● Problempunkt
Die Arbeitgeberin ist ein deutschlandweit tätiges Einzelhandelsunternehmen mit 68 Filialen. Der Antragsteller ist der Gesamtbetriebsrat. In der Vergangenheit ließ die Arbeitgeberin einfache und Kleinstreparaturen an den von ihr verkauften Produkten durch einen externen Dienstleister durchführen. Zukünftig sollen diese Tätigkeiten intern durch eigene Beschäftigte durchgeführt werden. Deshalb wollte die Arbeitgeberin die Beschäftigten, die sich freiwillig für eine Tätigkeit in diesem Reparaturdienst melden, schulen. Die Beteiligten führten seit Oktober 2024 Gespräche über das beabsichtigte Insourcing und die dazu geplante interne Schulung. Am 27.1.2025 teilte die Arbeitgeberin dem Gesamtbetriebsrat per E-Mail mit, mit der Umsetzung der Maßnahme ab 26.2.2025 zu beginnen. Am 13.2.2025 forderte der Gesamtbetriebsrat die Arbeitgeberin dazu auf, die Durchführung der Schulungen auszusetzen, bis eine Einigung mit dem Gesamtbetriebsrat erzielt oder ein Einigungsstellenverfahren erfolgt ist. Die Arbeitgeberin bot daraufhin an, in der Woche vom 17.2.2025 bis zum 23.2.2025 noch einmal das Gespräch zu suchen und eine für alle Beteiligten interessengerechte Lösung zu erzielen. Mit einer weiteren E-Mail vom 17.2.2025 teilte sie mit, dass eine erste Schulung kurzfristig am 18.2.2025 erfolgen soll. Weitere Schulungen sollten im März 2025 folgen. Der Gesamtbetriebsrat beantragte am 27.2.2025 im Wege der einstweiligen Verfügung, der Arbeitgeberin die Durchführung der Schulungen gerichtlich zu untersagen bis zur Einigung oder zum Spruch einer Einigungsstelle.
▲ Entscheidung
Das ArbG Köln gab dem Unterlassungsantrag statt, weil dieser zulässig und begründet ist. Der Gesamtbetriebsrat ist zuständig. Im Bereich der Berufsbildung der Arbeitnehmer ist der Gesamtbetriebsrat für solche Angelegenheiten zuständig, die von der Unternehmensleitung zentral durchgeführt werden. Dies gilt insbes. für generelle Regelungen über Berufsbildungsmaßnahmen, wenn sie Ausfluss einer unternehmensweiten Personalplanung sind (ErfK/Koch, 25. Aufl. 2025, BetrVG § 50 Rz. 5). Dies ist hier der Fall, denn das Mitbestimmungsrecht kann sinnvoll nicht von den Betriebsräten der Einzelbetriebe wahrgenommen werden, weil es sich um die Ausgestaltung einer unternehmenseinheitlichen Schulung handelt, die keinen inhaltlichen Bezug zu den Einzelbetrieben aufweist.
Dem Gesamtbetriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht nach § 98 Abs. 1 BetrVG zu. Der Begriff der betrieblichen Berufsbildung ist weit auszulegen und umfasst alle Maßnahmen der Berufsbildung i. S. d. § 1 Abs. 1 BBiG (Berufsausbildung, berufliche Fortbildung, berufliche Umschulung). Hierzu gehören alle Maßnahmen, die über die – mitbestimmungsfreie – Unterrichtung des Arbeitnehmers über seine Aufgaben und Verantwortung, die Art seiner Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs sowie über die Unfall- und Gesundheitsgefahren und die Maßnahmen und Einrichtungen zur Abwendung dieser Gefahren i. S. d. § 81 BetrVG hinausgehen, indem sie dem Arbeitnehmer gezielt und systematisch Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln, die ihn zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit erst befähigen. Die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nach § 81 BetrVG erschöpft sich dagegen in der Einweisung an einem konkreten Arbeitsplatz und dieser Einsatz setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die für die Ausübung „seiner Tätigkeit“ an diesem Arbeitsplatz erforderlichen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen schon besitzt (BAG, Beschl. v. 23.4.1991 – 1 ABR 49/90, NZA 1991, S. 817). Hier liegt eine Maßnahme i. S. d. § 98 Abs. 1 BetrVG vor. Den Mitarbeitern sollen im Rahmen der Schulungen neue Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, die diese zur Durchführung ihrer neuen Kleinreparaturaufgaben erst befähigen. Die Schulungen dienen gerade nicht bloß zur Einweisung in betriebliche Abläufe, weil die betroffenen Mitarbeiter nicht auf der Grundlage vorhandenen Wissens in die Arbeitsabläufe eines konkreten Arbeitsplatzes eingewiesen werden sollen.
§ 98 Abs. 1 BetrVG vermittelt dem Gesamtbetriebsrat auch einen allgemeinen Unterlassungsanspruch. Nach BAG-Rechtsprechung kann dem (Gesamt-) Betriebsrat im Falle der Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte unabhängig von § 23 Abs. 3 BetrVG ein allgemeiner Unterlassungsanspruch zustehen. Dieser beruht auf einer sich aus dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats i. V. m. § 2 BetrVG ergebenden Nebenpflicht des Arbeitgebers. Allerdings führt nicht jede Verletzung von Rechten des Betriebsrats ohne Weiteres zu einem Unterlassungsanspruch. Es kommt auf die einzelnen Mitbestimmungstatbestände, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung und die Art der Rechtsverletzung an. Es ist daher möglich, einen Unterlassungsanspruch bei Verstößen gegen § 87 BetrVG zu bejahen, ihn aber im Zusammenhang mit der Mitbestimmung bei bestimmten personellen Einzelmaßnahmen oder in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu verneinen (BAG, Beschl. v. 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, NZA 1995, S. 40).
Unter Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung des dem (Gesamt-)Betriebsrat bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung durch § 98 Abs. 1 BetrVG verliehenen Mitbestimmungsrechts ist bei dessen Verletzung ein allgemeiner Unterlassungsanspruch gegeben (Fitting, 32. Aufl. 2024, BetrVG § 98 Rz. 42). Dem Betriebsrat steht nämlich kein anderer wirksamer Weg zur Durchsetzung dieses Mitbestimmungsrechts zur Verfügung. Dem Arbeitgeber drohen für den Fall der Verletzung des Mitbestimmungsrechts – anders als etwa im Falle des § 102 BetrVG oder des § 111 BetrVG – keine Sanktionen. Auch aus der Systematik des § 98 Abs. 5 BetrVG ergibt sich keine abweichende Bewertung. Die dortige Regelung ist im Zusammenhang mit der Systematik der Absätze 1 bis 3 der Vorschrift zu betrachten (GK/Oetker § 23 BetrVG Rz. 193 f.). Die Eilentscheidung war nach umfassender Interessenabwägung durch das ArbG zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig.
›› Konsequenzen
Die praxisrelevante Entscheidung verdeutlicht die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 98 BetrVG bei Schulungen, hier Inhouse Schulungen nach einem Insourcing vorher extern ausgeübter Arbeiten zur Ausbildung und Befähigung der eigenen Arbeitnehmer.
Praxistipp
Beachtet der Arbeitgeber die Mitbestimmungsrechte im Bereich Schulungen nicht, kann der Betriebsrat ihn schnell mit einer einstweiligen Verfügung stoppen und die Schulung bzw. Realisierung des Konzepts verzögern.
Volker Stück

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