Meinung: Diversity erfordert Konfliktkompetenz
„Mittlerweile werden doch die Männer benachteiligt!“ Haben Sie diesen Satz schon einmal gehört? Falls nicht, sind Sie wahrscheinlich nicht im „Diversity-Bereich“ tätig. Hier kommt man an dieser Aussage seit einiger Zeit nicht mehr vorbei.
Sie ist aber nur ein plakatives Beispiel dafür, dass „Diversity“ Zumutungen für uns bereithält. Eine Tatsache, die selten ausgesprochen wird – und wenn, dann entweder hinter vorgehaltener Hand („Kann man ja nicht mehr laut sagen heutzutage“) oder – wie oben – in Situationen, in denen es für ein konstruktives Gespräch schon zu spät ist, die Fronten verhärtet sind.
Was genau es uns persönlich schwer macht, ist dabei ganz verschieden. Jede*r stößt an anderen Stellen an die Grenzen des bisher Erlernten, Erfahrenen, Nichthinterfragten. Aufreger gibt es genug: Gendern. Barrierefreie Büros. Unisex-Toiletten. Worte, die wir nicht mehr verwenden sollten, wenn wir andere nicht verletzen wollen. Teamfotos, für die wir auf Social Media kritisiert werden. Widerspruch, Erwartungen, Forderungen von Gruppen, die bisher in Unternehmen kaum wahr- geschweige denn ernst genommen wurden.
Schnell fühlen wir uns angegriffen, missverstanden, im Rechtfertigungszwang oder schlicht genervt: Muss ich mich damit jetzt auch noch auseinandersetzen? Ständig neue Begriffe und Kürzel lernen? Jedes Wort auf die Goldwaage legen? Ich hab’s ja gar nicht so gemeint! Und der Standardsatz: Haben wir denn keine größeren Probleme?!?
Ich denke: Nein, haben wir nicht. Nicht erlebte Wertschätzung und Einbindung, oder schlimmer, Ausschluss, Diskriminierung, fehlende Zugänge und die dahinterstehenden Machtstrukturen und Deutungshoheiten: Sind das nicht letztlich die „Zutaten“ jedes beliebigen Konflikts und jeder menschengemachten Krise auf dieser Welt?
Aber um ganz in der Nähe zu bleiben: Denken Sie an Ihr persönliches Umfeld. Diversität ist Fakt, überall wo verschiedene Menschen zusammenkommen. Unterschiedliche Geschichten, Erfahrungen, Perspektiven und damit: unterschiedliche Bedürfnisse, Positionen und Interessen. Et voilà: jede Menge Konfliktpotential.
Nun mögen wir keine Konflikte. Ich bin da keine Ausnahme. Ich strebe nach Harmonie. Konflikte belasten mich, arbeiten in mir, halten mich nachts wach. Ich versuche nach Kräften, sie zu vermeiden.
Allerdings habe ich mir fest vorgenommen, genau das zu ändern. Konflikte neutraler zu betrachten. Sie nicht mit Streit gleichzusetzen, sondern ihnen neugierig zu begegnen: „Aha, ein Konflikt. Mal sehen, wie ich damit jetzt umgehe.“
Denn Konflikte bringen zu Tage, was unter der Oberfläche schon lange rumort. Ist der Konflikt da, liegt das Problem auf dem Tisch und wir haben die Chance, eine Lösung zu finden. Bleibt er im Verborgenen, verlieren wir: die Möglichkeit zur Klärung, zur Weiterentwicklung, zur Verbesserung der Situation. Oder – aus Unternehmenssicht – Motivation, Loyalität oder gleich die Mitarbeitenden. Am und mit dem Konflikt können wir arbeiten. Wir können versuchen, einander besser zu verstehen, indem wir zuhören, nachfragen, aktiv die Perspektive wechseln.
Im Idealfall finden wir Lösungen, die die Situation für alle Seiten verbessern. Im Zweifel haben wir es zumindest versucht und dabei gelernt. In jedem Fall entsteht Energie, die wir für Veränderung nutzen können – unsere eigene und die von Unternehmenskulturen. Wenn wir in Unternehmen besser mit Diversität umgehen wollen, wirklich offene und durchlässige Strukturen schaffen wollen, kommen wir um diese Auseinandersetzung mit uns selbst und anderen sowieso nicht herum. Also nehmen wir es doch positiv und holen das Beste heraus.
Darum: Ein Hoch auf den Konflikt! Er hilft uns, macht uns besser, zwingt uns zum Lernen und Umdenken und ist sowieso Teil eines jeden Veränderungsprozesses. Und wer weiß, vielleicht erkennen wir am Ende, dass wir alle gewinnen?
Ich persönlich glaube daran und wünsche uns allen im positivsten Sinne: frohes Streiten.
Isabelle Hoyer

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