Konflikte im Veränderungsprozess nutzen
Warum wird die Konfliktarbeit in Changeprozessen vernachlässigt?
Viele Unternehmen betrachten die Konfliktarbeit als zusätzlichen Kostenblock im Changeprozess. Diese Denkweise geht allerdings nach hinten los, denn es kostet die Unternehmen doppelt so viel, wenn sie das Konfliktthema nicht von vornherein miteinbeziehen und einen externen Mediator erst dann beauftragen, wenn bereits handfeste Konflikte in der Organisation grassieren. Denn Konflikte können zu Prozessblockaden führen, z.B. weil Inhalte abgelehnt, die Ideen anderer verworfen und Termine nicht eingehalten werden.
Bei Konflikten, die von einer ungleichen Machtverteilung herrühren – diese können etwa zwischen einer Führungskraft und einem Mitarbeiter entstehen –, leidet die für den Changeprozess notwendige Kreativität und der Wille zur Veränderung. Die Folge eines nicht oder zu spät bearbeiteten Konflikts ist, dass das Unternehmen sowohl Mitarbeiter als auch Kunden verliert.
Wozu können ungeklärte Konflikte noch führen?
Das hängt auch von der Art des Konflikts ab. Auf der Sach- und Fachebene entstehen häufig Konflikte aufgrund unklarer Kompetenzverteilungen, unklarer Ziele und Aufgabenbereiche. Führen Unternehmen einen strukturellen Change durch, bspw. die Einführung einer neuen Technologie oder die Implementierung digitaler Prozesse, zieht die Belegschaft nicht automatisch mit. Z. B., weil sie mit der bestehenden Situation zufrieden sind oder weil sie sich nicht aus ihrer Komfortzone herausbewegen wollen. Auch Rollenkonflikte werden oft unterschätzt.
So wurden bei einem Start-up-Unternehmen mit 18 Mitarbeitern im Zuge eines agilen und strukturellen Veränderungsprozesses neue Arbeitsgruppen gebildet, für deren Lead-Position eine Führungskraft befördert wurde. Was für die Führungskraft zunächst einen guten Entwicklungsschritt bedeutete, führte zu externen Konflikten, weil die Mitarbeiter dieser Subteams an ihrer „alten“ Führungskraft festhalten und sich nicht auf eine neue einstellen wollten. Für die Führungskraft bedeutete die Beförderung auch einen inneren Konflikt, da sie nun frühere Kollegen führen muss. Auch die hohen Anforderungen an die neue Rolle verunsicherten sie: Wie führe ich Feedbackgespräche? Wie gehe ich mit Konflikten der Subteams und den damit verbundenen Emotionalitäten einzelner Individuen um? Auf diese Themen war sie nur unzureichend bis gar nicht vorbereitet.
Warum sollten Change und Konfliktmoderation Hand in Hand gehen?
Oft sind Konflikte in Changeprozessen sehr komplex, da verschiedene Charaktere mit unterschiedlichen Perspektiven, Interessen, Befindlichkeiten und Emotionen aufeinandertreffen. Trotzdem wird häufig auf einen Coach als wichtigen Begleiter durch die Höhen und Tiefen des Prozesses verzichtet. Auch wird dieser für die Mitarbeiter nicht ausreichend transparent gemacht. Wenn sie unzureichend darüber aufgeklärt werden, welche Auswirkungen eine neue Führungsstruktur für sie hat und welche Prozessänderungen ihre Arbeit wie beeinflussen, dann kann das abhängig von der jeweiligen Persönlichkeit zu Irritation, phlegmatischem Verhalten und Unsicherheit führen. Als weitere Folge können die krankheitsbedingten Fehlzeiten in die Höhe schnellen, weil die Arbeitsbelastung in den bedingt durch den Fachkräftemangel oft unterbesetzten Büros weiter steigt.
Wie kann ein externer Coach den Prozess begleiten, auch in Kooperation mit HR?
HR und externer Coach sollten idealerweise kooperativ zusammenarbeiten und dürfen nicht in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Beide können ihre Kompetenzen und Vorteile, die ihre Rolle innehat, einbringen. Ein Externer kann mit einem unemotionalen Blick auf den Prozess und die Konfliktsituation schauen, ohne diese zu bewerten. Auch genießt er oder sie das Vertrauen der Mitarbeiter, die mitunter offener über persönliche Nöte oder Irritationen sprechen können – vorausgesetzt der Coach wahrt die mit allen Beteiligten vereinbarte strikte Vertraulichkeit.
