Vergütungstransparenz ist spätestens seit dem Entgelttransparenzgesetz aus 2017 und der EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die 2023 in Kraft getreten ist, ein großes Thema in Personalabteilungen. Doch führt sie tatsächlich zu mehr Fairness im Hinblick auf Lohn und Gehalt der Arbeitnehmer? Und: Welche Risiken bringen solche Regelungen für Unternehmen mit sich?Hier kommt die Redewendung in den Sinn: „Über Geld spricht man nicht.“
Franzmann: Warum eigentlich nicht? Viele Arbeitsverträge enthalten die Klausel, wonach über die vereinbarte Vergütung absolutes Stillschweigen zu wahren sei. Da die Arbeitgeberseite gemeinhin Autor der Verträge ist, scheint die Ausgangsfrage zutreffend: Arbeitgeber fürchten Transparenz, „divide et impera“ ist offenbar die dahinterliegende Strategie. Ich halte entsprechende Klauseln in Arbeitsverträgen für unwirksam, ein berechtigtes Interesse der Arbeitgeberseite an Geheimhaltung vermag ich nicht anzuerkennen.
Lelley: Diese traditionelle Maxime spiegelte eine lange Zeit die Zurückhaltung wider, wenn es um die Offenlegung von Gehältern ging. Doch in der modernen Arbeitswelt gewinnt Transparenz zunehmend an Bedeutung. Aber es ist irgendwie eigenartig: Einerseits hören wir so viel von Transparenz, Offenheit, Zugänglichkeit – andererseits möchte man Vertraulichkeit und Anonymität die erste Geige spielen lassen. Eine ausgewogene Kommunikation über Vergütungsstrukturen ist ratsam, um Vertrauen und Zufriedenheit zu fördern, ohne unnötige Spannungen zu schüren. Vielleicht könnten wir es Transparenz mit Augenmaß nennen?
Was genau sind die Ziele gesetzlicher Regelungen zur Entgelttransparenz?
Franzmann: Entgeltstrukturen sollen so beschaffen sein, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler und weiterer, mit den jeweiligen Arbeitnehmervertretern vereinbarter Kriterien nachvollzogen werden kann, ob Gleiches gleich behandelt wird, genauer: ob für eine Ungleichbehandlung anerkennenswerte Differenzierungsmerkmale angewandt wurden. Man könnte es auf den Punkt bringen: „Pay the position, not the person!“
Lelley: Ich denke, das kann man sich ganz gut an dem Dreiklang merken: die Förderung von Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern, die Verringerung von Diskriminierung am Arbeitsplatz und die Schaffung von mehr Transparenz in Bezug auf Gehaltsstrukturen innerhalb von Unternehmen.
Sind die aktuell zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mittel überhaupt hinreichend, um Vergütungstransparenz herstellen zu können?
Franzmann: Transparenz heißt Wissen um die Vergütungsstruktur im Betrieb und in der Branche zwecks Einordnung der eigenen Vergütungshöhe, also benötigen wir Auskunftsansprüche, besser Auskunftsverpflichtungen. Das am 30.6.2017 erlassene Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen zielt auf ein Verbot unterschiedlicher Bezahlung von Männern und Frauen, gilt erst in Betrieben mit zumindest 200 Beschäftigten und gibt nur dem jeweiligen Fragesteller Auskunft. Vonnöten wäre aus meiner Sicht, dass Arbeitgeber regelmäßig betriebliche Organigramme mit ihren Belegschaften teilen, die zwecks Orientierung einzelne Karrierestufen mit Durchschnittsgehältern belegen.
Lelley: Die gesetzlichen Mittel zur Herstellung von Vergütungstransparenz, vor allem das Entgelttransparenzgesetz, sind aus meiner Sicht ausreichend. Doch ist hier einiges im Fluss, die EU-Entgelttransparenzrichtlinie ist ja schon in Kraft. Und sie muss bis Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt sein. Da wird es dann Aufsichtsbehörden, Gleichbehandlungsstellen, Überwachungsstellen usw. geben. Und auch Auskunftsrechte für Arbeitnehmer, ganz ohne Schwellenwerte… Ein solches Regelwerk hat schon die Tendenz, unternehmerische Flexibilität einzuschränken und unerwünschte Folgen wie Bürokratie und Wettbewerbsnachteile mit sich zu bringen. Unternehmen benötigen Raum, um individuelle Vergütungsmodelle gestalten zu können, die den spezifischen Anforderungen ihres Geschäfts und ihrer Mitarbeiter gerecht werden.
Ist die Umsetzung von Vergütungstransparenz über betriebsverfassungsrechtliche Wege möglich?
