Whistleblowing: Kein Beschlagnahmeschutz für externe Ombudsleute

§§ 97 Abs. 1 Nr. 3, 160a StPO

1. Der Beschlagnahmeschutz des § 97 Abs 1 Nr. 3 StPO schützt Compliance-Ombudspersonen mit Blick auf die Erlangung von Informationen anonymer Hinweisgeber nicht, da zwischen ihnen kein schutzwürdiges mandatsähnliches Vertrauensverhältnis besteht.

2. Auch unmittelbar aus der Verfassung lässt sich im Verhältnis zwischen der Ombudsperson und dem anonymen Hinweisgeber kein Beschlagnahmeverbot herleiten.

(Leitsätze des Bearbeiters)

LG Bochum, Beschluss vom 16.3.2016 – II-6 Qs 1/16

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Bild: Nirat.pix / stock.adobe.com
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Problempunkt

Das LG Bochum hatte die Frage zu klären, inwieweit Informationen einem Beschlagnahmeverbot unterliegen, die externe Compliance-Ombudspersonen von anonymen Hinweisgebern erhalten haben.

Bei der Staatsanwaltschaft Bochum war ein Ermittlungsverfahren gegen einen Geschäftsführer wegen des Verdachts der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) sowie der Untreue (§ 266 StGB) anhängig. Bei der Ombudsfrau, einer externen Rechtsanwältin, war eine anonyme Anzeige eingegangen, die diese per Mail in Auszügen an die Integritätsbeauftragte des Unternehmens weitergeleitet hatte. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bochum hat das AG Bochum die Durchsuchung der Geschäftsräume/Kanzlei der Ombudsperson sowie die Beschlagnahme der vollständigen Fassung der anonymen Anzeige angeordnet. Bei der Durchsuchung übergab die Ombudsperson zur Abwendung der Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen das Original der Anzeige. Sie legte gegen den Beschluss des AG Bochum Beschwerde ein und meint, dass die Beschlagnahme der Anzeige aufgrund der Beschlagnahmefreiheit der Unterlagen rechtswidrig sei. Ihre Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Entscheidung

Das LG Bochum wies die Beschwerde zurück, da ein Beschlagnahmeverbot nicht besteht.

Dieses ergibt sich zunächst nicht aus §§ 97 Abs. 1 Nr. 3, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO. Nach dem LG Bochum beschränkt sich der Tatbestand des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO entgegen seinem Wortlaut auf das Vertrauensverhältnis zwischen einem Beschuldigten und einem von ihm mandatierten Berufsgeheimnisträger bzw. Rechtsanwalt. Die Beziehung von Nichtbeschuldigten zu zeugnisverweigerungsberechtigten Personen ist dagegen nicht vom Schutzbereich der Norm erfasst (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, S. 281, 282). Dies ergibt sich aus den Regelungen in § 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO, die sich beide nur auf den Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigten beziehen. Sinn und Zweck des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist es, den Anwendungsbereich des Beschlagnahmeverbots auf „andere Gegenstände“ als die in § 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO genannten zu erweitern (Meyer-Goßner/Schmitt § 97 StPO Rdnr. 10), nicht aber, am Strafverfahren nicht beteiligte Dritte bzw. Nichtbeschuldigte in den Schutzbereich des Beschlagnahmeverbots einzubeziehen.

Der Hinweisgeber ist weder Beschuldigter noch besteht ein die Schutzwirkung des § 97 StPO auslösendes „mandatsähnliches Vertrauensverhältnis“ zwischen ihm und der Ombudsperson. Hierfür fehlt es schon an einer besonderen, individuell begründeten Vertrauensbeziehung, bspw. durch ein Beratungsersuchen des Hinweisgebers an die Ombudsperson. Zudem würde die Annahme einer konkludenten Mandatsübernahme bei der Ombudsperson zu einem Interessenwiderstreit mit dem Mandatsverhältnis zu dem beauftragenden Unternehmen führen. Eine von der Ombudsperson ausgesprochene Zusicherung, dass sie die Informationen des Hinweisgebers vertraulich behandeln würde, reicht nicht für die Begründung eines mandatsähnlichen Vertrauensverhältnisses aus.

