Nachwahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds
Problempunkt
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Freistellungswahl. Der Betriebsrat besteht aus elf Mitgliedern. Dem Gremium stehen zwei Freistellungen zu. Bei der Wahl der freizustellenden Mitglieder am 27.5.2014 beteiligten sich zwei Listen mit jeweils zwei Kandidaten. Die Liste 1 erhielt sieben Stimmen, die Liste 2 erhielt drei Stimmen. Nach dem Grundsatz der Verhältniswahl werden die beiden Kandidaten der Liste 1 freigestellt.
Am 25.2.2015 schied eines der freigestellten Mitglieder aus dem Betriebsrat aus. Am 3.3.2015 wählte der Betriebsrat im Wege der Mehrheitswahl ein ersatzweise freizustellendes Mitglied mit sechs Stimmen bei drei Gegenstimmen. Damit war ein Mitglied des Betriebsrats von Liste 2 nicht einverstanden und focht diese Freistellungswahl an. Er meint, das ersatzweise freizustellende Betriebsratsmitglied hätte nicht im Wege der Mehrheitswahl gewählt werden dürfen. Vielmehr sei er in entsprechender Anwendung von § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG aufgrund der bereits 2014 erfolgten Wahl als freizustellendes Betriebsratsmitglied nachgerückt. ArbG und LAG wiesen die Anträge ab.
Entscheidung
Das BAG hielt den Wahlanfechtungsantrag für zulässig, aber unbegründet. Nach § 19 BetrVG kann eine Wahl angefochten werden, wenn bei der Wahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde, es sei denn, der Verstoß konnte das Wahlergebnis nicht beeinflussen. Die Anfechtung der Wahl muss nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG innerhalb von zwei Wochen nach der Wahl erfolgen, d. h. mit der Feststellung des Wahlergebnisses. Dies gilt in entsprechender Anwendung auch für die Wahl der nach § 38 BetrVG freizustellenden Betriebsratsmitglieder (BAG, Beschl. v. 20.4.2005 – 7 ABR 47/04, NZA 2005, S. 1013). Die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder regelt § 38 Abs. 1 BetrVG. Mit dem Gesetzeswortlaut „sind mindestens freizustellen“ ist davon auszugehen, dass die Freistellung für die gesamte Amtszeit erfolgen soll. Das Gremium wählt die Freigestellten nach Beratung mit dem Arbeitgeber aus seiner Mitte in geheimer Wahl. Die Wahl erfolgt als Verhältniswahl, wenn es mehr als einen Wahlvorschlag gibt (§ 38 Abs. 2 BetrVG). Allerdings gibt es eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz: Was passiert, wenn – wie vorliegend – ein freigestelltes Betriebsratsmitglied aus dem Gremium ausscheidet, ist dort ausdrücklich nicht geregelt.
Das BAG wies die Wahlanfechtung des übergangenen Betriebsratsmitglieds zurück, weil die Nachwahl des freizustellenden Betriebsratsmitglieds rechtmäßig war. Für diese Nachwahl stellt das BAG zur Schließung der nach § 38 BetrVG offenkundigen Regelungslücke folgende Grundsätze auf: Sind die freigestellten Betriebsratsmitglieder per Verhältniswahl gewählt worden, rückt das ersatzweise freizustellende Mitglied derjenigen Vorschlagsliste nach, der auch das ausscheidende Mitglied angehört hat. Dies ergibt sich aus einer analogen Anwendung von § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG (BAG, Beschl. v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00).
Ist jedoch – wie vorliegend – diese Liste erschöpft, soll das Ersatzmitglied nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl zu wählen sein (BAG, Beschl. v. 16.3.2005 – 7 ABR 43/04, NZA 2005, S. 1072; ErfK/Koch, § 38 BetrVG Rdnr. 6). Das bedeutet, die einfache Stimmenmehrheit im Gremium genügt.
Die Meinung (Fitting, § 38 BetrVG Rdnr. 53), der Ersatzkandidat sei wie bei der Betriebsratswahl der Vorschlagsliste zu entnehmen, auf die bei der ursprünglichen Freistellungswahl die nächste Höchstzahl entfallen wäre, lehnt das BAG eindeutig ab. § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist auf die Freistellungswahl nicht entsprechend anzuwenden, weil die Situation nicht vergleichbar ist: § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG soll die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats sichern. Im Falle der Beendigung der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds kann dieser ohne Weiteres aus seiner Mitte ein ersatzweise freizustellendes Betriebsratsmitglied wählen. Auch der Minderheitenschutz gebietet keine andere Beurteilung.
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Konsequenzen
Die Auslegung von § 38 Abs. 2 BetrVG kann dazu führen, dass der Minderheitenschutz der kleineren Listen zurücktritt. Ist die ursprüngliche Liste der Kandidaten für die Freistellung erschöpft, kann der Betriebsrat über jede Ersatzfreistellung per Mehrheitswahl abstimmen. Einstimmig muss diese Wahl nicht erfolgen. Es könnte ansonsten die Folge eintreten, dass keine ersatzweise Freistellung erfolgt. Auch eine Dreiviertelmehrheit wie bei der Abberufung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds ist nicht erforderlich (§§ 38 Abs. 2 Satz 8, 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG).
Praxistipp
Freizustellende Betriebsratsmitglieder werden nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt (§ 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Das BAG geht davon aus, dass es sich bei dieser Beratungspflicht nicht um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren handelt. Ihr Verstoß begründet weder die Nichtigkeit noch die Anfechtbarkeit dieser Wahl. Nach dem BAG wird den durch die Beratungspflicht geschützten Belangen des Arbeitgebers abschließend und hinreichend Rechnung getragen durch das Einigungsstellenverfahren (§ 38 Abs. 2 Satz 4 bis 7 BetrVG). Ruft der Arbeitgeber die Einigungsstelle aber nicht fristgerecht an, treten seine etwaigen Bedenken gegen die Freistellung des gewählten Betriebsratsmitglieds endgültig zurück (BAG, Beschl. v. 22.11.2017 – 7 ABR 26/16, NZA 2018, S. 523).
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