Vertrauensschutz für freie Mitarbeit?

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 Bild: pixabay.com
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Stellt sich heraus, dass ein freies Mitarbeiterverhältnis ein Arbeitsverhältnis war und ist, stellen sich eine Reihe von Fragen, die in erster Linie natürlich die Vergütung für das freie Mitarbeiterverhältnis betreffen, aber auch sonstige arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Fragen.

Freie Vergütung

So ist die freie Vergütung für die entsprechende Tätigkeit des Mitarbeiters erheblich höher – sehr häufig dreimal so hoch – wie die Vergütung, die für gleiche Tätigkeit aber im Mantel des Arbeitsverhältnisses bezahlt würde.

Die erheblich höhere Vergütung für freie Mitarbeit liegt nicht darin begründet, dass freie Mitarbeit teurer ist als abhängige Arbeit, sondern darin, dass die Vergütung von Personen, die selbstständige Tätigkeiten erbringen, typischerweise zugleich Risiken abdecken soll, die der freie Mitarbeiter anders als ein Arbeitnehmer selbst trägt. Dies betrifft nicht nur Risiken, gegen die Arbeitnehmer durch die gesetzliche Sozialversicherung abgesichert sind. Freie Mitarbeiter müssen zudem mehr in Rechnung stellen, da sie von Gesetzes wegen gegen den Verlust des Vergütungsanspruchs bei Arbeitsausfall deutlich weniger geschützt sind als Arbeitnehmer. So haben sie bspw. keinen Anspruch auf bezahlten Mindesturlaub, Feiertagsvergütung sowie außerhalb von § 616 BGB Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall und Vergütung in den Fällen des § 615 Satz 3 BGB. Außerdem finden auf sie eine Vielzahl von Arbeitnehmerschutzbestimmungen, etwa das KSchG, keine Anwendung und ihnen kommen die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung mit den damit verbundenen Privilegien nicht zugute. Sind freie Mitarbeiter gem. § 2 Satz 1 Ziff. 9 SGB VI rentenversicherungspflichtig, tragen sie die entsprechenden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung selbst (§ 169 Ziff. 1 SGB VI).

All dies begründet die erheblich höhere Vergütung für gleiche Arbeit, die nicht unter dem Mantel eines Arbeitsverhältnisses zu leisten ist.

Stellt sich nachträglich heraus, dass es sich bei dem entsprechenden Vertragsverhältnis nicht um einen freien Dienstvertrag, sondern um ein Arbeitsverhältnis handelt, stellt sich die Frage, ob dem nunmehrigen Arbeitnehmer die gleiche hohe Vergütung zu zahlen ist, da ja die Tätigkeit die gleiche bleibt.

Viele Gerichte bejahen dies und begründen ihr Ergebnis mit dem Vertrauensschutz, auf den sich der freie Mitarbeiter berufen kann, es sei denn, er hat selbst die Statusklage beim Arbeitsgericht erhoben oder ein sozialversicherungsrechtliches Statusverfahren zugunsten eines Arbeitsverhältnisses eingeleitet (so z. B. das LAG Schleswig-Holstein in einer neueren Entscheidung vom 21.1.2020 – 1 SA 115/19).

Das BAG ist hier etwas vorsichtiger

Legen die Parteien ihrer Vergütungsvereinbarung eine unrichtige rechtliche Beurteilung zugrunde, ob die Dienste abhängig oder selbstständig erbrachte werden, bedarf es der Auslegung, ob die Vergütung unabhängig von der rechtlichen Einordnung des bestehenden Vertrags geschuldet oder gerade an diese geknüpft ist. Maßgebend ist der erklärte Parteiwille, wie er nach den Umständen des konkreten Falls aus der Sicht des Erklärungsempfängers zum Ausdruck kommt (§§ 133, 157 BGB; BAG, Urt. v. 26.6.2019 –5 AZR 178/18, Rdnr. 24, AuA 5/20, S. 314).

Was jedoch insgesamt von der Rechtsprechung zu wenig berücksichtigt wird, ist, dass bei dem Rückfall von einem freien Dienstvertrag in ein Arbeitsverhältnis das gesamte Äquivalenzverhältnis des Vertrags aus den Fugen gerät und zwar für beide Beteiligten.

Erstreitet der Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis, entfällt der Vertrauensschutz auf die höhere Vergütung mit der Folge, dass der Mitarbeiter die Vergütung für freie Mitarbeit zurückzuzahlen hat, gemindert allerdings um die Beträge, die er gem. § 612 Abs. 2 BGB zu beanspruchen hatte.

Aber auch der Auftraggeber/Arbeitgeber kommt nicht ungeschoren davon. Dieser schuldet nämlich für die gesamte Rückabwicklungszeit bis zur Verjährungsgrenze von vier Jahren (§ 25 Abs. 1 SGB IV) nicht nur die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, sondern auch die Arbeitnehmeranteile, also den gesamten Sozialversicherungsbeitrag (§§ 28d, 28e SGB IV; § 253 SGB V; § 174 Abs. 1 SGB VI). Den Beitragsanteil des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber nur durch Entgeltabzug nach § 28g Satz 2 SGB IV geltend machen und nur grundsätzlich im Auszahlungsmonat oder bei den drei folgenden Auszahlungsterminen. Bei späteren Auszahlungsterminen darf der Abzug nicht nachgeholt werden.

Fazit

Angesichts dieser gravierenden Äquivalenzstörung des gesamten Vertragsverhältnisses bei Rückfall vom freien Dienstvertrag in das Arbeitsverhältnis kann die Vergütungsfrage nicht durch „Vertrauensschutz“ gelöst werden, und zwar auch dann nicht, wenn der Mitarbeiter/Arbeitnehmer nicht selbst die entsprechende Statusklage gerichtet auf ein Arbeitsverhältnis erhebt.

Deshalb bleibt es bei der richtigen Beurteilung durch das BAG (BAG v. 26.6.2019, a. a. O., Rdnr. 24), nämlich dass es der Auslegung bedarf, ob die Vergütung unabhängig von der rechtlichen Einordnung des bestehenden Vertrags geschuldet oder gerade an diese geknüpft ist.

Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes

Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, München
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Vertrauensschutz für freie Mitarbeit?
Seite 637
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