Geleitwort: Evolution der HR-Funktion

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Univ.-Prof. Dr. Volker Stein Bild: J. Ginsberg
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Stellen Sie sich die Smart Factories vor, die in unseren produzierenden Branchen entstehen: komplett durchdesignte, modularisierte Fertigungsprozesse, gesteuert über cyber-physikalische Systeme, so viele autonome Echtzeitentscheidungen wie möglich, komplett sensorüberwacht, datenoptimiert, mit Blockchain-basierten Zahlungsströmen, und die mitarbeitenden Menschen kommen aus der WorkCloud.

Für das Personalmanagement bestehen – teilweise vollkommen neu zu denkende – menschenbezogene Herausforderungen: zu verändernde Fabriklayouts, die Wissensweitergabe zwischen lebenslang lernenden Menschen und selbstlernenden Maschinen und umgekehrt, die mögliche Beeinträchtigung unternehmenskultureller Nachhaltigkeit und Arbeitsethik vor dem Hintergrund der Faktorkostenminimierung und vieles mehr. Auf welche Arbeitswelt läuft dieses Szenario hinaus? Wer wird in Unternehmen letztlich darüber entscheiden? Und muss sich nicht die Personalfunktion fundamental verändern?

Bislang hat das Management ihren Referenzpunkt von Automatisierung in der Technologie. Davon wird alles Übrige abgeleitet: die Ausformung der digitalen Prozesse und nachgelagert der Personaleinsatz. Das Personalmanagement hingegen richtet sich traditionell auf Menschen und soziale Steuerung aus und hat die Automatisierung sowie die Beschaffung und den Einsatz von Robotern nur untergeordnet auf dem Radarschirm. Es überlegt sich häufig eher, wie es die Mitarbeiter vor den Folgen der Digitalisierung schützen kann, als offensiv die Digitalisierungspotenziale zu nutzen.

Es besteht die Befürchtung, dass in Bezug auf das Arbeiten die Menschen das Wettrennen gegen Maschinen verlieren könnten: Die einzelnen Roboter werden nicht nur dramatisch billiger, sondern in Verbindung mit künstlicher Intelligenz und Automatisierung auch leistungsfähiger; zudem arbeiten sie konstant und fehlerfrei und sie wären dann die perfekten Jobkiller. Dies relativieren allerdings Forscher, die betonen, dass auch weiterhin nur die Menschen kreativ, beurteilend, sozial empathisch und situationskompetent sein werden – und dass gerade im Zuge der Digitalisierung viele neue Arbeitsaufgaben entstehen, die diese originär menschlichen Arbeitsattribute erfordern.

Diese Debatte gefällt mir schon ganz grundsätzlich nicht: Unausgesprochene Annahme ist, dass Arbeit ein Win-lose-Nullsummenspiel zwischen Maschine und Mensch ist – wenn eine Seite hinzugewinnt, werde die andere Seite verlieren.

Was wäre die Win-win-Lösung? Unser Vorschlag: Lasst uns doch – beginnend in den Smart Factories – Human Resource- und Automation Resource Management integrieren zu einer neuen betrieblichen Funktion „Human Automation Resource Management“ (HARM). Die HARM-Funktion

  • kann in Zeiten, in denen menschliche Qualifikation und Automatisierungsressourcen knapp und teuer sind, über beide Ressourcen unter Berücksichtigung ihrer Wechselwirkungen entscheiden und hat damit mehr Flexibilitätsspielräume;
  • kann in Zeiten der Prozessbeschleunigung schnell reagieren, weil bei Entscheidungen aus einer Hand Informationsasymmetrien gar nicht erst entstehen;
  • kann im digitalen Wandel grundlegend den Sinn vermitteln, wie Menschen und Maschinen in der Zukunft gemeinsam gedacht werden, was betriebliche Zukunftsrisiken minimiert und auf die Unternehmenskultur zurückwirkt.

Kurz: Die HARM-Funktion kann die Synergien zwischen Mensch und Maschine heben.

Diese Evolution der Personalfunktion bedeutet Umdenken und Engagement. So sind bewusst die strategischen Synergien in den Blick zu nehmen, z. B. durch die simultane Planung modularisierter automatisierter Prozesse mit den dezentralisierten und mobilisierten Personalprozessen, durch die Abstimmung der Automatisierungs- mit menschlichen Lernfortschritten, durch das Zusammenführen der Sprachsysteme von Menschen und Maschinen, durch eine zeitgemäße HARM-Governance und durch die ständige Motivation aller Beteiligten zum konstruktiven Vorwärtsdenken. Dies alles vor dem Hintergrund eines arbeitsrechtlichen Rahmens, der erst zögerlich begreift, dass er nicht nur Digitalisierungsbremser sein darf.

Alles Zukunftsmusik? Die neue Digitalisierungsrealität ist doch schon da! Und die synergetische Ressourcensteuerung 4.0 ist nicht Kür, sondern Pflicht.

Univ.-Prof. Dr. Volker Stein

Univ.-Prof. Dr. Volker Stein
Inhaber des Lehrstuhls für Personalmanagement und Organisation, Universität Siegen, Gründungsvorstand der Universität Siegen Business School
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Geleitwort: Evolution der HR-Funktion
Seite 132
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