Wartezeitkündigung: Anforderungen an Betriebsratsanhörung und Unterschrift

§ 1 Abs. 1 KSchG; § 102 BetrVG

1. Der Arbeitgeber ist bei einer Wartezeitkündigung nicht verpflichtet, dem Personalrat Sozialdaten, die bei vernünftiger Betrachtung weder aus seiner Sicht noch aus Sicht der Arbeitnehmervertretung für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung eine Rolle spielen können, mitzuteilen.

2. Das Schriftformerfordernis nach §§ 623, 126 BGB setzt keine Leserlichkeit der Unterschrift voraus. Maßgeblich ist die Identifizierbarkeit der Unterschrift.

3. Im Falle der Übertragung der Kündigungsbefugnis auf eine stellvertretende Personalleiterin setzt der Ausschluss der Zurückweisung nach § 174 Satz 2 BGB voraus, dass dem Erklärungsempfänger vor Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber die konkrete Person in der Funktion der Stellvertretung bekannt gegeben worden ist.

(Leitsätze des Gerichts)

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26.10.2022 – 3 Sa 79/22

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung innerhalb der Probezeit. Die Klägerin war seit dem 1.1.2021 als Abteilungsleiterin Finanzen und Controlling bei der Beklagten beschäftigt für 5.700 Euro/Monat. Nachdem die Beklagte ihren Personalrat um Zustimmung bzgl. der beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin während der Probezeit gebeten hatte, widersprach dieser. Eine Mitteilung über Sozialdaten der Klägerin war nicht erfolgt. Das anschließende Kündigungsschreiben vom 28.6.2021 wurde von der stellvertretenden Leiterin des Geschäftsbereichs Personal mit dem Zusatz „i.V.“ unterzeichnet. Diese war nach interner Vorstandsrichtlinie zeichnungsberechtigt. Die Klägerin wies mit Schreiben vom 2.7.2021 die Kündigung zurück, da keine ordnungsgemäße Bevollmächtigung zum Ausspruch von Kündigungen vorgelegen habe und erhob Kündigungsschutzklage. Das ArbG Stralsund wies die Klage ab.

Entscheidung

Das LAG wies die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin zurück und hielt die Kündigung für rechtmäßig. Die Kündigung scheitert weder an einer fehlerhaften Anhörung des Personalrats (§ 62 Abs. 1; § 68 Abs. 7 LPersVG M-V; § 102 BetrVG) noch ist diese formunwirksam. Bei einer Wartezeitkündigung ist es grundsätzlich ausreichend, wenn der Arbeitgeber, der keine auf Tatsachen gestützte und durch Tatsachen konkretisierbare Kündigungsgründe benennt, der Personalvertretung nur seine subjektiven Bewertungen, die ihn zur Kündigung des Arbeitnehmers veranlassen, mitteilt (BAG, Urt. v. 23.4.2009 – 6 AZR 516/08, Rz. 14). Vorliegend handelt es sich um eine solche auf subjektive Werturteile gestützte Kündigung, weil sich die Klägerin in der Probezeit nicht bewährt habe. Eine Pflicht seitens des Arbeitgebers, dem Personalrat Sozialdaten bei einer Kündigung innerhalb der Probezeit zukommen zu lassen, besteht nicht. Die Wartezeit dient dazu, dem Arbeitgeber Gelegenheit zu geben, sich eine subjektive Meinung über Leistung und Führung des Arbeitnehmers zu bilden. Diese unterliegt grundsätzlich keiner gerichtlichen Überprüfung nach objektiven Maßstäben. Der Arbeitgeber kann deshalb während dieser Wartezeit das Arbeitsverhältnis frei, also ohne soziale Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 KSchG, kündigen, ohne dass es auf entgegenstehende Interessen des Arbeitnehmers ankommt, sodass auch keine Pflicht besteht, dem Personalrat Sozialdaten mitzuteilen (BAG, Urt. v. 23.4.2009 – 6 AZR 516/08, Rz. 23). Der lediglich pauschale Hinweis des Personalrats auf anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ist anerkanntermaßen unzureichend auch nach § 68 Abs. 5 Ziff. 1–5 LPersVG M-V.

