Zuständigkeit von Wirtschaftsausschuss und Einigungsstelle
Problempunkt
Arbeitgeberin und Betriebsrat streiten über die Pflicht zur Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses. Die Arbeitgeberin betreibt ein Elektrostahlwerk mit etwa 750 Arbeitnehmern, in dem sie aus Schrott Stahl produziert und zu verschiedenen Produkten weiterverarbeitet. Es besteht ein Betriebsrat und ein Wirtschaftsausschuss ist gebildet. Über der Arbeitgeberin steht als herrschendes Unternehmen die R GmbH, mit der ein Gewinnabführungsvertrag besteht. Diese beschäftigt weniger als 100 Arbeitnehmer und hat keinen Betriebsrat. Es besteht kein Konzernbetriebsrat.
Der Wirtschaftsausschuss verlangte von der Arbeitgeberin im Frühjahr 2016 im Zusammenhang mit der Einführung von Kurzarbeit Auskünfte über die beherrschende R GmbH. Da die Arbeitgeberin das ablehnte, wurde eine Einigungsstelle gebildet nach § 109 BetrVG. Diese entschied am 3.11.2016 per Spruch, dass die Arbeitgeberin dem Wirtschaftsausschuss auch monatlich über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der beherrschenden R GmbH berichten muss.
Die Arbeitgeberin beantragte festzustellen, dass der Spruch unwirksam ist. ArbG und LAG Berlin-Brandenburg entsprachen dem.
Entscheidung
Das BAG bestätigte die Vorinstanzen, dass der Spruch unwirksam war. § 109 BetrVG begründet eine gesetzliche Primärzuständigkeit der Einigungsstelle. Bei Konflikten über ein Auskunftsverlangen des Wirtschaftsausschusses soll das Einigungsstellenverfahren als vorgeschaltetes Verfahren den Betriebsparteien die Möglichkeit einer raschen Einigung auf betrieblicher Ebene eröffnen. Da der Spruch der Einigungsstelle nach § 109 Satz 2 BetrVG die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt, ist der Arbeitgeber nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verpflichtet, den – auf eine hinreichend bestimmte Leistungsverpflichtung erkennenden – Spruch durchzuführen (BAG, Beschl. v. 8.8.1989 – 1 ABR 61/88, NZA 1990, S. 150). Will er dem nicht nachkommen, muss er dessen Unwirksamkeit gerichtlich geltend machen durch einen Feststellungsantrag (BAG, Beschl. v. 22.3.2016 – 1 ABR 10/14, NZA 2016, S. 969). Der Spruch unterliegt keiner eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle nach § 76 Abs. 5 BetrVG, sondern einer umfassenden Rechtskontrolle (BAG, Beschl. v. 11.7.2000 – 1 ABR 43/99, NZA 2001, S. 402). Der Feststellungsantrag der Arbeitgeberin war hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und es bestand ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO).
Der Antrag ist begründet, denn die Arbeitgeberin ist nicht nach § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, dem Wirtschaftsausschuss monatlich die betriebswirtschaftlichen Daten ab 2013 zu liefern, so dass der Spruch unwirksam war. Nach dem BAG sprechen zwar Sinn und Zweck des in § 109 BetrVG normierten Konfliktlösungsverfahrens für eine Primärzuständigkeit der Einigungsstelle auch bei einem Streit der Betriebsparteien über ein sich auf regelmäßig wiederkehrende Informationen beziehendes Verlangen des Wirtschaftsausschusses (a. A.: HWK/Willemsen/Lembke, § 109 BetrVG Rdnr. 6). Auch die Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des Unternehmens stehen nicht entgegen. Dies hat die Einigungsstelle zu prüfen (BAG v. 11.7.2000, a. a. O.).Der Unternehmer ist aber nach dem klaren Wortlaut des § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nur verpflichtet, den Wirtschaftsausschuss über die wirtschaftlichen Angelegenheiten desjenigen Unternehmens zu unterrichten, in dem dieser nach § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gebildet ist, nicht jedoch über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des dieses beherrschenden Unternehmens. Dies gilt auch, wenn beide Unternehmen wirtschaftlich und finanziell eng miteinander verflochten sind, denn eine steuerrechtliche Organschaft bewirkt lediglich, dass beide Unternehmen als ein einheitlicher Steuerpflichtiger anzusehen sind, führt aber nicht zu einem Verlust der rechtlichen Selbstständigkeit beider Unternehmen. Eine Möglichkeit zur Einflussnahme des Wirtschaftsausschusses oder des (Gesamt-)Betriebsrats auf die Situation des herrschenden Unternehmens besteht nicht.
Eine analoge Anwendung von § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG dahin, dass der Wirtschaftsausschuss des beherrschten Unternehmens auch über die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens zu informieren ist, scheidet mangels Regelungslücke aus.
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Konsequenzen
Betriebsräte versuchen manchmal, über den Wirtschaftsausschuss an sensible Geschäftsdaten (Aufträge, Umsätze, Forecasts, Gewinne/Verluste) auch anderer Gesellschaften zu gelangen oder Einfluss auf diese zu nehmen. Das BAG erteilt dem eine klare und konsequente Absage: Die Grenze ist der Rechtsträger, d. h. das Unternehmen.
Praxistipp
Da sich die Pflicht zur Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses inhaltlich nur auf die Angelegenheiten des Unternehmens bezieht, in dem dieser errichtet ist, sind auf andere Rechtsträger gerichtete Auskunftsansprüche zurückzuweisen und ggf. Sprüche der Einigungsstelle anzufechten.
Volker Stück

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