Wertschätzende Führung bindet

Interview zur Mitarbeiterloyalität in der Krise

Mitarbeiter zu halten, ist eine der größten Herausforderungen der Zukunft. Doch was veranlasst Menschen dazu, ihrem Arbeitgeber treu zu bleiben? Zugehörigkeit und Bezogenheit sind starke Treiber für Loyalität. Und der Führung kommt eine besonders wichtige Rolle zu, sagt Anke Stein-Remmert, Rechtsanwältin, Mediatorin und Businesscoach.

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 Bild: FAHMI/stock.adobe.com
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Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen?

Viele Unternehmen erleben derzeit, dass sie Mitarbeitende nicht halten können. Einer aktuellen Gallup-Studie zufolge sehen sich nur rund 55% der 1.500 befragten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einem Jahr noch beim gleichen Arbeitgeber; viele von ihnen haben bereits innerlich gekündigt. Das hat fatale Auswirkungen, denn unzufriedene, unmotivierte Mitarbeitende erbringen keine gute Arbeitsqualität, was erhebliche finanzielle Einbußen nach sich ziehen kann. Dass sich nur ein Drittel der Befragten ausreichend von ihren Vorgesetzten unterstützt fühlt, zeigt, welche Bedeutung gute Führung für die Loyalität hat.

Was verstehen Sie unter guter Führung?

Mitarbeitende wollen als Individuen wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Das setzt voraus, dass Führungskräfte ein echtes Interesse an der Persönlichkeitsstruktur ihres Mitarbeitenden haben. So braucht z.B. ein detailorientierter Mensch Fakten und Zahlen zum besseren Verständnis, während eine zurückhaltende Person Ermutigung braucht, um sich eine anspruchsvolle Aufgabe zuzutrauen. Diese bedürfnisgerechte und situative Führung sorgt dafür, dass sich Menschen emotional aufgehoben fühlen, und das erzeugt Bindung. Auch wenn es ein alter Hut ist: Es gibt unzählige Studienbelege dafür, dass Mitarbeitende weniger wegen ihrer Aufgaben oder aus Frust über das Unternehmen, sondern vielmehr aus Enttäuschung über ihren Vorgesetzten kündigen.

Was setzt eine bedürfnisorientierte Führung noch voraus?

Es setzt eine Haltung der positiven Absicht voraus. Diese Grundannahme stammt u.a. aus dem Facilitating. Geht eine Führungskraft mit dieser Haltung in ein Mitarbeitergespräch und ist sie gewillt, die Perspektive ihres Gegenübers nachzuvollziehen, kann sie mit Neugier und authentischem Interesse herausfinden, welche Beweggründe ein Arbeitnehmer hat, sich seiner Persönlichkeit entsprechend in einer bestimmten Situation zu verhalten. Folgende Fragen können zielführend sein: Was steckt dahinter, dass er oder sie die Aufgabe noch nicht bewältigen konnte? Wofür braucht sie mehr Informationen? Welche Unterstützung braucht er, um sich sicherer zu fühlen? Dadurch, dass Mitarbeitende merken, dass die Führungskraft nicht voreingenommen etwas annimmt oder unterstellt, sondern wohlwollend nachfragt und sich in den anderen einfühlt, entsteht Vertrauen – und das ist eine wichtige Voraussetzung für Loyalität.

Vielen Führungskräften leuchtet das ein, aber es hapert doch meist an der Umsetzung?

Das stimmt. Vielen erscheint diese Art der Führung als zu zeitaufwendig. Das ist auf den ersten Blick auch nachvollziehbar, denn Führungskräfte müssen komplexe Aufgaben bewältigen, derzeit viele Krisen managen und tragen zudem Ergebnisverantwortung. Viele Führungskräfte fühlen sich mit der Aufgabe überfordert, auf jeden Einzelnen einzugehen und nehmen sich schlichtweg nicht die Zeit. Andere glauben, dass sie bedürfnisorientiert führen, hören in Gesprächen aber nicht richtig zu und handeln oft reflexartig impulsiv. Dadurch setzen sie falsche Impulse und der Mitarbeitende wird sich nicht vertrauensvoll öffnen.

Was brauchen sie, damit sie ihre Rolle gut ausfüllen können?

Zunächst kommt es auf eine Rollenklarheit an. Viele Führungskräfte haben aufgrund ihrer fachlichen Leistungen diese Karrierestufe erreicht. Um eine gute Führungskraft zu sein, braucht es den klaren Willen, Menschen bedürfnisgerecht führen zu wollen. Stellen sie fest, dass sie sich in dieser Rolle sehr unwohl fühlen, sollten sie über eine Rückkehr in eine Expertenrolle oder über eine Doppelführungsspitze mit einer stärkenorientierten Aufgabenverteilung (fachlicher- oder Führungsfokus) nachdenken. Eine weitere Variante ist ein ressourcenorientiertes Coaching, bei dem die Führungskraft über einen vereinbarten Zeitraum onthejob begleitet wird.

Wie läuft ein solches Coaching ab?

