Annahmeverzugslohn bei Zeitarbeit

Die Errichtung und Führung von Arbeitszeitkonten sowie der Abbau von angesparten Plusstunden bei einem fehlenden Einsatz sind in der Zeitarbeitsbranche grundsätzlich zulässig.

(Leitsatz der Bearbeiter)

BAG, Urteil vom 16. April 2014 – 5 AZR 483/12

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Bild: Nirat.pix / stock.adobe.com
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Problempunkt

Im Wesentlichen stritten die Parteien darüber, ob der beklagte Personaldienstleister berechtigt war, einsatzlose Zeiten eines Zeitarbeitnehmers unter Abzug bereits im Arbeitszeitkonto angesparter Zeitguthaben und Fortzahlung der Vergütung zu "überbrücken". Im Arbeitsvertrag ist eine Bezugnahme auf das BZA-/DGB-Tarifwerk vorgesehen, das eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von 35 Stunden sowie eine umfängliche Regelung zur Errichtung und Führung eines Arbeitszeitkontos vorsieht. Zudem haben die Parteien dies nochmals ausdrücklich im Arbeitsvertrag festgeschrieben.

Der klagende Zeitarbeitnehmer war an einzelnen Tagen unter Anrechnung von Guthaben im Arbeitszeitkonto nicht im Einsatz. Für diese Zeit machte er klageweise Ansprüche auf Annahmeverzugslohn geltend.

Entscheidung

Das BAG wies die Revision des bereits in den ersten beiden Instanzen unterlegenen Zeitarbeitnehmers zurück. Der Arbeitgeber befand sich nicht im Annahmeverzug, da er nicht verpflichtet ist, eine Arbeitsleistung von mehr als 35 Wochenstunden anzunehmen. Ob sich der zeitliche Umfang, in dem er in Annahmeverzug geraten konnte, nach dem Arbeitsvertrag oder den in Bezug genommenen tariflichen Bestimmungen richtet, musste das BAG nicht abschließend entscheiden. Nach beiden beträgt die regelmäßige wöchentliche Mindestarbeitszeit nicht mehr als 35 Stunden. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber jedenfalls in Annahmeverzug gerät, wenn er die angebotene Arbeitsleistung nicht in diesem Mindestumfang annimmt. Unstreitig hatte der Kläger aber über den vereinbarten Mindestumfang hinaus gearbeitet und erhielt die entsprechende Vergütung. Damit erfüllte der Personaldienstleister den Anspruch des Beschäftigten auf Vergütung in dieser Woche, § 362 Abs. 1 BGB. Die Vereinbarung einer unterschiedlichen Dauer der Arbeitszeit während einsatzfreier Zeiten und für die Dauer einer Überlassung begegnet – jedenfalls bei einer Regelung wie der im Streitfall – keinen Bedenken. Sie entspricht § 10 Abs. 4 AÜG. Bedenklich wird die Aufspaltung der Dauer erst, wenn eine solche Vertragsgestaltung dazu dient, die Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Vergütung bei Annahmeverzug nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG dadurch zu unterlaufen, dass für einsatzfreie Zeiten eine ungewöhnlich kurze Arbeitszeit vereinbart wird. Davon kann hier aber nicht die Rede sein. Die Mindestarbeitszeit von 35 Wochenstunden entspricht einer vielfach erhobenen (und durchgesetzten) Forderung der DGB-Gewerkschaften.

Weder die arbeitsvertragliche noch die in Bezug genommene tarifliche Arbeitszeitregelung sind deshalb unwirksam, weil sie zugleich die Einrichtung und Führung eines Arbeitszeitkontos zum Ausgleich der monatlichen Abweichungen vorsehen. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass man Arbeit nicht mit bezahlter Freizeit entgelten darf und sie stets in der Abrechnungsperiode, in der sie geleistet wurde, zu vergüten ist. Sowohl den Arbeitsvertrags- als auch den Tarifvertragsparteien bleibt es unbenommen, über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunden auf einem Arbeitszeitkonto anzusammeln und in der Folgezeit durch bezahlte Freizeit auszugleichen. Das Arbeitszeitkonto im Zeitarbeitsverhältnis darf allerdings nicht § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG umgehen und das vom Personaldienstleister zu tragende Beschäftigungsrisiko auf den Zeitarbeitnehmer abwälzen. Regelungen, die es dem Zeitarbeitsunternehmen ermöglichen, in einsatzfreien Zeiten einseitig das Arbeitszeitkonto abzubauen, sind unwirksam.

