Nachhaltig, fair und sozial sind drei viel gebrauchte Attribute im Koalitionsvertrag der neuen Regierung, auch im Kapitel „IV. Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt“ (S. 65–88 Koalitionsvertrag). Nachhaltig, fair und sozial wird die Arbeitswelt aber nur, wenn das Recht auf menschenwürdige Arbeit und damit ein Erwerbsleben im Einklang mit dem eigenen Familienleben gewährt wird. Im Koalitionsvertrag bleibt hinsichtlich eines familienfreundlichen Arbeitsrechts vieles vage.
Nach den Vorstellungen der Koalitionäre sollen vor allem berufliche Chancen ermöglicht sowie Sicherheit und Flexibilität in Einklang gebracht werden (a. a. O., S. 67). Den Bedarfen von Beschäftigten an einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung soll durch flexiblere Arbeitszeitmodelle entsprochen werden. Beschäftigten soll zudem ein Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten eingeräumt werden, wobei der Arbeitgeber dem Änderungswunsch nur bei entgegenstehenden betrieblichen Belangen widersprechen können soll. Das ist grundsätzlich positiv. Wie stark ein solcher Erörterungsanspruch dann praktisch ist, hängt von der Gewichtung der zu berücksichtigenden, wechselseitigen Interessen hinsichtlich der Änderung der Arbeitszeit ab. Und hier bleiben die Aussichten undeutlich. Denn inwieweit solche Rechte zur Verhandlung über Arbeitszeit und Arbeitsort gerade auch Menschen mit gleichzeitigen Sorgepflichten die Vereinbarkeit erleichtern sollen, lässt das Kapitel zur Arbeitswelt leider ganz offen. Das verwundert, denn es sind bekanntermaßen vor allem starre Organisationsformen in den Betrieben, die für Eltern oder pflegende Angehörige häufig zum Ausschluss von einer gleichberechtigten Erwerbsteilhabe führen. Der Koalitionsvertrag negiert dies nicht, hält sich aber leider auch stark zurück.
Die große Herkulesaufgabe der besseren Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit ist dann knapp im Abschnitt zur „Ökonomischen Gleichstellung“ und vor allem mit dem Instrument „Brückenteilzeit“ angesprochen (S. 117). Brückenteilzeit ist ein Baustein von vielen, um Erwerbsbiografien trotz nötigerWork-Life-Balance ertragreich und stabil fortführen zu können. Angesichts des bekannten Risikos für Frauen, ab der Geburt des ersten Kindes im Erwerbsleben deutlich benachteiligt zu werden, findet sich aber auch hier im Koalitionsvertrag wenig Konkretes. Menschen mit Sorgeverantwortung brauchen in bestimmten Lebensphasen nicht nur Teilzeit mit Rückkehrsicherheit, sondern vor allem mehr zeitliche Souveränität (vgl. deutlich dazu im 8. Familienbericht, S. 20 ff.). Im Kapitel „V. Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang“ (a. a. O., ab S. 93) heißt es, dass Eltern unterstützt werden sollen, Erwerbs- und Sorgearbeit gerechter untereinander aufzuteilen. Konkret wird Elterngeld als Steuerungsinstrument für mehr Partnerschaftlichkeit angesprochen (vgl. a. a. O., S. 100). Das heißt aber wiederum auch, dass Partnerschaftlichkeit vorrangig als eine individuell zu lösende Aufgabe verstanden wird. Auch das würde der Gestaltungsverantwortung des Gesetzgebers nicht gerecht, denn der Gesetzgeber muss schon wegen Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG dafür sorgen, dass Frauen und Männer tatsächlich gleiche Chancen zur Erwerbsteilhabe vorfinden. Sorgearbeit darf nicht länger stereotyp den Frauen zugeschrieben werden. Die moderne Arbeitswelt muss, zum Schutz von Frauen vor geschlechtsbezogener Diskriminierung, Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilität für alle Sorgeleistenden gewährleisten. Familie ist künftig stärker als bisher auch im Ressort des BMAS mitzudenken. Die Digitalisierungsvorhaben der neuen Regierung werden die Digitalisierung der Arbeitswelt vorantreiben. Das birgt Risiken und Chancen zugleich. Vorschläge für eine geschlechtergerecht gestaltbare digitale Arbeitswelt liegen vor (vgl. 3. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung). Mithilfe derer können die o. g. blinden Flecken im Koalitionsvertrag geschlossen und die Arbeitswelt tatsächlich i. S. d. Generationen von morgen nachhaltig, fair und sozial gestaltet werden.
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Prof. Dr. Katja Nebe
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