Von Abrufarbeit spricht man, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat. Die Vereinbarung muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart (§ 12 Abs. 1 TzBfG).
Vor dem LAG Hamm stritten die Parteien über den Umfang der abzurechnenden monatlichen Arbeitsstunden. Die Mitarbeiterin war als „Mitarbeiterin auf Abruf“ eingestellt. Die Dauer der wöchentlich geschuldeten Arbeitszeit war nicht geregelt. Im Zeitraum 2018 und 2019 rief das Unternehmen die Arbeitsleistung nach Bedarf in schwankendem Umfang ab. In den Jahren 2020 und 2021 ging der zeitliche Umfang des Abrufs zurück. Das Unternehmen rechnete für August 2021 insgesamt 94,3 Stunden ab. Mit ihrer Klage macht die Mitarbeiterin Differenzlohnansprüche geltend und behauptet, sie sei in den Jahren 2018 und 2019 regelmäßig mit einer Arbeitszeit von 109,4 Stunden pro Monat beschäftigt gewesen. Die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten beiden Jahre vor dem Jahr 2020 sei aufgrund einer konkludenten Änderung der ursprünglichen Vertragsabrede Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden.
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Dem folgte das LAG Hamm nicht. Es legt vielmehr die in § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geregelte Wochenarbeitszeit von 20 Stunden zugrunde, da die Parteien trotz Vereinbarung von Abrufarbeit die wöchentliche Arbeitszeit nicht festgelegt haben. Eine konkludente vertragliche Vereinbarung der Arbeitszeit bzw. eine stillschweigende, über 20 Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit lag nicht vor. Entsprechende rechtsgeschäftliche Erklärungen lassen sich nicht aus dem Umfang ableiten, in dem die Klägerin tatsächlich zur Arbeit herangezogen wurde. Die konkludente Vereinbarung einer Arbeitszeit durch tatsächliche Heranziehung zur Arbeit liefe auf eine reine Fiktion hinaus. Erweist sich der Arbeitsvertrag hinsichtlich der Wochenarbeitszeit als lückenhaft, ist diese Regelungslücke durch Rückgriff auf das dispositive Recht, d. h. § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG zu füllen, nicht durch ergänzende Vertragsauslegung. Die Kammer verkennt nicht, dass eine Auffassung im Schrifttum, die eine ergänzende Vertragsauslegung annimmt, den betroffenen Arbeitnehmern dadurch einen höheren Schutz zu bieten versucht. Es mag aber Fälle geben, in denen ein Arbeitnehmer zwar durchaus für eine gewisse Zeit bereit ist, über die 20-Stunden-Grenze hinaus zu arbeiten, sich aber gleichwohl nicht dauerhaft an eine höhere Durchschnittsarbeitszeit binden möchte.
Das Gericht ließ die Revision zu. Denn die Rechtsfrage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung zur Arbeitszeit bei Abrufarbeit auf die Fiktion des Gesetzes zurückzugreifen oder eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen ist, hat grundsätzliche Bedeutung. Sie ist beim BAG unter dem Az. 5 AZR 30/23 anhängig (LAG Hamm, Urt. v. 29.11.2022 – 6 Sa 216/22).
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●Problempunkt
Die Klägerin ist als Mitarbeiterin auf Abruf beschäftigt. Eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit ist im Arbeitsvertrag
●Problempunkt
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