Ein Experte kann zudem verborgene Konflikte, die von den Betroffenen nicht offen angesprochen werden, erkennen. Auch kann er feststellen, wie hoch ein Konflikt bereits eskaliert ist und welche Interventionen, etwa Einzelgespräche oder Gespräche mit zwei oder mehreren Konfliktparteien, jeweils sinnvoll sind.
Als Coach kann man weiterhin vorbeugend unterstützen, indem bspw. mit der Führungskraft des genannten Start-ups ein Strategiemeeting vorbereitet wird: Wie kommuniziere ich den betroffenen Beschäftigten, warum es einen Führungswechsel mit neuen Berichtsketten gibt und wie gehe ich mit Widerständen um? HR als Kenner der internen Strukturen kümmert sich um rollenspezifische Themen und definiert z.B., welche Positionen mit welchen Kompetenzen neu besetzt werden müssen.
Was trägt noch dazu bei, dass Konflikte erst gar nicht entstehen?
Um Konflikten in Changeprozessen vorzubeugen, braucht es verbindliche Regeln für die Zusammenarbeit und eine gut strukturierte Kommunikationsmatrix. Diese beinhaltet etwa die Themen, die eine Führungskraft mit einzelnen Mitarbeitern in welchem Rhythmus besprechen muss.
Die Führungskraft des Start-ups aus unserem Beispiel muss also vorab festlegen: Was sollte ich im Einzelgespräch klären und welche Themen erfordern ein gemeinsames Gespräch mit allen Teammitgliedern der Subteams? Bei jeder Agenda sollte auch Raum für den persönlichen Austausch gegeben werden, statt nur durch die Fachthemen zu hetzen. Zudem sollte das Format für die einzelnen Gespräche im Vorfeld festgelegt werden, denn Remote Work bringt weitere Herausforderungen mit sich.
Nämlich welche?
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Auch wenn Mitarbeiter die Vorteile des Homeoffice schätzen, erleben viele ein Gefühl mangelnder Zugehörigkeit. Das hat schlichtweg damit zu tun, dass man weniger vor Ort zusammenkommt, sich nicht mehr spontan in der Kaffeeküche trifft oder zum Feierabendbier verabredet. Da der informelle Austausch fehlt, fühlen sich viele an ihrem heimischen Arbeitsplatz isoliert und machen ihrem Unmut mehr oder weniger verdeckt in virtuellen Teammeetings Luft. Regelmäßige persönliche Gespräche mit einzelnen Kollegen und Befindlichkeitsrunden im Team drücken Wertschätzung aus und stärken das Zugehörigkeitsgefühl.
Auch für Führungskräfte ist die Führung auf Distanz herausfordernd; oft vernachlässigen sie, unterschiedliche Mitarbeitertypen „abzuholen“. Während bei dem einen die Besprechung von Arbeitsergebnissen in einem kürzeren Rhythmus erforderlich ist, weil er mehr Guidance und Sicherheit braucht, kann ein anderer Mitarbeiter, der freigeistiger ist und sich Ziele selbst setzt, eher „an der langen Leine“ geführt werden.
Was bringt Einzelcoaching?
Im Einzelcoaching können die Führungsrolle und die Anforderungen an die hybride Führung reflektiert werden. Auch kommunikative Fähigkeiten, bspw. das Führen kritischer Mitarbeitergespräche und Kommunikationstechniken wie aktives Zuhören, können trainiert und mit dem Coach als stillen Beobachter im Nachgang reflektiert werden. Zudem gibt es Raum für individuelle Themen, z.B. welche Glaubenssätze der Führungskraft im Weg stehen, Mitarbeitern zu vertrauen, dass sie produktiv im Homeoffice arbeiten. Um die Führungskraft in ihrer Rolle zu stärken, ist eine Analyse, was ihr regelmäßig Kraft gibt oder raubt, sinnvoll. Stellt sich dabei heraus, dass sie ihrer Fähigkeit, andere einzuschätzen, misstraut, kann ein Hypothesentraining wirksam sein. Bei diesem bekommt die Führungskraft Methoden an die Hand, um das Verhalten anderer zu verstehen und damit gut umzugehen.
Haben Konflikte auch etwas Positives?
Auf jeden Fall. Eine positive Haltung fördert den Austausch über Konflikte, schärft das Problembewusstsein und stärkt die Bereitschaft zur Veränderung. Auch trägt die Auseinandersetzung mit Konflikten zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Herrscht im Unternehmen eine gute Feedback- und Fehlerkultur, bestärkt das die Mitarbeiter zudem darin, offen mit Konflikten umzugehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Annette Neumann, freie Journalistin, Berlin.
Anke Stein-Remmert
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