Arbeitnehmerstatus eines freien Sportfotografen

§ 611a Abs. 1 BGB; § 7a SGB IV

Anweisungen in einem Arbeitsverhältnis nach § 106 GewO sind typischerweise personenbezogen, ablauf- und verhaltensorientiert. Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem jeweiligen Bedarf des Auftraggebers, so kann auch darin ein Indiz gegen eine werk- und für eine arbeitsvertragliche Beziehung liegen, wenn mit der Bestimmung von Leistungen auch über Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit entschieden wird. Eine Entscheidung der DRV Bund in einem Statusfeststellungsverfahren bindet die Arbeitsgerichte bei der Abgrenzung zwischen Dienst- und Arbeitsvertrag nicht.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 145/21

1106
Bild: bennetsteiner/stock.adobe.com
Bild: bennetsteiner/stock.adobe.com

Problempunkt

Die Beklagte ist ein Verlagshaus, das mehrere Zeitungen herausgibt. Der Kläger ist für die Beklagte seit 1990 als Sportfotograf tätig. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung und Urlaubsansprüche der Jahre 1991 bis 2018 i. H. v.290 Tagen. Der Kläger wurde zunächst anhand der Anzahl der von ihm eingereichten Bilder bezahlt. 1995 schlossen die Parteien dann einen Pauschalistenvertrag, wonach der Kläger eine Pauschale i. H. v.4.650 DM erhielt. Daneben konnte er Auslagen abrechnen. Der Kläger entwickelte früher seine Bilder in den Betriebsräumen der Beklagten, nutzte einen E-Mail-Account der Beklagten, nahm aber nicht an Sitzungen der Sportredaktion teil. Er führte Umsatzsteuer an das Finanzamt ab und rechnete Spesen über das Formular für freie Mitarbeiter ab. Die DRV Bund stellte am 19.6.2020 im Statusfeststellungsverfahren fest, es bestehe keine Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung. Nachdem der Kläger einer Vertragsänderung nicht zustimmte, kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis am 20.6.2018. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG Köln hat ihr teilweise stattgegeben.

Entscheidung

Das BAG hält die Revision der Beklagten für begründet, hebt das Urteil des LAG auf und verweist zur erneuten Entscheidung zurück, weil die Feststellungen des LAG nicht genügen, um zu entscheiden, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens muss das Gericht prüfen, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung das Rechtsverhältnis der Parteien als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Eine Klage ist abzuweisen, wenn kein Arbeitsverhältnis besteht (BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, S. 552, Rz. 27).

Nach § 611a Abs. 1 BGB ist für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten grenzt ein Arbeitsverhältnis von anderen Rechtsverhältnissen ab. Wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, ist Arbeitnehmer. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers hängt mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers zusammen, das auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses bestehen kann. Bei freien Mitarbeitern umfasst das Weisungsrecht i. d. R.sachbezogene und ergebnisorientierte Anweisungen und ist damit auf die zu erbringende Dienst- oder Werkleistung ausgerichtet (§ 645 Abs. 1 BGB). Anweisungen in einem Arbeitsverhältnis nach § 106 GewO sind typischerweise personenbezogen, ablauf- und verhaltensorientiert. Die Einteilung eines Mitarbeiters in Organisations-, Dienst- und Produktionspläne ohne vorherige Absprache stellt ein starkes Indiz für die Arbeitnehmereigenschaft dar. Wird die Tätigkeit durch den „Auftraggeber“ geplant und organisiert und der Beschäftigte in einen arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten „Arbeitsergebnisses“ faktisch ausschließt, liegt ein Arbeitsverhältnis nahe. Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem jeweiligen Bedarf des Auftraggebers, so kann auch darin ein Indiz gegen eine werk- und für eine arbeitsvertragliche Beziehung liegen, wenn mit der Bestimmung von Leistungen auch über Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit entschieden wird (BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, S. 552, Rz. 31).Vorliegend müssen Grundrechte einbezogen werden. Im Bereich des Zeitungswesens verlangt Art. 5Abs. 1Satz 2 GG i. d. R.eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Pressefreiheit und den durch das Arbeitsrecht geschützten Rechtsgütern. In der Redaktion besteht grundsätzlich ein Bedarf an freien Mitarbeitern. Redaktionell verantwortlich sind Mitarbeiter, die am Inhalt des redaktionellen Teils der Zeitung gestaltend mitwirken – typischerweise durch Einbringen ihrer eigenen Auffassung, ihrer Fachkenntnisse oder ihrer individuellen künstlerischen Befähigung (BAG, Urt. v. 17.4.2013 – 10 AZR 272/12, NZA 2013, S. 903). Auch bei solchen Mitarbeitern kann ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehend inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur wenig Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative oder Selbstständigkeit verbleibt. Bei nicht redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern ist die Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien zu prüfen und wird häufiger ein Arbeitsverhältnis anzunehmen sein.

