Keine Hinterbliebenenversorgung für deutlich jüngere Ehepartner

§§ 1, 7, 10 AGG; RL 2000/78/EG

Eine Regelung in einer Versorgungsordnung dahingehend, dass Ehegatten nur dann eine Hinterbliebenenversorgung erhalten, wenn sie nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind, ist keine gegen das AGG verstoßende Diskriminierung wegen des Alters, da sie eine zulässige Ungleichbehandlung darstellt.

(Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 20.2.2018 – 3 AZR 43/17

1106
Bild: Kzenon/stock.adobe.com
Bild: Kzenon/stock.adobe.com

Problempunkt

Die Klägerin begehrt die Zahlung einer betrieblichen Hinterbliebenenversorgung. Sie ist die Witwe eines Arbeitnehmers, der 1950 geborenen wurde und 2011 verstorben ist. Die Klägerin hat ihren Ehemann im Jahr 1995 geheiratet und ist ca. 18 Jahre jünger als der verstorbene Ehemann.

Diesem war arbeitgeberseitig u. a. eine Hinterbliebenenversorgung mittels auf das Arbeitsverhältnis anzuwendender Versorgungsordnung zugesagt worden. Danach setzt der Anspruch auf Leistungen an einen Ehegatten voraus, dass der Ehepartner nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte selbst ist. Auf Basis dieser Regelung wird der Klägerin die Zahlung verweigert. Sie meint, dass die Versorgungsordnung eine Diskriminierung wegen des Alters enthalte. Die entsprechende Begrenzung der Versorgungszusage sei daher unwirksam. Folglich begehrte sie die Zahlung der Versorgungsleistungen.

Das LAG Köln hat der Klage anders als noch das ArbG Köln im Kern stattgegeben, da die Abstandsregelung eine nicht gerechtfertigte Altersdiskriminierung darstelle, weshalb sie unwirksam sei.

Entscheidung

Das BAG hat das Berufungsurteil hingegen aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Dritte Senat erkannte in der Altersabstandsklausel zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. Diese ist jedoch nach § 10 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.

Der Arbeitgeber hat ein legitimes Interesse daran, das mit einer Hinterbliebenenversorgung verbundene finanzielle Risiko zu begrenzen. Aus diesem Interesse heraus kann er auch den Kreis der in die Versorgung einbezogenen Personen wie vorliegend beschränken. Die hier gegenständliche Altersabstandsklausel ist auch erforderlich und angemessen. Insbesondere folgt aus der Begrenzung keine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsberechtigten Mitarbeiter, welche von der Klausel betroffen sind. Wenn Ehepartner einen erheblichen Altersabstand aufweisen, haben diese ganz bewusst einen bestimmten Lebenszuschnitt gewählt. Bei einem Altersabstand von mehr als 15 Jahren ist eine Ehe grundsätzlich darauf angelegt, dass der deutlich jüngere Hinterbliebene einen Teil seines Lebens ohne den Versorgungsberechtigten verbringen wird.

Der vorliegend festgelegte Altersabstand von mehr als 15 Jahren trifft zudem nur solche Ehegatten, deren Altersabstand zum Ehepartner den üblichen Abstand erheblich übersteigen.

Die Anforderungen an Sie als Personaler und Personalerin werden zunehmend anspruchsvoller. Damit Sie Ihr Know-How in der täglichen Arbeit erfolgreich einsetzen können, vermittelt Ihnen unser Online-Kurs innerhalb von 3 Monaten eine umfassende Ausbildung.

Konsequenzen

Die (europarechtliche) Prüfung einer möglichen Altersdiskriminierung findet nationalgesetzlich ihre Ausprägung im AGG. Der Dritte Senat führt diese Prüfung geradezu nach Lehrbuch durch.

Zunächst stellt das BAG knapp eine evident erkennbare unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters fest. Die gegenständliche Abstandsregelung zielt schließlich direkt auf das jeweilige Lebensalter des Arbeitnehmers und dessen Ehepartner ab. Die Richter sehen im Ergebnis jedoch eine Rechtfertigung der Altersdiskriminierung. Das ist zutreffend. Zur Begründung werden im Kern zwei Argumente in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt.