Ein gesetzlich nicht normiertes Beschlagnahmeverbot kann sich in besonderen Ausnahmefällen zwar auch unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, S. 84). Die vorliegende Beschlagnahme hat jedoch weder in einen besonders sensiblen Bereich der Privatsphäre des Hinweisgebers eingegriffen noch sind hierdurch prozessuale Schutznormen umgangen worden. Die bloße Zusicherung, die übermittelten Informationen vertraulich zu behandeln, genügt insoweit nicht und hat keine Wirkung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden.

Nach § 160a Abs. 5 StPO blieben die §§ 97, 100c Abs. 6 StPO von § 160a StPO unberührt. Demzufolge sind das Beschlagnahmeverbot nach § 160a Abs. 1 StPO und die besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 160a Abs. 2 StPO aufgrund des Vorrangs der spezielleren Vorschrift des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht anwendbar (h. M.: LG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, S. 944; a. A.: von Galen, NJW 2011, S. 945). Dies gilt unabhängig davon, ob im Einzelfall § 97 StPO oder § 160a StPO höhere Anforderungen an einen Eingriff stellen, da die Vorschrift des § 160a Abs. 5 StPO keine „Meistbegünstigungsklausel“ enthält. Im Übrigen genügt die Beschlagnahmeanordnung aufgrund des erheblichen Tatvorwurfs gegen den Beschuldigten jedenfalls den Anforderungen des § 160a Abs. 2 StPO.

Ein Überblick über die drei Teilbereiche des „Kollektiven Arbeitsrechts“: Betriebsverfassungsrecht (BetrVG, SprAuG, EBRG), Unternehmensmitbestimmungsrecht (DrittelbG, MitbestG, Montan-MitbestG), Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (TVG, Artikel 9 III GG)

Konsequenzen

Um anonyme Hinweise über Korruption und sonstige Compliance-Verstöße zu erlangen, beauftragen Unternehmen häufig externe Rechtsanwälte als sog. Ombudspersonen bzw. Ansprechpartner einer Whistleblower-Hotline, was state-of-the-art eines effektiven Compliance-Management-Systems (CMS) ist. Die Rechtsprechung hatte sich bereits mit der Beschlagnahme(freiheit) von Unterlagen bei externen Rechtsanwälten (LG Mannheim, Beschl. v. 3.7.2012 – 24 Qs 1/12, NZWiSt 2012, S. 424) oder Verteidigungsunterlagen im Unternehmen (LG Braunschweig, Beschl. v. 21.7.2015 – 6 Qs 116/15, NStZ 2016, S. 308) beschäftigt. Der vorliegende Fall betrifft erstmals konkret eine vom Unternehmen beauftragte externe Ombudsperson und lehnt ein Beschlagnahmeverbot für diese ab.

Durch die Ablehnung eines Beschlagnahmeverbots wird die von Ombudspersonen gegenüber Hinweisgebern i. d. R. zugesicherte Vertraulichkeit in Zweifel gezogen. Die Erwartung und Gewährleistung der Vertraulichkeit ist jedoch oft ausschlaggebend dafür, dass ein Hinweis erfolgt. Ombudsleute bzw. Whistleblower-Hotlines werden dadurch erheblich geschwächt. Der Hinweisgeber als Nichtbeschuldigter muss de lege lata damit rechnen, identifiziert und als Zeuge vernommen zu werden, auch in einer öffentlichen Verhandlung.

Um eine Entwertung der praktisch wichtigen Hinweisgebersysteme zu vermeiden, wäre de lege ferenda eine gesetzliche Klarstellung im einschlägigen §160a StPO wünschenswert.

Praxistipp

Ombudsleute und Hinweisgeber müssen derzeit bis zu einer klarstellenden Gesetzesänderung mit einer Beschlagnahme und damit Verlust der Vertraulichkeit bzw. Anonymität rechnen. Dementsprechend vorsichtig sollten Unternehmen mit entsprechenden „Zusicherungen“ sein und diese ggf. anpassen.

RA Volker Stück,

Aschaffenburg

Redaktion (allg.)

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Whistleblowing: Kein Beschlagnahmeschutz für externe Ombudsleute
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