Geleitwort: „Arbeitsrecht digital“

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Prof. Dr. Frank Maschmann Universität Regensburg/Karlsuniversität zu Prag
Prof. Dr. Frank Maschmann Universität Regensburg/Karlsuniversität zu Prag

Deutschland ist angekommen in der Welt der digitalen Ökonomie. „Big Data“, „Smart Factory“ und „Internet der Dinge“ sind in aller Munde. Hochautomatisierte Produktionsketten, bei denen virtuelle und reale Prozesse auf der Basis „cyber-physischer Systeme“ (CPS) miteinander verschmelzen, sind in vielen Betrieben Realität. Werkstücke und Produkte werden mit preisgünstigen RFID-Chips ausgestattet und können autonom mit Maschinen und Geräten in Kontakt treten. Kontroll- und Steuerungsdaten sind in „Echtzeit“ verfügbar und steigern die Effizienz der Abläufe. Virtuelle Plattformen, vor allem im Dienstleistungsbereich, ermöglichen den neuen Playern der digitalen Ökonomie, etablierte Märkte anzugreifen. Die Prozesse werden schneller und internationaler, die Hierarchien flacher und flexibler, die Mitarbeiter selbstbestimmter und stärker gefordert. Fast jede Branche durchläuft ihre digitale Transformation. Und das mit rasanter Geschwindigkeit.

Der größte Vorteil digitaler Arbeit besteht sicher darin, dass der Produktionsprozess nicht mehr die körperliche Anwesenheit aller Akteure an einem bestimmten Arbeitsort erfordert. Schon heute arbeiten viele Mitarbeiter über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg rund um die Uhr in Teams, die von Projekt zu Projekt mit Kollegen von überall her jeweils neu zusammengestellt werden. Deshalb muss man über Möglichkeiten und Grenzen einer Reform des betrieblichen Arbeitszeitregimes nachdenken, die auch die (Teil-)Zeitwünsche des Personals angemessen berücksichtigt. Leider will man davon in EU-Europa nichts wissen. Die angekündigte Novellierung der Arbeitszeitrichtlinie steckt seit Langem fest. Und mit der vom EuGH vor Kurzem angeordneten (Urt. v. 14.5.2019 – C-55/18) strikten Arbeitszeiterfassung, die in der Richtlinie gar nicht vorgesehen ist, sondern von den Luxemburger Richtern (die selbst natürlich keinen Arbeitszeitbeschränkungen unterliegen) einfach dort hineingelesen wurde, werden die bekannten Probleme ja nicht gelöst, sondern nur sehr viel transparenter.

Wenn die Arbeit in Zukunft weitgehend weisungsfrei geschieht, weil sie sich allein an der übernommenen Aufgabe orientiert, die sich der Arbeitende selbst sucht und organisiert, und nur noch das Arbeitsergebnis zählt und nicht mehr das sture Absitzen der Arbeitszeit, wird die Abgrenzung zwischen Arbeitsvertrag und „Selbstständigenvertrag“ nach den traditionellen Kriterien immer schwieriger. Deshalb sollte man auch darüber nachdenken, ob mit dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ gebrochen werden muss – konkret: dass es vollen Sozialschutz nur beim digitalen Arbeitsverhältnis gibt, nicht aber bei den sog. Soloselbstständigen.

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Unter Druck gerät auch das Gesamtkonzept des Arbeitsrechts, das bislang von einer weitgehend statischen Arbeitswelt ausgeht. Seine Anknüpfungspunkte, wie der „Betrieb“ und der „Arbeitsplatz“, sind räumlich und organisatorisch genau zu bestimmen; es gibt eindeutig identifizierbare Arbeitgeber und Vorgesetzte sowie klar umrissene Arbeitsaufgaben. In der digitalen Arbeitswelt wird all das fraglich. „Matrix-Organisationen“, Industrieparks und Just-in-time-Produktion bergen die Gefahr, dass Entscheidungen nicht mehr vom Arbeitgeberselbst, sondern unternehmensübergreifend im Ausland getroffen werden. Damit kommt den Belegschaftsvertretungen der Ansprechpartner abhanden.

Im Mittelpunkt der Digitalisierung stehen aber die Daten. Das Volumen der Speicherkapazität ist schlicht überwältigend: Schätzungen gehen davon aus, dass das digitale Universum im Zeitraum von 2003 bis 2020 um den Faktor 300 wächst. Man nimmt an, dass die Menschheit heute innerhalb von zwei Tagen so viele Daten generiert wie in ihrer gesamten Geschichte vor dem Jahr 2003. Parallel zum Datenwachstum verbessern sich die Algorithmen zur Datenanalyse. Screening, Scoring und Profiling sind auch im Personalwesen auf dem Vormarsch. Und praktisch jeder HR-Prozess lässt sich automatisieren. Damit fallen Millionen sensibler Daten an, die Wege zu einem fast gläsernen Mitarbeiter eröffnen. Das zu verhindern, ist Aufgabe des Beschäftigtendatenschutzes. Wegen der drakonischen Bußgelder, die dem Verantwortlichen bei „Datenpannen“ drohen, kann dessen Bedeutung nicht hoch genug veranschlagt werden.

Fazit: Ein modernes Arbeitsrecht für die digitale Arbeitswelt zu schaffen, ist wichtiger denn je. Es gerecht und zukunftsweisend zu gestalten, kann für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas entscheidend werden.

Prof. Dr. Frank Maschmann

Sprecher des Beirats,
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Seite 324
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