Zu viel, zu stressig, zu theoretisch, zu viele Durchfaller – dem juristischen Studium wird seit vielen Jahren eine Menge vorgeworfen. Das mündete über die Jahrzehnte zuweilen in neuen Vorschlägen, oft in Ermüdung und Resignation. Aktuell ist die Debatte wieder aufgebrandet und die Reformrufe sind so laut, dass man meinen könnte, die Revolution stünde bevor, der heilsame Umbruch, der Aufbruch in Richtung Zukunft.
Diese jüngste Bewegung speist sich aus mehreren Quellen: aus Studenten, die dafür sogar öfter mal auf die Straße gehen, zuletzt vor wenigen Wochen bei der Justizministerkonferenz, aus Professoren, aus Praktikern. Praktiker bemängeln, dass sie zu viel Ausbildung nach der offiziellen Ausbildung betreiben müssten. Professoren beklagen die typischerweise lamentabel schlechte finanzielle Ausstattung der Universitäten. Studenten verweisen auf Überforderung und Strukturmängel im Lernstoff. Das System drohe zusammenzubrechen, wenn jetzt nichts geschehe, heißt es. Das wird nun auch noch wissenschaftlich bewiesen. Die umfangreichste Studie, die jemals zu diesem Thema erstellt wurde: Das Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung e. V. (iur.reform) legte im Jahre 2023 eine 800 Seiten starke Untersuchung vor, die Befragungen von etwa 12.000 am Lehrbetrieb Beteiligten verarbeitete. Ergebnis: dringender Reformbedarf.
Stilvoll tagte die Justizministerkonferenz am 5. und 6. Juni 2024 im Schloss Herrenhausen in Hannover und beriet über das, was die Justiz da draußen so bewegt. Im Anschluss ließen die Minister das Volk wissen, man sehe „keinen grundlegenden Reformbedarf“.
Seit Jahren hält KI in unseren Alltag Einzug. ChatGPT hat sie in das allgemeine Bewusstsein gehoben und einen Wettlauf um immer bessere Anwendungen in nahezu allen Lebensbereichen ausgelöst. Diese Entwicklung ist auch an der Juristerei nicht spurlos vorbeigegangen. Hier sind schon Softwarelösungen im Einsatz, die große Textmengen erfassen und wesentliche Inhalte daraus extrahieren. Seitenlange Sentenzen der obersten Gerichtshöfe werden auf Knopfdruck in wenigen Zeilen zusammengefasst. Tonnenweise Dokumente des Zielunternehmens (Target) eines Unternehmenskaufs (M&A) werden im Zuge der Due Diligence in Blitzgeschwindigkeit vom System gelesen, ausgewertet, auf Besonderheiten und Risiken hin untersucht, zusammengefasst.
Profitieren Sie vom Expertenwissen renommierter Fachanwält:innen, die Sie über aktuelle Entscheidungen des Arbeitsrechts informieren. Es werden Konsequenzen für die Praxis benannt und Handlungsempfehlungen ausgesprochen.
Während man sich in der hannoverschen Bastille noch Croissants und Gebäck munden lässt, ist draußen die Revolution in vollem Gang. Auch in der Juristenausbildung. Wer könnte heute noch sagen, von wem die eingereichte Hausarbeit, von wem die Dissertation oder Habilschrift verfasst wurde? Die TU München schloss unlängst einen Bewerber vom Studium aus, weil der von ihm vorgelegte Essay „zu gut“ war: so gut, dass er – von Gutachtern bestätigt – wohl nur von der KI geschrieben worden sein könne (bestätigt durch VG München, Beschl. v. 28.11.2023 – M3E23.4371). Keine Zukunftsmusik, sondern Alltag in 2024. Nicht, wer ein guter Jurist ist, sondern der, der richtig promptet, erhält die besten Noten.
Wozu sollte noch jemand materielles Recht lernen, die Vorsatztheorien oder die umfangreiche Fallrechtsprechung zu § 613a BGB, wenn die KI dieses Fachwissen doch in kürzester Zeit – unter Einbindung der Datenbanken juristischer Fachverlage und der Urteilsdatenbanken von Bund und Ländern – viel zuverlässiger und lückenloser bereitstellt? Das Wissen, das in vier oder sechs Jahren mühsam angelernt und angehäuft wird, ist in der praktischen Anwendung kaum noch mehr wert als die rasch abgefragte Auskunft einer Software. Und jede Minute wird diese Software besser.
Es ist also allerhöchste Zeit, nüchtern betrachtet: viel zu spät, Ausbildung in jedem Rechtsgebiet von Grund auf neu zu konzipieren. Am Ende lernen Arbeitsrechtler womöglich gar nicht mehr Arbeitsrecht, sondern: Latein. Strukturiert denken lernen ist vielleicht das einzige, was in naher Zukunft noch zählt. Sind sie dann noch Arbeitsrechtler? Und wenn nicht, wäre das so schlimm?
Prof. Dr. Volker Römermann

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