Fristlose Kündigung wegen Vorlage eines gefälschten Impfnachweises

§§ 626, 241 Abs. 2 BGB; § 279 StGB; § 28b Abs. 1 IfSG a. F.

Wer einen gefälschten Impfnachweis im Betrieb nach § 28b Abs. 1 IfSG a. F. (3G im Betrieb) vorlegt, begeht nicht nur eine Straftat (§ 279 StGB), sondern auch eine seine Kollegen potenziell gefährdende schwere Nebenpflichtverletzung, die eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen kann.

(Leitsatz des Bearbeiters)

ArbG Düsseldorf, Urteil vom 18.2.2022 – 11 Ca 5388/21

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen der Vorlage einer Kopie eines gefälschten Impfausweises durch den Kläger vor dem Hintergrund der 3G-Regelung am Arbeitsplatz. Die Beklagte betreibt einen Einzelhandelsbetrieb für Küchen und Einrichtungen. Der Kläger ist seit 1.4.2013 als Küchenfachberater beschäftigt, der vor Ort Beratungsgespräche führt. Er hatte erklärt, sich nicht impfen zu lassen. Am 24.11.2021 trat die 3G-Regel in Betrieben nach § 28b Abs. 1 IfSG a. F. in Kraft (bis 19.3.2022). Danach dürfen nur geimpfte, genesene oder getestete Personen den Arbeitsplatz betreten, wenn diese physischen Kontakt zu Dritten haben. Der Kläger legte am 23.11.2021 einen gefälschten Impfpass vor mit angeblichen Impfungen am 6.3.2021 und 28.5.2021. Am 30.11.2021 hörten der Geschäftsführer sowie der Vertriebsleiter der Beklagten den Kläger zu dem Sachverhalt an. Der Kläger behauptete, der Impfausweis sei nicht gefälscht und gab gegenüber der Beklagten an, mit dem Impfstoff Moderna geimpft worden zu sein. Die Beklagte schaltete die Polizei ein und kündigte fristlos am 30.11.2021, hilfsweise ordentlich. Der Kläger meint, er hätte sich nicht strafbar verhalten, sei „ungefährlich“ und hätte abgemahnt werden müssen.

Entscheidung

Das ArbG hielt die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten für rechtmäßig. Es liegt ein wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB vor (BAG, Urt. v. 27.6.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, S. 1345, Rz. 12).

Die Vorlage einer Kopie eines gefälschten Impfausweises in der Absicht, über die Erfüllung der Nachweispflicht aus § 28b Abs. 1 IfSG zu täuschen, ist „an sich“ geeignet, selbst eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (Kleinebrink, DB 2022, S. 396). Auch wenn die Handlungsweise des Klägers zu diesem Zeitpunkt noch nicht strafbewehrt war (§ 279 StGB n. F. ab 24.11.2021), liegt gleichwohl eine schwerwiegende Pflichtverletzung vor. Der Kläger hat gegen seine arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Denn für die kündigungsrechtliche Würdigung kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens an, sondern auf den Verstoß gegen Haupt- oder Nebenpflichten und der mit der Handlungsweise einhergehenden Störung des Arbeits- und Vertrauensverhältnisses (BAG, Urt. v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, S. 1227, 1230, Rz. 30; HWK/Sandmann, 9. Aufl. 2020, § 626 BGB Rz. 236). Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann „an sich“ einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Vertragspartei zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Aus der Interessenwahrungspflicht folgt insbesondere die Pflicht des Arbeitnehmers in den Grenzen seiner Möglichkeiten und der Zumutbarkeit, einen dem Betrieb oder den anderen Arbeitnehmern des Betriebs drohenden Schaden zu verhindern. Dies gilt in gesteigertem Maße bei erheblichen Gesundheitsgefahren (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14.4.2005 – 11 Sa 810/04, NZA-RR 2006, S. 196; LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 8.10.2008 – 6 Sa 158/08; zur Corona-Pandemie: Kleinebrink, NZA 2020, S. 1361 ff.). Das ArbG erkennt das Interesse des Gesetzgebers und Arbeitgebers an, nur solche Mitarbeiter zu beschäftigen, die keine Gefahr für andere darstellen und so das betriebliche Infektionsrisiko zu reduzieren. Anderenfalls können Störungen im Betriebsablauf, Arbeits- und Produktionsausfälle durch Quarantäneanordnungen sowie Entgeltfortzahlungen wegen Erkrankungen mit Covid-19 (Hidalgo/Ceelen/Buziek, NJW 2021, S. 3153), Haftungsrisiken nach §§ 618 Abs. 1, 280 BGB (Seiwerth/Witschen, NZA 2020, S. 825; LAG München, Urt. v. 14.2.2022 – 4 Sa 457/21) sowie Bußgelder (§ 73 Abs. 1a Nr. 11d IfSG) drohen. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, selbst im Betrieb einen anerkannten 3G-Nachweis i. S. d. § 28b Abs. 1 IfSG und ein Zutrittsrecht für die Beschäftigten zu ermöglichen (Fuhlrott/Schäffer, NZA 2021, S. 1680), und ein nach § 4 Corona-ArbSchV zweimal pro Woche vom Arbeitgeber anzubietender Selbsttest genügt dem Testnachweis nur bei fachkundiger Aufsicht, die der Arbeitgeber nicht stellen muss. Dass der Kläger einen Tag vor Inkrafttreten der sog. 3G-Regelung am Arbeitsplatz einen gefälschten Impfausweis vorgelegt hat, lässt wegen des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs keinen anderen Rückschluss zu, als dass der Kläger in der Absicht handelte, ohne weitere (tägliche) Testung Zutritt zu der Arbeitsstätte zu erhalten.

