Ein Aspekt wird bei der kontroversen Diskussion über die ökonomische Sinnhaftigkeit von Viertagewochen in Zeiten von Arbeitskräftemangel und über die gesundheitlichen Auswirkungen in der Abwägung zwischen einer verdichteten Arbeitswoche und einem verlängerten Wochenende außer Acht gelassen. Es sind mögliche innerbetriebliche Spaltungstendenzen in der Belegschaft und der weiteren Verfestigung von Zweiklassengesellschaften bei den Arbeitnehmern allgemein. Wir haben heute schon die Gruppe von Mitarbeitern in Betrieben, die über Gleitzeitsysteme Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit relativ autonom bestimmen kann. Andere Beschäftigtengruppen müssen aus betriebsorganisatorischen Gründen ohne jegliche Zeitflexibilität täglich punktgenau ihre Arbeit beginnen und beenden. Die eine Gruppe der Belegschaft kann über Tätigkeit im Homeoffice ihren Arbeitsort (partiell) frei wählen, andere müssen jeden Tag wegen der Art ihrer Tätigkeit vor Ort präsent sein und dafür im Einzelfall große Pendelentfernungen und die damit verbundenen zeitlichen und kostenmäßigen Belastungen in Kauf nehmen. Das Gefühl von Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit könnte sich da durchaus einstellen. Weiter gibt es den Teil der Belegschaft, der aufgrund seiner am Markt gefragten Qualifikationen jederzeit den Arbeitgeber wechseln kann (und damit auch eine gewisse Machtposition in Gehaltsverhandlungen hat), und den anderen Teil, der mangels Alternativen – oftmals mit Unzufriedenheit und der Faust in der Tasche – bleiben muss.
Auf der überbetrieblichen Ebene haben wir die Beschäftigten, die über eine relativ gute Altersabsicherung verfügen (Beamte, Arbeitnehmer mit substanziellen Ansprüchen aus Betriebsrenten), und andere, bei denen Altersarmut vorprogrammiert ist. Es gibt die Arbeitnehmer, die aufgrund von Tarifbindung ihrer Arbeitgeber eine auskömmliche Vergütung erhalten und sich „on top“ noch über ein attraktives Spektrum an Sozialleistungen freuen können. Andere sind aufgrund fehlender Tarifverträge (oder auch eingeschränkter finanzieller Leistungsfähigkeit ihrer Arbeitgeber) bei grundsätzlich gleicher Tätigkeit deutlich schlechter gestellt.
Eine Viertagewoche wird all diesen Ungleichheiten ein weiteres Element hinzufügen. Denn keinesfalls wird sie für alle Arbeitnehmer realisierbar sein. Und auch innerhalb der meisten Betriebe werden nicht alle Belegschaftsgruppen von dieser Arbeitszeitinnovation gleichermaßen profitieren können. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich bei Teilen der Arbeitnehmer die Privilegien häufen, andere sich dagegen immer mehr als „Arbeitnehmer zweiter Klasse“, als „abgehängt und unterprivilegiert“ fühlen. Wie viel an Ungleichbehandlung verträgt ein Betrieb, wie viel eine Gesellschaft? Wo ist der „psychologische Kipppunkt“, an dem sich eine reale und gefühlte Benachteiligung im Arbeitsverhältnis auch über das politische Wahlverhalten weitere Bahn bricht? Ich weiß es nicht. Aber man tut sicherlich gut daran, bei allen Diskussionen über die Viertagewoche auch diesen Aspekt nicht ganz aus den Augen zu verlieren.
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Prof. Dr. Klaus Watzka
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