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Konsequenzen

Das BAG bestätigt mit dieser Entscheidung die überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung, die Annahmeverzugslohnansprüche von Zeit­arbeitnehmern unter Anrechnung von in der Vergangenheit bereits erarbeiteten Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto in einsatzfreien Zei­-ten abgelehnt hat (vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 16.11.2011 – 7 Sa 567/11; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 29.4.2009 – 17 Sa 4/09; a.?A.: LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.4.2008 – 10 Sa 19/08). Insbesondere die Gewerkschaften hatten diese Vorgehensweise in der Vergangenheit stark kritisiert und verlangt, dass die entsprechenden Stunden wieder dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben sind und der Zeitarbeitnehmer darüber hinaus seine Vergütung erhält, da sich der Arbeitgeber in Annahmeverzug befinde, wenn er diesem keinen vertragsgemäßen Einsatz bei einem Kunden zuweisen könne (§?615 Satz?1 BGB). Die vorliegende Fallkonstellation ist aber eher atypisch gelagert, so dass es keine allgemeine „Entwarnung“ gibt – das BAG äußerte sich in dem Urteil durchaus kritisch zum Einsatz von Arbeitszeitkonten, wenn diese genutzt werden, um das Beschäftigungsrisiko auf den Zeitarbeitnehmer abzuwälzen. Die Parteien hatten nämlich selbst eine umfängliche Regelung zur Arbeitszeit und zu Arbeitszeitkonten vereinbart; abgesehen davon hat der Kläger im Ergebnis tatsächlich die vorgesehenen 35 Wochenstunden gearbeitet.

Oftmals enthält der Arbeitsvertrag lediglich eine Bezugnahme auf die DGB-Tarifverträge; ausdrückliche Bestimmungen – insbesondere zum Arbeitszeitkonto – findet man nur selten. Hier stellt sich bereits die Frage, ob die betreffenden Verweisungsklauseln AGB-rechtlich überhaupt wirksam sind. Zudem trifft man in der Praxis häufiger auch auf Sachverhalte, in denen der Zeitarbeitnehmer gerade nicht im Rahmen der vereinbarten Wochenarbeitszeit an einen Kunden überlassen, sondern mangels Nichteinsetzbarkeit über das Arbeitszeitkonto de facto mehrere Tage bezahlt „freigestellt“ wird.

In der Zwischenzeit hat das LAG Hamburg, bei dem ein Verfahren in einer solchen Konstellation anhängig und bis zur Entscheidung des BAG ausgesetzt war, sich dem  BAG inhaltlich an­geschlossen und das klageabweisende Urteil der Vorinstanz bestätigt (Urt. v. 22.7.14 – 4 Sa 56/13). Bemerkenswert ist, dass das LAG Hamburg die Revision nicht zugelassen hat. Inzwischen ist hiergegen eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden (Az. AZN 809/14). Im Zweifel wird sich Erfurt in naher Zukunft wohl erneut mit der für die Praxis bedeutenden Frage der Nutzung der Arbeitszeitkonten befassen müssen.

Praxistipp

Da die wesentlichen Einzelheiten zur Zulässigkeit der Abwicklung von einsatzfreien Zeiten über die im Arbeitszeitkonto angesparten Plus­stunden aufgrund der Besonderheiten des vom BAG entschiedenen Sachverhalts nach wie vor nicht abschließend geklärt sind, besteht keine Veranlassung für Personaldienstleister von einer bisher ggf. gelebten Praxis abzuweichen. Insoweit kann man die bislang dazu veröffentlichte, insbesondere zweitinstanzliche Rechtsprechung weiterhin heranziehen. Auch wenn das LAG Hamburg die Entscheidung des BAG „verleiherfreundlich“ umsetzt,  ist davon auszugehen, dass andere Gerichte nunmehr doch kritischer mit diesen Fragen umgehen. Nicht auszuschließen ist zudem, dass Zeitarbeitnehmer auf Grundlage der vorliegenden Entscheidung des BAG den Einsatz von Plusstunden in einsatzfreien Zeiten zunehmend infrage stellen und selbst klageweise dagegen vorgehen.

RA und FA für Arbeitsrecht Dr. Alexander Bissels, CMS Hasche Sigle, Köln; RA Gregor Haag, Bad Honnef

Redaktion (allg.)

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