Meinung: Der Mangel an Kitaplätzen gefährdet unsere Zukunft

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Linda Brack, Diversity- und Organisationsberaterin sowie Moderatorin und Gründerin von #Frauenmacht Bild: Cherie Birkner
Linda Brack, Diversity- und Organisationsberaterin sowie Moderatorin und Gründerin von #Frauenmacht Bild: Cherie Birkner

Die aktuelle Kitakrise in Deutschland, trotz eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz, offenbart eine erschreckende Notlage: Die steigende Nachfrage übertrifft bei Weitem das vorhandene Angebot. Bundesweit fehlen laut einer Bertelsmann-Studie aus November 2023 430.000 Betreuungsplätze.

Auch mein persönliches Erleben verdeutlicht, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Als mein Sohn geboren wurde, stand für mich fest: Nach einem Jahr Elternzeit möchte ich wieder arbeiten. Doch dieser Plan wurde durch die Realität durchkreuzt. Ein fehlender Kitaplatz und eine kurzfristige Absage aufgrund von Personalmangel stellten uns vor unerwartete Herausforderungen. Wir planten neu und konnten die Situation zum Glück finanziell und mit einer alternativen Betreuung auffangen. Letztendlich konnte mein Sohn erst mit 20 Monaten in die Kita gehen, während ich die Sorgearbeit zu Hause übernahm und mein Freund die Erwerbsarbeit leistete.

Unsere Situation ist keinesfalls ein Einzelfall. Viele Familien in Deutschland stehen vor ähnlichen Problemen, wobei oft die Frauen die unbezahlte Care-Arbeit übernehmen und dadurch auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Eine Prognos-Studie zeigt, dass rund 840.000 Arbeitskräfte aufgrund fehlender Betreuung zu Hause bleiben und gerne wieder arbeiten würden. Die Folgen dieser Entwicklung sind frustrierend und alarmierend. Frauen, die aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten zu Hause bleiben, leiden später oft unter Altersarmut, eingeschränkten Karrierechancen und arbeiten häufig nur in Teilzeit. Dies führt zu schlechteren Einstellungschancen und Gehältern sowie zahlreichen unbesetzten Stellen. Darüber hinaus legt sich ein veraltetes Rollenmodell fest, in dem Frauen zu Hause bleiben, während Männer arbeiten – ein Rückschritt in der Gleichstellung und kein Vorbild für unsere Kinder.

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Zusätzlich zu den fehlenden Betreuungsplätzen wird die Krise durch einen weiteren Aspekt verschärft: Selbst wenn ein Platz vorhanden ist, kommt es oft vor, dass Eltern gebeten werden, ihre Kinder früher abzuholen oder wenn möglich sogar zu Hause zu behalten, da Personal besonders in den Wintermonaten wegen Krankheit ausfällt. Diese Unsicherheit und erwartete Flexibilität setzt Eltern zusätzlich unter Druck und erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erheblich. Wer Homeoffice nehmen und die Kinder früher abholen oder gar ganz zu Hause betreuen kann, wird dazu angehalten.

Die Politik bleibt hier tatenlos. Es ist dringend notwendig, in die frühkindliche Bildung zu investieren, zusätzliches Personal einzustellen und die Rahmenbedingungen für pädagogische Fachkräfte zu verbessern – und zwar jetzt! Nur so kann die Attraktivität des Berufs gerettet und der Teufelskreis des Personalmangels durchbrochen werden. Aktuell werden Erzieher:innen regelrecht „verbrannt“, was sowohl erfahrene Fachkräfte als auch potenzielle Neueinsteiger:innen abschreckt.

Es ist an der Zeit zu erkennen, dass es nicht nur um die Herausforderungen einzelner Familien geht, sondern um den gesamten Arbeitsmarkt und die Zukunft unserer Gesellschaft. Die Kitakrise zeigt uns, dass es 5 nach 12 ist. Wir müssen handeln – für uns Eltern, für den Arbeitsmarkt und für unsere Zukunft. Eine Investition in frühkindliche Bildung ist eine Investition in eine gerechtere Gesellschaft, eine florierende Wirtschaft und eine nachhaltige Zukunft. Es braucht eine starke Bewegung aus Eltern, Erziehern und Unternehmern, die den notwendigen Druck auf die Politik ausübt, ähnlich wie es die Bauern und Bäuerinnen mit ihren Traktoren getan haben. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir die Bobbycars herausholen und für die Zukunft unserer Kinder und einen starken, gleichberechtigten Arbeitsmarkt auf der Straße kämpfen.

Linda Brack

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