Diskriminierung durch Fragen in Online-Recruiting-Tool

1. Wird eine Stelle entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben, kann dies die Vermutung i. S. v. § 22 AGG begründen, dass der erfolglose Bewerber im Stellenbesetzungsverfahren wegen eines Grundes i. S. v. § 1 AGG benachteiligt wurde. Das gilt für Stellenausschreibung in einem Online-Bewerbungsportal ebenso wie in Printmedien.

2. Eine Stelle, die mit dem Zusatz „(m/w)“ ausgeschrieben wird, ist geschlechtsneutral. Die Stellenausschreibung begründet nicht die Vermutung i. S. v. § 22 AGG.

3. Die verpflichtende Auswahl zwischen „Frau“/„Herr“ ist nicht geschlechtsdiskriminierend. Die Angabe dient allein dazu, dem Bewerber mit zutreffender Anrede antworten zu können.

4. Wird im Online-Bewerbungsformular nach dem Geburtsdatum gefragt, begründet dies keine Vermutung i. S. v. § 22 AGG für eine Altersdiskriminierung, wenn die Angabe freiwillig ist und die Bewerbung auch ohne diese Angabe erfolgen kann.

5. Die verpflichtend zu beantwortende Frage nach den Deutschkenntnissen ist kein Indiz i. S. v. § 22 AGG für eine Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft, wenn neben „Deutsch Muttersprache“ verschiedene Stufen zum Sprachniveau zur Auswahl stehen.
(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 8 AZR 418/15

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die 1961 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige russischer Herkunft. Sie verfügt über ein Diplom als Systemtechnik-Ingenieurin und hatte bereits mehrere Jahre in diesem Bereich gearbeitet, zuletzt als Software-Entwicklerin. Zusätzlich hatte sie an mehreren Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen und im Frühjahr 2013 den Kurs „Apps-Programmierung Android“ besucht. Die Ingenieurin hatte sich bereits im Jahr 2006 erfolglos bei der Beklagten, dem internen IT-Dienstleister eines großen Mobilfunkanbieters, beworben. Im Juni 2013 bewarb sie sich erneut über das Online-Bewerbungsportal der Beklagten auf eine Stellenausschreibung als „Android Software Entwickler (w/m)“.

Ein Link führte zum Online-Bewerbungsformular, das die Klägerin ausfüllte. Hierbei wurde zunächst die Anrede („Frau“/“Herr“) abgefragt. Die Klägerin musste ihre Deutschkenntnisse angeben und wählen zwischen „Deutsch Muttersprache“, „Deutsch verhandlungssicher“, „Deutsch fortgeschritten“ und „Deutsch Grundkenntnisse“. Sie entschied sich für „Deutsch fortgeschritten“. Die Angabe des Geburtsdatums war freiwillig und wurde von der Klägerin offengelassen. Am 3.7.2013 erhielt sie eine Absage per E-Mail. Die Beklagte hatte zuvor zwei männliche Bewerber eingeladen und davon Herrn S eingestellt, der zwar nicht über ein entsprechendes Studium verfügte, jedoch bereits eine umfangreiche Berufserfahrung auf dem Gebiet Android Software hatte.

Mit E-Mail vom 3.9.2013 verlangte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG und klagte dann auf Entschädigung i. H. v. mind. 10.000 Euro. Die Klägerin meint, in der Zusammenschau wegen ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer Herkunft diskriminiert worden zu sein. Die Instanzen wiesen die Klage ab.

Entscheidung

Das BAG wies die Revision zurück. Der Klägerin steht kein Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG oder § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu. Grundsätzlich kommt es – wie § 4 AGG belegt – für die Frage einer Diskriminierung nicht auf eine Gesamtschau an, sondern es ist vielmehr jedes einzelne potenzielle Diskriminierungsmerkmal gesondert zu prüfen. Die Klägerin wurde weder unmittelbar noch mittelbar diskriminiert i. S. d. §§ 15 Abs. 2, 7 Abs. 1 AGG.