Für den Status des Klägers nicht entscheidungserheblich sind die Feststellung der DRV Bund, die Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse, die steuerrechtliche Behandlung des Rechtsverhältnisses sowie der Umstand, dass der Kläger ein Festgehalt bezog. Die Modalitäten der Bezahlung sind „statusneutral“ (BAG, Urt. v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, NZA 2019, S. 1411). Auch die Reisekostenerstattung spricht weder für noch gegen ein Arbeitsverhältnis, da § 670 BGB einen allgemeinen Rechtsgrundsatz regelt, der nicht nur im Arbeitsverhältnis gilt (BGH, Urt. v. 6.7.2006 – III ZR 2/06, NJW 2006, S. 2553).

Grundsätzlich haben die Tatsacheninstanzen einen weiten Beurteilungsspielraum (BAG, Urt. v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, NZA 2019, S. 1411, Rz 14). Das LAG hatte vorliegend aber Gesichtspunkte berücksichtigt, zu denen es keine Tatsachenfeststellungen getroffen hatte, den Vortrag der Parteien nicht vollständig gewürdigt und versäumt, die Gewichtung einzelner Aspekte in seiner Gesamtabwägung genauer zu erläutern.

#ArbeitsRechtKurios: Amüsante Fälle aus der Rechtsprechung deutscher Gerichte - in Zusammenarbeit mit dem renommierten Karikaturisten Thomas Plaßmann (Frankfurter Rundschau, NRZ, Berliner Zeitung, Spiegel Online, AuA).

Konsequenzen

Das BAG führt lehrbuchartig aus, welche Kriterien nach § 611a BGB zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft im Allgemeinen und im Zeitungswesen im Besonderen zu prüfen sind und wie gerade die Pressefreiheit in der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen ist. Dabei macht das BAG klar, welche Kriterien für die Qualifizierung des Vertragsverhältnisses keine Rolle spielen und welche vom Tatsachengericht geprüft und gewürdigt werden müssen.

Praxistipp

Das zum 1.4.2022 reformierte Statusfeststellungsverfahren (§ 7a SGB IV) über die DRV Bund betrifft nur das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis (Bissels/Falter/Joch, ArbRAktuell 2021, S. 485; Zieglmeier, NZA 2021, S. 977). Eine Bindung der Arbeitsgerichte ist damit nicht verbunden, was den Wert der Entscheidung begrenzt und die Bedeutung einer eigenen wirksamen Fremdfirmen-Compliance verdeutlicht.

AttachmentSize
Beitrag als PDF herunterladen154.76 KB

· Artikel im Heft ·

Arbeitnehmerstatus eines freien Sportfotografen
Seite 58
Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

● Problempunkt

Der Kläger ist als spezialisierter Softwareentwickler tätig. Gemäß dem Rahmenvertrag über eine freie Mitarbeit hat ihn

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Die Klägerin war bei der Beklagten zunächst in deren Betrieb in H als Assistentin der Geschäftsleitung beschäftigt. Die

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob die von der Arbeitgeberin und Beklagten aufgrund einer Entgeltumwandlung einer

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Die Beklagte produziert Lebensmittel für den Lebensmittelhandel. Der Kläger ist als Leiter der Nachtreinigung beschäftigt

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Herausforderung für HR und Unternehmensleitung

Die Dotierung des Sozialplanvolumens stellt HR-Verantwortliche regelmäßig vor große

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Die Beklagte betreibt ein Software-Unternehmen in B. Der Kläger wohnt in A und ist seit dem 1.2.2017 als Sales-Account