Franzmann: Unbedingt! Das Betriebsverfassungsgesetz normiert in § 80 Abs. 2 Satz 2 das Recht des Betriebsrats auf Einsichtnahme in die jeweiligen Bruttolöhne und -gehälter und weist dem Betriebsrat über § 87 Abs. 1 Nr. 10 ein Mitbestimmungsrecht bei Entgeltfragen zu. Mit der Einsichtnahme ist der Betriebsrat zumindest in der Lage zu wissen, was der Arbeitgeber individualvertraglich vereinbart hat; mit seiner Mitbestimmung kann er versuchen, zutage getretene Verwerfungen etwa bei künftigen Gehaltsrunden zu begrenzen. In tariflosen Unternehmen können die Betriebsparteien die Vergütungstruktur gestalten, indem sie Hierarchien und Karrierestufen festlegen und diese mit Gehaltsbändern versehen, die ihrerseits Entwicklungsstufen vorsehen; darüber hinaus eignen sich Betriebsvereinbarungen, um künftige Gehalts- und Lohnerhöhungen strukturiert und bedarfsgerecht umzusetzen.
Lelley: Vergütungstransparenz über betriebsverfassungsrechtliche Wege kann eine Möglichkeit sein, Fairness und Vertrauen zu fördern, sollte jedoch nicht zu einer Zwangsmaßnahme werden. Unternehmen sollten in der Lage sein, die Offenlegung von Gehaltsstrukturen in Abstimmung mit den betrieblichen Bedürfnissen und der Unternehmenskultur zu regeln. Zwanghafte Offenlegung könnte zu Spannungen und einer Atmosphäre der Missgunst führen, die der Produktivität abträglich ist.
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Sind darüber hinaus auch tarifliche Wege denkbar, um Vergütungstransparenz zu realisieren?
Franzmann: Das erleben wir ja in den letzten Jahren zunehmend, jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung intensiv insbesondere in der Daseinsvorsorge; Gewerkschaften stehen im Fokus der öffentlichen Debatte. Ungeachtet dessen: Tarifverträge sind gelebte Transparenz. Berufsgruppen werden bewertet und eingeordnet, ihnen werden konkrete Vergütungshöhen zugeordnet und Gehaltsrunden definieren vorab, wer wie viel „vom Kuchen abbekommt“. Der öffentliche Dienst ist ein Paradebeispiel für Transparenz: Vom Verwaltungsangestellten bis zum Bundeskanzler, die Vergütung steht fest.
Lelley: Vergütungstransparenz über tarifliche Wege bietet eine klare und geregelte Methode zur Festlegung von Gehältern, die sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber schützt. Ob man Tarifverträge nun mag oder nicht: Sie schaffen oft einen Rahmen, der Fairness und Transparenz gewährleistet, während gleichzeitig Flexibilität für individuelle Anpassungen innerhalb des Tarifgefüges bestehen kann. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeberinnen und Gewerkschaften kann dazu beitragen, Vergütungsstrukturen zu entwickeln, die die Bedürfnisse beider Seiten berücksichtigen. Das Entgeltrahmenabkommen in der Metall- und Elektroindustrie z.B. ist doch in dieser Richtung recht gut gelungen.
Wirken sich transparente Vergütungsstrukturen nicht negativ i.S.v. leistungshemmend aus? Bedarf es hier tatsächlich Verschwiegenheit oder eher einer passgenauen Differenzierung?
Franzmann: Ich weiß um die Sorge der Arbeitgeberseite, dass mit „Gleichmacherei“ der „War for Talents“ nicht gewonnen werden kann. Ich weiß auch, dass Arbeitnehmer untereinander einer gewissen Intransparenz etwas abgewinnen können, jedenfalls dann, wenn sie das Gefühl haben, aufgrund ihrer individuellen Leistung mehr zu „verdienen“. Indes: Intransparenz ist für mich keine Lösung, sie ist weder fair noch im wohlverstandenen Interesse der Arbeitgeberseite. Ja, bisweilen ist es schwer für Vorgesetzte, übersichtliche Gehaltsrunden im eigenen Verantwortungsbereich zu begründen. Hier bedarf es guter Vorbereitung und Schulung für solche Gespräche, nicht jedoch Geheimniskrämerei.
Lelley: Transparenz ist grundsätzlich positiv, kann aber in bestimmten Situationen leistungshemmend wirken. In meiner Beratungspraxis habe ich schon erlebt, wie ein zu offener Umgang mit Gehaltsinformationen zu Unzufriedenheit und Demotivation führt. Vor allem natürlich, wenn Arbeitnehmer dann Unterschiede in der Vergütung stark wahrnehmen. Wie gesagt, Vertraulichkeit und Datenschutz sind ja auch etwas wert, finde ich.
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