Geleitwort: Bitte einmal Wandel ohne Angst
Milchgetränke ohne Laktose, Nudeln ohne Gluten, Deo ohne Aluminium – unser Konsumverhalten ist stark auf „ohne“ eingestellt. Jetzt müssen wir noch ein wirklich großes „ohne“ schaffen, den Wandel unserer Arbeitswelt ohne Angst.
Wir haben uns dank kluger Reformen, guter Konjunktur und demografischer Entwicklung von einstiger Massenarbeitslosigkeit und dem Bild des „kranken Mannes“ Europas hin zum deutschen Jobwunder mit den niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit 1991 entwickelt. Die Arbeitslosenquote im Mai betrug 4,9 %, in einigen Regionen besteht bereits Vollbeschäftigung. Dieser Wandel im Arbeitsmarkt führt heute zu einem erheblichen Wettbewerb der Unternehmen um begehrte Arbeits- und Fachkräfte. Wo Arbeitgeber früher unter zahlreichen Bewerbern aus dem Vollen schöpfen konnten, sehen sich heute viele in gewandelter Rolle als Bewerber um die begehrte Fachkraft.
Gleichzeitig verändern Digitalisierung und Strukturwandel unsere Arbeitswelt erheblich. Die komplette Dimension können alle Akteure noch gar nicht genau absehen. Unser Forschungsinstitut, das IAB, sagt, dass im Zuge der Digitalisierung ca. 1,5 Millionen Beschäftigungen wegfallen und gleichzeitig ca. 1,5 Millionen neu entstehen. Rein mathematisch geht diese Rechnung auf. Tatsächlich wird sich jedoch nur ein kleiner Teil der Menschen, die heute eine der wegfallenden Tätigkeiten ausüben, mit ihrem Qualifikationsprofil automatisch in einer der neu entstehenden Tätigkeiten wiederfinden. Das sind keine Selbstläufer.
Profitieren Sie vom Expertenwissen renommierter Fachanwält:innen, die Sie über aktuelle Entscheidungen des Arbeitsrechts informieren. Es werden Konsequenzen für die Praxis benannt und Handlungsempfehlungen ausgesprochen.
Um so viele Menschen wie möglich mit in die digitalisierte, neue Arbeitswelt zu nehmen, braucht es die richtigen Qualifikationen. Wir müssen also gemeinsam die Profile, Fähigkeiten und Kompetenzen identifizieren, die die digitale Arbeitswelt erfordert – und das ist keineswegs nur technisches Know-how. Vieles bewegt sich im Bereich der Arbeitsmethodik und auch an Führungskräfte werden neue Anforderungen gestellt. Diese Fähigkeiten und Kompetenzen sollten dann in Aus- und Weiterbildungskonzepte einfließen und stärkere Berücksichtigung bei Auswahl- und Personalentwicklungskonzepten finden. Außerdem ist es eine Herausforderung, eine neue Lern- und Qualifizierungskultur zu verankern, die nicht defizitorientiert ist, sondern von Wertschätzung, Neugier und Gestaltungswillen geprägt ist.
Klingt abstrakt logisch, aber wie kann das für unsere Wirtschaft praktisch funktionieren? Das klappt nur, wenn es gelingt, den Wandel der Arbeitswelt chancenorientiert und ohne Angst anzugehen. Und das wiederum gelingt nur, wenn die entscheidenden Player in diesem Wandel ihre Rolle finden und wahrnehmen. Auf einer großen Veranstaltung zur Digitalisierung hat sich Ende Mai der Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Chemie, Dr. Kai Beckmann, hierzu klar positioniert, dass es jetzt Aufgabe und Verantwortung der Sozialpartner sei, diesen Wandel miteinander zu gestalten. Schließlich könnten diese am besten alltagstaugliche Lösungen finden. Das kann nur unterstrichen werden und die Zeit drängt – Arbeitgeber, Sozialpartner, Ausbildungseinrichtungen, Wissenschaft und die BA. Wir verstehen uns hierbei übrigens als Berater, Koordinator und Unterstützer der Kunden, die nicht nur Arbeitslose sind, sondern ebenso Arbeitgeber und Beschäftigte.
Seit Januar 2019 besteht über das Qualifizierungschancengesetz erstmals die Möglichkeit, die Weiterqualifizierung von Beschäftigten unabhängig von Betriebsgröße und deren Vorqualifizierung finanziell zu unterstützen, wenn der Arbeitsplatz von der Digitalisierung betroffen ist. Wir sprechen hierbei auch nicht wie der Blinde von der Farbe. Als große Arbeitgeberin mit fast 100.000 Kolleginnen und Kollegen sind wir selbst mitten im Wandel. Das umfasst neue Arbeitsmethoden wie Scrum, Design Thinking und neue Lernformen wie unsere internen Lerncoaches. Um Akzeptanz für diesen Wandel zu schaffen und ihn ohne Angst zu meistern, setzen wir auf die enge, hierarchieübergreifende Einbindung der Kolleginnen und Kollegen quer durch die Organisation, z. B. bei unserem neuen Kulturleitbild. Das macht den Prozess vorne nicht schneller, aber letztlich praxistauglich, echt, nachhaltig und ohne Angst.
Valerie Holsboer

Valerie Holsboer

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