Die Stellenanzeige stellt durch den ausdrücklichen Hinweis „(m/w)“ klar, dass die Beklagte damit sowohl Männer als auch Frauen ansprechen wollte und ist damit insgesamt geschlechtsneutral formuliert. Daran ändert es auch nichts, wenn die Beklagte im weiteren Text von „freundlichen Kollegen“ sprach. Auch die Angabe „Frau/ Herr“ im Bewerbungsportal ist nicht diskriminierend, sondern dient nur der Klärung der Anrede der Bewerber.

Eine Diskriminierung wegen des Alters ist nicht gegeben, denn die Angabe des Geburtsdatums war zum einen freiwillig, zum anderen ist allein die Frage nach dem Alter eines Bewerbers kein Indiz dafür, dass der Arbeitgeber lediglich Interesse an jüngeren Mitarbeitern hat. Der Umstand, dass die Beklagte einen jüngeren Bewerber eingestellt hat, der über keine einschlägige Berufsausbildung (Studium), allerdings über einschlägige Berufserfahrung (Android) verfügt, ist kein Indiz für eine Diskriminierung wegen des Alters. Insoweit kommt zum Tragen, dass Anforderungsprofile in Stellenanzeigen häufig auch Qualifikationen benennen, deren Vorhandensein der Arbeitgeber sich für den Idealfall zwar wünscht, die aber keinesfalls zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung sind (vgl. BAG, Urt. v. 19.5.2016 – 8 AZR 477/14) und jedenfalls der private Arbeitgeber grundsätzlich frei ist in der Entscheidung, welcher Anforderung einer Stellenausschreibung er das größere Gewicht beimisst.

Auch eine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft verneinte das BAG. Zwar kann der Begriff „Muttersprache“ an die Herkunft eines Bewerbers anknüpfen und somit im Einzelfall eine Diskriminierung darstellen (vgl. BAG, Urt. v. 22.6.2011 – 8 AZR 48/10, AuA 9/13, S. 554). Vorliegend bestanden aber Auswahlmöglichkeiten, die zeigten, dass es der Beklagten allein darauf ankam, die Sprachkenntnisse qualitativ abzufragen. Die Frage der Herkunft war demnach nicht entscheidend. Zudem steht es einem Arbeitgeber frei, sich Informationen über das Sprachniveau und die Kenntnisse von der deutschen Sprache des Bewerbers zu verschaffen.

Eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) lag nicht vor. Die Beklagte war unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, die ausgeschriebene Stelle mit der Klägerin zu besetzen.

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Konsequenzen

Die Entscheidung ist sehr praxisrelevant, da die meisten Arbeitgeber Stellen heute über Online- Portale ausschreiben und Bewerbungen nur noch über diese annehmen. Die Stellenausschreibungen und die Fragen, die dem Bewerber hierbei gestellt werden, bieten ein Diskriminierungspotenzial und sind „gefahrgeneigte Tätigkeit“ (vgl. Stück, AuA 11/14, S. 648 ff.). Erfreulicherweise macht das BAG in dieser Entscheidung deutlich, dass nicht jede Frage eine Diskriminierung darstellt, sondern der Arbeitgeber auch legitime Zwecke verfolgen kann und darf.

Praxistipp

Stellen müssen stets geschlechtsneutral ausgeschrieben werden, d. h. mit Zusatz Ingenieur/in oder (m/w). Bei Sprachkenntnissen ist – jedenfalls allein – von der Suche nach „Muttersprachlern“ abzusehen. Ebenso verbietet sich die Suche nach „jüngeren Bewerbern“ oder „für ein junges Team“ (BAG, Urt. v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, NZA-RR 2017, S. 132).

RA Volker Stück, Aschaffenburg

Redaktion (allg.)

· Artikel im Heft ·

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