Eine vorherige Abmahnung des Klägers war entbehrlich, denn die Pflichtverletzung war für den Kläger ohne Weiteres erkennbar sowie das allgemein bekannte Gesundheitsrisiko durch Corona oder die Einführung der 3G-Regel in Betrieben am 24.11.2021. Der Kläger hat durch sein berechnendes und rücksichtsloses Verhalten die Gesundheit der anderen Arbeitnehmer sowie der Kunden gefährdet. Insoweit kommt es hier wegen der Schwere der Pflichtverletzung weder auf eine Wiederholungsgefahr noch auf den langjährigen störungsfreien Bestand des Arbeitsverhältnisses an (MHdB-ArbR/Rachor, 5. Aufl. 2021, Bd. 2, § 124 Rn. 17). Aus diesen Gründen war auch die Weiterbeschäftigung unzumutbar und das Beendigungsinteresse der Beklagten überwog das Fortbestandsinteresse des Klägers.

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Konsequenzen

Corona durchdringt weiter die Rechtsprechung: Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises in der Absicht, die Nachweispflicht des § 28b Abs. 1 IfSG zu umgehen, stellt eine kündigungsrelevante Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar, wie die Verweigerung der Durchführung angeordneter Corona-Schnelltests (ArbG Hamburg, Urt. v. 24.11.2021 – 27 Ca 208/21) oder das Nichttragen eines Mund-Nasen-Schutzes (ArbG Köln, Urt. v. 17.6.2021 – 12 Ca 450/21; ArbG Cottbus, Urt. v. 17.6.2021 – 11 Ca 10390/20). Auch die Vorlage eines Fake-Testnachweises von einer unbefugten Stelle zur Umgehung der 3G-Regel im Betrieb rechtfertigt die fristlose Kündigung ohne Abmahnung (ArbG Hamburg, Urt. v. 31.3.2022 – 4 Ca 323/21).

Praxistipp

Gefälschte Impf-/Gesundheitsnachweise sind Compliance-Vorfälle und dürfen Arbeitgeber nicht hinnehmen. Diese sollten zu dem Vorwurf den Arbeitnehmer anhören (sog. Reinigungsgespräch), dann den Betriebsrat zu fristloser, hilfsweise ordentlicher Tat- sowie Verdachtskündigung anhören (§ 102 BetrVG) und diese sodann aussprechen. Seit dem 24.11.2021 handelt es sich um einen besonderen Straftatbestand (§§ 277–279 StGB), der angezeigt werden sollte.

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