Die Kündigung ist auch formwirksam. Es genügt, wenn ein Schriftzug vorliegt, der die Identität des Unterschreibenden ausreichend erkennen lässt und Merkmale aufweist, die eine Nachahmung erschweren. Eine Leserlichkeit der Unterschrift setzt §§ 623, 126 BGB nicht voraus. Es darf sich jedoch nicht um ein Handzeichen (sog. Paraphe) handeln, wobei typisches Merkmal für eine Namensabkürzung Punkte nach einzelnen Buchstaben sind (BAG, Urt. v. 20.8.2014 – 7 AZR 924/12; v. 6.9.2012 – 2 AZR 858/11). Hier war die Unterschrift zwar von einem Abschleifungsprozess gekennzeichnet, es lässt sich aber neben dem Anfangsbuchstaben „E“ bei Anwendung des gebotenen, nicht kleinlichen Prüfungsmaßstabs im mittleren Teil ein „E“ und am Schluss ein „R“ erkennen.

Schließlich ist die Kündigung nicht nach § 174 Satz 1 BGB rechtsunwirksam. Das LAG nahm eine Kenntnis der Klägerin von der Bevollmächtigung der Abteilungsleiterin B bereits vor Ausspruch der Kündigung an, da es bzgl. § 174 Satz 2 BGB ausreicht, wenn der Arbeitgeber den Kündigenden in eine Stellung berufen hat, hier die Tätigkeit als stellvertretende Leiterin des GB Personal, die üblicherweise mit dem Kündigungsrecht verbunden ist (BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, Rz. 49). Nach der „Richtlinie Unterschriftsbefugnis“ des Vorstands vom 19.9.2019 sind Leiter sowie stellvertretende Leiter GB Personal kündigungsberechtigt. Dies war der Klägerin auch in einer Onlineveranstaltung/Abteilungsleiterrunde vom 21.4.2021 bekannt gegeben. Die Kundgabe der Vollmacht muss nicht persönlich erfolgen (MüKo BGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, § 171 BGB Rz. 8).

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Konsequenzen

Vor Geltung des KSchG können Wartezeitkündigungen nur formell angegriffen werden. Die wichtigen Punkte handelt die vorliegende Entscheidung ab:

  • Ordnungsgemäße vorherige Anhörung des Betriebsrats (§ 102 BetrVG);
  • Originalunterschrift statt Paraphe (§§ 623, 126 BGB);
  • Unterschrift durch Kündigungsberechtigte (Organe, Prokuristen, bekannter Personalleiter) bzw. sonst (z. B. Personalberater) Beilegung von zwei Originalvollmachten zum Kündigungsschreiben.

Nicht Gegenstand der Entscheidung, aber ebenfalls zu beachten sind weiter:

  • Nachweisbarer, fristgerechter Zugang der Kündigung durch Boten noch innerhalb der Wartezeit (BAG, Urt. v. 22.8.2019 – 2 AZR 111/19: ortsübliche Postzustellzeiten);
  • Keine Sitten-/Treuwidrigkeit (BAG, Urt. v. 5.12.2019– 2 AZR 107/19). Der Grundsatz, dass der Arbeitgeber mit dem Ausspruch einer Abmahnung zugleich auf das Recht zur Kündigung aus den Gründen verzichtet, wegen derer die Abmahnung erfolgt ist, gilt auch bei einer Abmahnung, die in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochen wird (BAG, Urt. v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07).

Praxistipp

Arbeitgeber sollten bei Wartezeitkündigungen besonders auf die Formalien achten, weil dies die einzig erfolgreichen Angriffspunkte vor Geltung des KSchG sind, an denen Kündigungsfreiheit besteht.

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Wartezeitkündigung: Anforderungen an Betriebsratsanhörung und Unterschrift
Seite 57
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