Der Fall
Eine GmbH kündigte einer Mitarbeiterin. Das Kündigungsschreiben war von einem Prokuristen (Dr. H) und einer Handlungsbevollmächtigten (He) unterschrieben. Der Prokurist hatte mit „ppa.“ gezeichnet, die Handlungsbevollmächtigte mit „i. V.“ Beide hatten Gesamtvertretungsmacht. Der Prokurist durfte die Gesellschaft zusammen mit einem Geschäftsführer oder einem zweiten Prokuristen vertreten, die Handlungsbevollmächtigte „in allen Personalangelegenheiten zusammen mit einem Geschäftsführer, einem Prokuristen oder einem anderen Handlungsbevollmächtigten“. Dem Kündigungsschreiben war ein Original der Handlungsvollmacht der Personalreferentin beigefügt. Laut Tatbestand im arbeitsgerichtlichen Urteil ließ die Klägerin die Kündigung binnen sechs Tagen nach Eingang des Kündigungsschreibens durch ihren Anwalt mangels ordnungsgemäßer Vollmacht im Original zurückweisen und bestreiten, dass Dr. H und He zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt waren, und erhob Kündigungsschutzklage.
Das ArbG Berlin (Urt. v. 4.1.2017 – 39 Ca 10946/16)und das LAG Berlin (Urt. v. 21.6.2017 – 17 Sa 180/17) gaben der Klage statt. Die Kündigung sei gem. § 180 Satz 1 BGB rechtsunwirksam. Dr. H sei zum Ausspruch der Kündigung nicht bevollmächtigt gewesen und eine nachträgliche Genehmigung nach § 180 Satz 2 BGB komme wegen der unverzüglichen Beanstandung der Vertretungsmacht nicht in Betracht.
Nach den Vorgaben des Arbeitgebers habe die Kündigung nur von zwei Personen gemeinschaftlich („Gesamtvertretung“) ausgesprochen werden können. Um § 180 Satz 1 BGB Genüge zu tun, hätten damit alle Gesamtvertreter zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt sein müssen. Die Handlungsvollmacht bestimme eindeutig, dass He nur zusammen mit einer anderen vertretungsberechtigten Person handeln könne. Sie könne nicht dahin ausgelegt werden, dass nur ein internes Einverständnis eines zweiten Prokuristen vorliegen müsse. Dr. H sei nicht allein vertretungsberechtigt. Die Mitgliedschaft in der Geschäftsleitung besage nichts über Allein- oder Gesamtvertretung. Das bei der Beklagten geltende Vier-Augen-Prinzip spreche gegen Alleinvertretung. He habe sich zwar im Rahmen ihrer Vollmacht („zusammen mit einem Prokuristen“) gehalten. Dr. H sei aber nicht bevollmächtigt, gemeinsam mit He eine Kündigung auszusprechen.
Die Kündigung sei deshalb unwirksam. Da die Klägerin die Vertretungsmacht unverzüglich (innerhalb von fünf Tagen) beanstandet habe, könne die Beklagte sie auch nicht nach § 180 Satz 2 i. V. m. § 177 Abs. 1 BGB genehmigen.
§§ 174 und 180 BGB
Die Klägerin greift die Kündigung gleich doppelt an: durch Zurückweisung mangels ordnungsgemäßer Vollmacht im Original nach § 174 BGB und durch das Bestreiten einer wirksamen Bevollmächtigung von Dr. H und He nach § 180 BGB.
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§ 174 BGB, der neben dem allgemeinen und dem besonderen Kündigungsschutz und der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG zu einer dritten Säule im Kündigungsschutz geworden ist, erklärt ein einseitiges Rechtsgeschäft für unwirksam, „wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist.“ Die Norm will zugunsten dessen, der an einem Rechtsgeschäft nur passiv als Adressat beteiligt ist, klare Verhältnisse schaffen. Er soll nicht nachforschen müssen, welche Stellung der Erklärende hat und ob er tatsächlich bevollmächtigt ist. Gewissheit kann der Erklärende entweder durch Vorlage der Vollmacht oder dadurch herstellen, dass er den Adressaten vorher von der Bevollmächtigung in Kenntnis setzt.
§ 174 BGB schützt den Erklärungsempfänger nicht davor, dass er Zweifel an der Vollmacht hat. Hat er Zweifel, muss er die Vertretungsmacht beanstanden (§ 180 Satz 2 BGB). Ob die Zurückweisung einer Vollmacht i. S. d. § 174 BGB zugleich eine Beanstandung i. S. d. § 180 Satz 2 BGB ist, ist eine Frage der Auslegung. Da die Zurückweisung wegen der Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde erfolgen muss, die Beanstandung aber wegen Zweifeln, ist Vorsicht geboten.
Handlungsvollmacht für den Prokuristen
Die Berliner Gerichte befassten sich nur mit der Beanstandung der Vollmacht (§ 180 Satz 2 BGB) und prüften demgemäß deren Wirksamkeit (§ 180 Satz 1 BGB). So gingen sie davon aus, dass Dr. H. und He als Gesamtvertreter handelten und dass demnach jeder für sich entsprechende Vollmacht haben musste. Die Gerichte verneinten Gesamtvertretungsberechtigung, da Dr. H laut Handelsregister nur gemeinsam mit einem Mitglied der Geschäftsleitung oder einem Prokuristen handeln konnte. Sie haben übersehen, dass Dr. H durch die Erteilung der Vollmacht an He – zusätzlich zu seiner Prokura – Handlungsvollmacht erteilt wurde. Das ist grundsätzlich möglich. Zwar ist eine Prokura unter Bindung des Prokuristen an die Mitwirkung eines Handlungsbevollmächtigten eine unzulässige Beschränkung nach § 50 HGB. Zulässig ist jedoch, dass dem Prokuristen gleichzeitig eine Gesamthandlungsvollmacht (§ 54 HGB) mit einem Handlungsbevollmächtigten für einen bestimmten Kreis von Geschäften erteilt wird. So hat der BGH bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1961 (Urt. v. 23.2.1961 – II ZR 165/59) entschieden: „Teilt eine Handelsgesellschaft ihrer Bank auf dem banküblichen Unterschriftsblatt mit, dass ihr Handlungsbevollmächtigter gemeinsam mit dem Prokuristen für die Gesellschaft unterzeichnen darf, so ist davon auszugehen, dass dadurch dem – im Übrigen nur mit einem Gesellschafter zeichnungsberechtigten – Prokuristen Handlungsvollmacht für den Bankverkehr zusammen mit dem Handlungsbevollmächtigten erteilt ist.“
Somit war die Kündigung weder wegen Zurückweisung (§ 174 Abs. 1 BGB, eine Vollmachtsurkunde war vorgelegt) noch mangels rechtswirksam bestehender Vollmacht (§ 180 Abs. 1 BGB) unwirksam.
Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes
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