Im ersten Schritt geht es darum, dass sich die Führungskraft ihrer Rolle und ihres eigenen Verhaltens bewusst wird. Das erfordert Selbstreflexion, verbunden mit der Frage: Wer will ich als Führungskraft sein und wie will ich von meinen Mitarbeitenden wahrgenommen werden? Visualisierungsmethoden wie Mindmapping oder Design Thinking bringen Klarheit und unterstützen dabei, auch die unbewussten Prozesse an die Oberfläche zu holen. Die Mindmap bietet z.B. eine gute Möglichkeit, um aufgelistete Fähigkeiten zu clustern und so bildlich vor Augen zu haben, wie ich als Führungskraft wirke. Im nächsten Schritt kann der- oder diejenige bspw. auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten, bei welchen Themen sie sich sicher fühlt und wo sie ins Wanken kommt. Ist die wertschätzende Kommunikation etwa ein wunder Punkt, können systemische Fragen den Coachee weiterbringen, z.B.: Woran würde der Mitarbeitende, der Ihnen nicht so nah steht, merken, dass Sie auch ihn wertschätzend führen? Was bräuchte derjenige und wie lässt sich das Dilemma zwischen den Anforderungen an die Führungsrolle und den persönlichen Vorbehalten lösen? Eine solche Herausforderungsanalyse deckt die Ursachen auf, die die Kommunikation mit diesem Mitarbeitenden erschweren. Im Coaching wird dann u.a. gemeinsam bearbeitet, was die Führungskraft triggert, impulsiv statt besonnen zu reagieren. Dabei spielen oft auch eigene Vorerfahrungen eine Rolle.

Was braucht es, um darauf aufbauend in den Lösungsfokus zu kommen?

Zielführend ist die „Wofür-statt-warum-Methode“. Warum-Fragen werden im beruflichen Kontext oft für Problemanalysen eingesetzt, und da sind sie auch wertvoll. Aber die Frage nach dem Grund bringt uns bei der Lösung oft nicht weiter, weil wir uns in der Vergangenheit bewegen, statt nach vorne zu schauen. Zudem führt sie zu einem gesprächsblockierenden Rechtfertigungsgefühl. Die Wofür-Frage ist viel besser geeignet, um von der vergangenheitsorientierten Problem- in die zukunftsorientierte Lösungsfokussierung zu kommen. Die Wofür-Frage entfaltet ein wertschätzendes Gefühl, weil wir uns wahrhaftig für die Absichten und Beweggründe des anderen interessieren, mit dem wir dann in die Lösung gehen können.

Arbeitgeber sind oft verunsichert, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen. Das Buch gibt ein umfassenden Einblick ins Thema.

Was bringt die Methode in Bezug auf das erläuterte Dilemma der Führungskraft?

Die Führungskraft kann sich fragen, wofür es gut ist, die persönlichen Vorbehalte gegenüber dem Mitarbeiter zu überwinden und sich Zeit für ein wertschätzendes Gespräch zu nehmen. Hilfreich dabei ist, sich zunächst zu fragen, was der Eigenanteil an der Geringschätzung des anderen ist. Durch die Selbstreflexion stellt die Führungskraft möglicherweise fest, dass sie hypothetisch angenommen hat, dass der Mitarbeiter keine Motivation hat, eine herausfordernde Aufgabe zu lösen. Möglicherweise ist dieser aber mit der fachlichen Aufgabe überfordert, weil er sie noch nicht richtig verstanden hat und ihm der Kontext fehlt. Mit der Beantwortung der Frage „Wofür hat unsere Firma den Großauftrag angenommen?“, kann die Führungskraft den Hintergrund eines Projekts und das Ziel vermitteln. So kann der Mitarbeitende das große Ganze sehen, seinen Anteil daran besser einordnen und mit dem Ziel in Resonanz gehen, weil er es als sinnhaft erlebt. Es lohnt sich, regelmäßige, z.B. wöchentliche, Treffen mit diesem Mitarbeiter zu vereinbaren, um weitere Rückfragen oder Unsicherheiten zu klären. Immer mit dem Fokus, ihn in seiner fachlichen Entwicklung zu fördern und auch, um eine verbindliche und zuverlässige Führungskraft zu sein und damit die Bindung zu stärken.

Welchen Wert haben gute interpersonale Beziehungen für die Organisation?

Gelingende Beziehungen sind ein starker Zufriedenheitstreiber. Wird das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Bindung und Zugehörigkeit gestärkt, sehen sie keinen Anlass, sich nach einem anderen Arbeitgeber umzuschauen. Denn bei einem Jobwechsel würde man die Beziehungen zu den Kolleginnen und Kollegen womöglich verlieren. Das bedeutet, dass Unternehmeneine Kultur etablieren sollten, die etwa durch Mentoring und Patensysteme die gegenseitige Unterstützung fördert und dadurch die Bindung untereinander stärkt. Auch das abteilungsübergreifende Arbeiten mit Schnittstellenfunktionen stärkt die kollegiale Kultur. In wirtschaftlicher Hinsicht lohnt sich diese Investition, denn eine höhere Zufriedenheit bedeutet auch weniger Kosten durch Fehler, Konflikte oder Fehlzeiten. Die wertschätzende Führung und Kommunikation sollten auf der Wertigkeitsskala weit oben stehen, denn sie haben einen großen Einfluss auf die Loyalität. Mitarbeitende, die sich weiterentwickeln können, outofthebox denken dürfen und ein vertrauensvolles Umfeld erleben, bleiben dem Unternehmen treu und werden auch in ihrem Netzwerk positiv über den Arbeitgeber berichten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Annette Neumann, freie Journalistin, Berlin.

Anke Stein-Remmert

Anke Stein-Remmert
Rechtsanwältin, Mediatorin, Businesscoach
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Seite 44 bis 45
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