Berechnung gleichwertiger Urlaubstage bei Schichtarbeit/Nachtschicht
Problempunkt
Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit 1984 als Meister im Schaltdienst. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) Anwendung. Dieser enthält in § 14 Abs. 3 folgende Regelung: „Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch 30 Arbeitstage. Bei anderer Verteilung der Arbeitszeit in der Kalenderwoche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend.“
Der Kläger erbringt seine Arbeitsleistung in einem vollkontinuierlichen Wechselschichtmodell, das unabhängig von Wochenenden und Feiertagen jeweils in Folge zwei Früh- (6:00–14:00 Uhr), zwei Spät- (14:00–22:00 Uhr), zwei Nachtschichten (22:00–6:00 Uhr) und schließlich 72 Stunden ohne Arbeitsleistung vorsieht.
Der Kläger meint, er habe Anspruch auf jährlich 33 Urlaubstage und begehrt eine entsprechende Feststellung mit seiner Klage. Die Beklagte meint, der Anspruch betrage 28 Urlaubstage. Die Klage war in den Instanzen erfolgreich.
Entscheidung
Das BAG hielt die Feststellungsklage für zulässig. Auch der Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Arbeitnehmer den Umfang des ihm zustehenden Urlaubs gerichtlich festgestellt wissen will, nicht entgegen (BAG, Urt. v. 21.10.2014 – 9AZR956/12, AuA 8/15, S. 487).
Die Klage ist auch begründet, denn die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger jährlich an 33 Arbeitstagen Urlaub zu gewähren. § 14 Abs. 3 TV-V normiert das sog. Tagesprinzip. Dementsprechend ist bei der Feststellung, wie viele Tage der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers umfasst, jeder Kalendertag, an dem der Beschäftigte zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, unabhängig davon zu berücksichtigen, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in einer tageübergreifenden Nachtschicht einsetzt. Eine Nachtschicht, die sich über zwei Kalendertage erstreckt (22:00–6:00 Uhr), ist als zwei Tage zu rechnen. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm. Sie stellt auf „Tage“ und „Arbeitstage“, nicht aber auf Schichten ab (anders z.B. Tarifverträge der chemischen Industrie; BAG, Urt. v. 5.11.2002 – 9AZR470/01, DB 2003, S. 1393).
Die tarifliche Umrechnungsregelung in § 14 Abs. 3 Satz 2 TV-V bezweckt die Gleichbehandlung der tarifunterworfenen Arbeitnehmer (vgl. BAG, Urt. v. 15.3.2011 – 9AZR799/09, DB 2011, S. 1814). So verfügt ein Arbeitnehmer wie der Kläger, der seine Arbeitsleistung regelmäßig an mehr als fünf Kalendertagen in der Woche erbringt, zwar über mehr Urlaubstage als ein Arbeitnehmer, den die Beklagte in einer Fünftagewoche beschäftigt. Jener muss aber auch mehr Urlaubstage in Anspruch nehmen als dieser, um sechs Wochen lang zusammenhängend der Arbeit urlaubsbedingt fernbleiben zu können. Die maßgebliche Umrechnungsformel lautet daher:
Urlaubstage × Arbeitstage im Jahr bei abweichender Verteilung/Arbeitstage im Jahr bei einer Fünftagewoche
Vorliegend waren also 30 Urlaubstage mit 284 Arbeitstagen im Schichtrhythmus zu multiplizieren und das Ergebnis durch 261 (= 52 × 5 + 1 [§ 191 BGB]) Arbeitstage zu teilen, so dass dem Kläger 32,64 Tage Jahresurlaub zustehen. Diese sind auf 33 Arbeitstage aufzurunden, weil der TV-V Urlaubsanspruch an ganzen Tagen vorsieht, damit der Kläger – wie ein in einer Fünftagewoche beschäftigter Arbeitnehmer – einen zusammenhängenden Urlaub von sechs Wochen nehmen kann.
Ein Überblick über die drei Teilbereiche des „Kollektiven Arbeitsrechts“: Betriebsverfassungsrecht (BetrVG, SprAuG, EBRG), Unternehmensmitbestimmungsrecht (DrittelbG, MitbestG, Montan-MitbestG), Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (TVG, Artikel 9 III GG)
Konsequenzen
Schichtarbeit inkl. Nachtschicht nimmt zu, so dass die Entscheidung für Betriebe mit entsprechender Verteilung der Arbeitszeit, die über zwei Tage geht, große Bedeutung hat. Arbeitnehmer mit Nachtschicht benötigen im Interesse der Gleichwertigkeit des Urlaubsanspruchs mit Arbeitnehmern ohne Nachtschicht eine längere Freistellung, um einen gleichwertigen vierwöchigen gesetzlichen Urlaub oder einen sechswöchigen tariflichen Urlaub nehmen zu können.
Praxistipp
Arbeitgeber sollten die nach dem BAG maßgebliche Umrechnungsformel anwenden.
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Höhe und Berechnung des Urlaubs
1. Regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit
Der Urlaubsanspruch ermittelt sich abhängig von den
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Die Parteien stritten über die finanzielle Abgeltung von 30 Urlaubstagen. Ab dem 25.11.2020 wurde der Arbeitnehmer mit
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