Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
Problempunkt
Nicht nur allein aufgrund der zum 1.1.2018 durch das Bundesteilhabegesetz vollzogenen umfangreichen Änderungen im Schwerbehindertenrecht bestehen bei Arbeitgebern oftmals tiefgreifende Unsicherheiten mit Blick auf das Anforderungsprofil einer ordnungsgemäßen Beteiligung einer etwaig bestehenden Schwerbehindertenvertretung. Insbesondere die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge einer insoweit nichtordnungsgemäßen Beteiligung – namentlich die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung – indiziert ein erhebliches wirtschaftliches Risiko für den jeweils kündigenden Arbeitgeber. Eine jüngere Entscheidung des BAG präzisiert nunmehr die materiellen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach Maßgabe des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.
Vorliegend stritten die Parteien insbesondere über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum Nachteil einer einem schwerbehinderten Menschen nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellten Arbeitnehmerin. Im Dezember 2016 beantragte der Arbeitgeber beim Integrationsamt die behördliche Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der späteren Klägerin. Mit Bescheid vom 20.2.2017 erteilte das Integrationsamt antragsgemäß die gesetzlich erforderliche Zustimmung. Eine Anhörung des Betriebsrats sowie der Schwerbehindertenvertretung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung erfolgte durch den Arbeitgeber jeweils mit Schreiben vom 7.3.2017 bzw. 15.3.2017. Der Ausspruch der ordentlichen Kündigung erfolgte letztlich mit Schreiben vom 24.3.2017. Die gekündigte Arbeitnehmerin machte daraufhin gerichtlich deren Unwirksamkeit geltend – es wurde insbesondere eine nicht ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats sowie der Schwerbehindertenvertretung gerügt.
Beide Vorinstanzen gaben der entsprechenden Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin statt.
Entscheidung
Nach Auffassung der Erfurter Richter wurde der zugrundeliegende Rechtsstreit durch die jeweiligen Vorinstanzen im Ergebnis jedoch unzutreffend entschieden – namentlich hatte insbesondere das Sächsische LAG die materiell-rechtlichen Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zum Nachteil des Arbeitgebers verkannt und insoweit rechtsfehlerhaft eine Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung festgestellt.
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Konsequenzen
Mit erfreulicher Klarheit konkretisiert das BAG nunmehr das materiell-rechtliche Anforderungsprofil an eine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung.
Eine unverzügliche Unterrichtung nach Maßgabe des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX statuiert kein gesetzliches Erfordernis dergestalt, dass dies zeitlich zwingend vor einer – mitbestimmungsrechtlich ggf. gebotenen – Beteiligung des Betriebs- oder Personalrats bzw. noch vor dem Antrag auf Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts zur beabsichtigten Kündigung des schwerbehinderten oder eines entsprechend gleichgestellten Arbeitnehmers erfolgt.
Die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erfordert inhaltlich vom Arbeitgeber indes eine Mitteilung der den entsprechenden Kündigungsentschluss maßgeblich determinierenden Umstände – neben dem jeweils zugrundeliegenden Sachverhalt sind daher insbesondere die Sozialdaten des Mitarbeiters einschließlich des Grads der Behinderung bzw. einer etwaig vorliegenden Gleichstellung anzugeben. Der Arbeitgeber ist insoweit zur Mitteilung der „Gründe der Kündigung“ entsprechend den bereits zu § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entwickelten Maßstäben verpflichtet – der erforderliche Inhalt der Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung korrespondiert mit dem Anforderungsprofil an eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats.
Eine ordnungsgemäße Beteiligung nach Maßgabe des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist gleichwohl nur dann anzunehmen, wenn und soweit der Schwerbehindertenvertretung neben einer ordnungsgemäßen Unterrichtung zudem auch ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung eingeräumt wird. Das jeweils einzuhaltende Fristenregime ergibt sich–mangels einer insoweit einschlägigen Regelung im SGB IX – anhand einer analogen Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG. Etwaige Bedenken der Schwerbehindertenvertretung gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung sind innerhalb von einer Woche bzw. im Falle einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen dem Arbeitgeber gegenüber mitzuteilen. Mit Ablauf der einschlägigen Frist zur Stellungnahme bzw. nach Abgabe einer abschließenden Stellungnahme durch die Schwerbehindertenvertretung endet das jeweilige Anhörungsverfahren – eine ausdrückliche Fristsetzung durch den Arbeitgeber ist indes entbehrlich.
Praxistipp
Für Arbeitgeber beseitigt die – rechtsdogmatisch zutreffende – höchstrichterliche Entscheidung etwaig bestehende Unklarheiten bzgl. des materiell-rechtlichen Anforderungsprofils an eine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach Maßgabe des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGBIX. Nicht nur allein aus (zeit)ökonomischen Gründen erscheint es daher empfehlenswert, insbesondere bei dem Verfassen des Anhörungs- bzw. Unterrichtungsschreibens gegenüber der Schwerbehindertenvertretung auf die etablierten Grundsätze für eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats zurückzugreifen.
RA David Johnson, LL.M. (Stellenbosch), Compliance Officer (Univ.), München
David Johnson

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