – ansehen.

Herr Grimm, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Andreas Krabel.

Redaktion (allg.)

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· Artikel im Heft ·

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