Bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelt es sich um eine Privaturkunde i. S. v. § 416 ZPO.
Danach begründen Privaturkunden, sofern sie von den Ausstellern unterschrieben oder mittels notariell beglaubigtem Handzeichen unterzeichnet sind, vollen Beweis dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind.
Gesetzliche Beweisregel für die Abgabe der Erklärung
Somit gibt § 416 ZPO nur eine gesetzliche Beweisregel für die Abgabe der Erklärung, nicht für die inhaltliche Richtigkeit.
Nach § 416 ZPO begründet die Privaturkunde nur in formeller Hinsicht den vollen Beweis dafür, dass die in ihr enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben sind.
Die Beweisregel erstreckt sich dagegen nicht auf den materiellen Inhalt der beurkundeten Erklärungen, also darauf, dass die in der Privaturkunde bestätigten tatsächlichen Vorgänge wirklich so geschehen sind, sie ergreift mithin nicht den Inhalt der Erklärung. Diese Frage unterliegt vielmehr der freien richterlichen Beweiswürdigung unter Auswertung aller Umstände nach § 286 ZPO (vgl. Gehle, in: Baumbach et al., Zivilprozessordnung, 68. Aufl.2010, Rn. 8 zu § 416 ZPO).
Die Rechtsprechung misst der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung demgegenüber einen höheren Beweiswert zu.
Rechtsprechung des LAG
So führt z. B. das LAG Niedersachsen in einer Entscheidung vom 13.10.2020 (10 Sa 619/19) in Rn. 17 aus, dass die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweis für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sei. Einer solchen Bescheinigung komme ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter könne normalerweise den Beweis, dass krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlegt.
Der Streitfall belegt, dass es sich lohnt, einen Sachverhalt bzgl. der Glaubwürdigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genauer zu untersuchen. Denn im vom LAG Niedersachsen entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis gekündigt und wurde am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, wobei die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasste.
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Rechtsprechung des BAG
In einem solchen Fall sieht auch das BAG den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert.
Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (BAG, Urt. v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21, vgl. hierzu ausführlich Folge 5 der neuen AuA-Podcast-Reihe „Kurz gefragt“ mit Dr. Jan Tibor Lelley, LL.M.).
Die Klägerin habe die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit im Streitzeitraum zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese sei das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt das dem Arbeitgeber, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.
Fristlose Kündigung
Im Übrigen kann das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber fristlos zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines Attestes der Arbeit fernbleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt (vgl. z. B. LAG Köln, Urt. v. 10.12.2020 – 8 Sa 491/20).
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Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes
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