Zur mehrfachen Ablösung von Zusagen auf Leistungen der bAV

§§ 1, 2, 2a BetrAVG

Der Festschreibeeffekt des § 2a Abs. 1 BetrAVG hat zur Folge, dass für die Ermittlung des Besitzstands bei einer vor dem Inkrafttreten des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007 erfolgten Ablösung die erst nach dem Ablösestichtag erfolgte Anhebung der Regelaltersgrenze nicht zu berücksichtigen ist.

(Leitsatz der Bearbeiter)

BAG, Urteil vom 19.3.2019 – 3 AZR 201/17

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Bild: WavebreakmediaMicro/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Eingriff in erdiente und noch zu erdienende Versorgungsanwartschaften unterliegt nach der Rechtsprechung des BAG aufgrund der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit einer dreistufigen Prüfung (sog. Drei-Stufen-Theorie). Diese Prüfung ist im Schrifttum umstritten und wirft in der Praxis regelmäßig neue Fragen auf. Streitgegenstand ist vorliegend die Höhe einer Hinterbliebenenversorgung. Die Klägerin, Witwe eines ehemaligen Arbeitnehmers der Arbeitgeberin, ist der Auffassung, dass die zu Lebzeiten ihres Ehemannes erfolgten zwei Eingriffe in dessen Versorgungszusage unrechtmäßig erfolgt waren. Die Versorgungszusage war zunächst im Jahr 2002 geändert worden und anschließend noch einmal 2004. Mit der zweiten Änderung wurden insbesondere verschiedene im Unternehmen vorhandene Versorgungswerke vereinheitlicht. Im Rahmen einer der Ablösungen wurde der bestehende Durchführungsweg für künftige Dienstzeiten geändert.

Entscheidung

Der 3. Senat des BAG hat die Revision der Witwe als begründet erachtet. Da das Gericht nicht entscheiden konnte, ob die Ablösung aus dem Jahr 2002 wirksam war, muss dies von der Vorinstanz geprüft werden. Sie hat hierbei insbesondere zu prüfen, ob mit der Ablösung aus dem Jahr 2002 in die erdiente Dynamik (zweite Besitzstandsstufe) oder nur in die künftig erdienbare Versorgungsanwartschaft (dritte Besitzstandsstufe) eingegriffen wurde. Das BAG hat dem LAG Nürnberg hierzu zahlreiche Kriterien vorgegeben. Der 3. Senat bestätigte in seiner Entscheidung das grundsätzliche Vorgehen des LAG Nürnberg. Dieses hatte zu Recht die Eingriffe anhand der Drei-Stufen-Theorie überprüft. Hierbei war nach seiner Ansicht und auch nach Auffassung des BAG jede Ablösung für sich zu prüfen.

Im Rahmen seiner an das LAG gerichteten Vorgaben hat das BAG u. a. festgestellt, dass bei einer vor dem Inkrafttreten des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007 erfolgten Ablösung der im Rahmen der Ermittlung des Besitzstands zu beachtende Festschreibeeffekt des § 2a Abs. 1 BetrAVG zur Folge hat, dass die erst nach dem Ablösestichtag erfolgte Anhebung der Regelaltersgrenze nicht zu berücksichtigen ist.

Weiterhin hat der 3. Senat ausgeführt, dass der mit der Ablösung verbundene Wechsel des Versorgungsträgers durch das Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers getragen ist. Dem Arbeitnehmer steht zwar nach der Rechtsprechung des Senats ein Anspruch auf Einhaltung des Durchführungswegs zu. Der Arbeitnehmer kann aber nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber die Leistungen auch für künftige Versorgungsanwartschaften stets weiter im bisherigen Durchführungsweg erbringt. Entschließt sich der Arbeitgeber, die unterschiedlichen Versorgungssysteme im Unternehmen zu vereinheitlichen, so ist er insbesondere dann berechtigt, den Durchführungsweg für die Zukunft zu ändern, wenn der neue Durchführungsweg bereits in der abgelösten Versorgungsordnung vorgesehen war oder bislang nicht von einer Betriebsrentenzusage erfasste Arbeitnehmer in die Neuzusage einbezogen werden.

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Konsequenzen

Entgegen der Kritik insbesondere aus dem Schrifttum sind Eingriffe in Versorgungszusagen weiterhin anhand der Drei-Stufen-Theorie zu überprüfen. Die vorgebrachten Argumente konnten das BAG nicht zu einem Umdenken und einer Aufgabe seiner ständigen Rechtsprechung bewegen.

Die neue Entscheidung des BAG bringt Klarheit für das Vorgehen im Fall von mehrfach abgelösten Versorgungszusagen. Grundsätzlich ist jeder Eingriff isoliert anhand der Drei-Stufen-Theorie zu überprüfen. Sollte sich ein früherer Eingriff als unwirksam herausstellen, so ist zu prüfen, ob mit der nachfolgenden Betriebsvereinbarung auch in die vorherige Fassung der Versorgungszusage eingegriffen werden sollte. Ist dies zu bejahen, so muss ausnahmsweise der Eingriff bezogen auf diese Fassung der Versorgungszusage anhand der Drei-Stufen-Theorie überprüft werden.

Zu begrüßen sind die Ausführungen des BAG zum Festschreibeeffekt des § 2a Abs. 1 BetrAVG bezogen auf die Anhebung der Regelaltersgrenze infolge des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes. Sie sind nicht nur für die Ermittlung der geschützten Besitzstände zu beachten. Sie lassen sich auch auf die Rechtslage im Fall des vorzeitigen Ausscheidens mit gesetzlich unverfallbarer Anwartschaft vor dem Inkrafttreten des Gesetzes übertragen. Somit wird das bislang schon praktizierte Vorgehen, die Anhebung der Regelaltersgrenze bei der Ermittlung der Höhe der Versorgungsleistung eines vor dem Inkrafttreten des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes ausgeschiedenen Arbeitnehmers nicht zu berücksichtigen, höchstrichterlich bestätigt.

Praxistipp

Arbeitgeber, die in der Vergangenheit mehrfach in Versorgungszusagen eingegriffen haben, sollten Vorkehrungen treffen, damit sie auch noch nach Jahren nachweisen können, dass die Eingriffe unter Beachtung der Drei-Stufen-Theorie erfolgt sind.Weiterhin können Arbeitgeber, deren Versorgungszusagen auf Basis der Rechtsprechung des BAG hinsichtlich der Altersgrenze 65 als dynamisch auszulegen sind, aufgrund dieser Entscheidung davon ausgehen, dass sie die Anhebung der Regelaltersgrenze bei der Ermittlung der Höhe der Versorgungsleistung eines vor Inkrafttreten des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers nicht berücksichtigen müssen bzw. dürfen.Beabsichtigt der Arbeitgeber im Rahmen einer Ablösung, den bestehenden Durchführungsweg zu ändern, ist anhand der nunmehr bekannten Vorgaben (insbes. bei einem Vorbehalt in der Zusage oder bei Einbeziehung bisher unversorgter Arbeitnehmer) die Zulässigkeit dieses Vorhabens zu prüfen.

Joachim H. Kaiser

Joachim H. Kaiser
Ass. iur., Mercer Deutschland GmbH, Düsseldorf/Stuttgart

Christine Geßner

Christine Geßner
Rechtsanwältin, Competence Center Recht Betriebliche Vorsorge, TPC Betriebliche Vorsorge - Ein Geschäftsbereich der MLP Finanzberatung SE
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· Artikel im Heft ·

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