Zum einen ist es legitim, dass ein Arbeitgeber den Kreis der Berechtigten so begrenzt, dass er die für ihn resultierenden finanziellen Folgen überschauen kann. Zum zweiten ergibt sich aus den Besonderheiten einer Ehe mit großem Altersabstand zwischen den Ehepartnern bereits das wechselseitige Übereinkommen, aufgrund einer unterschiedlichen verbleibenden Lebenserwartung einen späteren Lebensabschnitt nach dem Tod des Älteren wieder alleine verbringen zu müssen.

Dieser Begründungsansatz wirkt stark abstrahiert. Er legt einem bestimmten Ehemodell eine Motivlage zu Grunde, die jedenfalls auch anderen Interpretationen zugänglich wäre. Die Begründung sollte daher eher aus Sicht der Interessenlage des Arbeitgebers hergeleitet werden, die hier von einigem Gewicht sein dürfte.

Der wesentliche Gesichtspunkt der Abstandsklausel ist die Risikobegrenzung für den Arbeitgeber. Bei einem sehr großen Altersabstand zwischen seinem Mitarbeiter und dessen Ehepartner würde eine potenziell unkalkulierbare Versorgungszusage für den noch vergleichsweise jungen Ehepartner geschaffen werden. Dies ist nicht im Interesse des Unternehmens. Die Versorgungszusage für den Hinterbliebenen soll diesem einen Baustein für die eigene Versorgung des Risikos Alter geben. Bei einem vergleichsweise jungen Ehepartner ist dieses Risiko jedoch noch so weit entfernt, dass es nicht einbezogen werden muss. Ist der Ehepartner über 15 Jahre jünger als der Arbeitnehmer, wird dieser Umstand klar erkennbar. Die aus alledem folgende Interessenverteilung überwiegt deshalb zugunsten des Arbeitgebers, der seine Versorgungszusagen für Hinterbliebene entsprechend begrenzen können muss.

Zwar hat die vorliegende Altersabstandsregelung der höchstrichterlichen Kontrolle standgehalten. Daraus kann jedoch keinesfalls gefolgert werden, dass damit altersbezogene Versorgungszusagen grundsätzlich zulässig wären. Die Beachtung des AGG verlangt stets eine Einzelfallprüfung zum Vorliegen einer Rechtfertigung bei unterschiedlichen Behandlungen wegen des Alters. Das Urteil zeigt lehrbuchartig auf, in welchen Schritten diese Prüfung zu erfolgen hat.

Praxistipp

Bei der Abfassung von Versorgungszusagen wie auch in allen anderen altersbezogenen arbeitsrechtlichen Fragestellungen sollten Arbeitgeber das AGG immer genau im Blick behalten. Andernfalls besteht das Risiko, dass sich eine vorgenommene Differenzierung als unwirksam erweist. Die Folgen können wirtschaftlich ganz erheblich sein.

RA und FA für Arbeitsrecht

Prof. Dr. Tim Jesgarzewski,

FOM Hochschule Bremen, Direktor KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg

Redaktion (allg.)

· Artikel im Heft ·

Keine Hinterbliebenenversorgung für deutlich jüngere Ehepartner
Seite 438
Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Der Kläger war zwischen 1965 und 1998 bei der Beklagten im höheren Management tätig. Nach der für ihn geltenden

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob die Witwe von der ehemaligen Arbeitgeberin ihres verstorbenen Ehemannes eine

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Der BFH hat sich im Urteil vom 19.4.2021 (VI R 8/19) mit der Frage beschäftigt, ob Sterbegeldzahlungen der Lohnsteuer unterliegen

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Herleitung des Ausgleichs und Rechtslage bis 2009

Den Wertausgleich bei der Scheidung hinsichtlich der in der Ehezeit erworbenen

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Geht das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines Betriebsübergangs gem. § 613a BGB auf

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

BAG-Entscheidungen vom 17.1.2023

1. Aktenzeichen 3 AZR 220/22

Die Betriebsrentnerin hatte von ihrem Arbeitgeber eine