Einsicht in Personalakte nach Ende des Arbeitsverhältnisses

1. Arbeitnehmern steht auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fließendes, voraussetzungsloses Recht auf Einsicht in ihre Personalakte zu.

2. In Papierform geführte Personalakten unterfallen zwar dem Schutz, nicht aber dem Auskunftsrecht nach dem BDSG.

BAG, Urteil vom 16. November 2010 – 9 AZR 573/09

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Bild: Corgarashu / stock.adobe.com
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Problempunkt

Viele Arbeitgeber bewahren Personalakten lange über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auf. Arbeitnehmer können auch nach ihrem Ausscheiden noch ein Interesse daran haben, zu erfahren, was darin steht. Das aus § 83 Abs. 1 BetrVG jedem Mitarbeiter zustehende Einsichtsrecht greift aber nicht, wenn der Betreffende ausgeschieden ist. Bisher war ungeklärt, ob dieses oder ein entsprechendes Einsichtsrecht auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch besteht und woraus es sich ergibt oder ob es mit der Beendigung untergeht.

Im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kam es zum Streit zwischen Arbeitgeberin und Mitarbeiter über das erteilte Zeugnis. Später einigten sich beide darauf, die Benotung anzuheben. Der ehemalige Arbeitnehmer wollte aber ganz sichergehen. Deshalb verlangte er Einsicht in die Personalakte, um überprüfen zu können, ob sich darin Informationen befinden, die dem geänderten Zeugnis widersprechen. Die Arbeitgeberin verwehrte ihm die Einsicht. Daraufhin klagte er.

Entscheidung

Das BAG entschied, dass ein Akteneinsichtsrecht besteht. Es stellte jedoch unter Hinweis auf den Normzweck und die Gesetzesbegründung fest, dass dieses nicht aus § 83 BetrVG folgt, weil die Vorschrift nur für das bestehende Arbeitsverhältnis gilt.

Auch eine Anwendbarkeit des Auskunftsanspruchs nach § 34 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verneinte das Gericht. Es verwies auf § 27 Abs. 1 BDSG. Danach sind die Vorschriften nur anwendbar, wenn personenbezogene Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen verarbeitet, genutzt oder dafür erhoben werden oder die Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien verarbeitet, genutzt oder dafür erhoben werden. In Papierform geführte Personalakten sind aber schon nach dem Wortlaut nicht in einer Datenverarbeitungsanlage enthalten. Sie stellen außerdem auch keine „nicht automatisierte Datei“ i. S. d. BDSG dar. Wesentliches Merkmal hierfür ist ein gleichartiger Aufbau, der einen leichten Zugriff auf bestimmte Daten ermöglicht, also ein strukturelles Aktengefüge mit erleichterter Suche. Das ist nur der Fall, wenn der Arbeitgeber z. B. eine nach bestimmten Merkmalen sortierte Mitarbeiterkartei führt. Solche Karteien fallen unter das BDSG, so dass sich bereits daraus ein Informationsrecht ergibt.

Führt das Unternehmen die Akten jedoch ausschließlich in Papierform, ergibt sich nach Auffassung des BAG ein Einsichtsrecht als Nebenpflicht zum Arbeitsvertrag aus § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet die Vertragsparteien, Rücksicht auf die Interessen, Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils zu nehmen. Nach ständiger Rechtsprechung haben die Gerichte bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe die Grundrechte auch im Verhältnis Privater zueinander zu beachten. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1983 im Volkszählungsurteil entwickelt (Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, NJW 1984, S. 419). Es besagt, dass es dem Einzelnen grundsätzlich selbst überlassen ist, darüber zu bestimmen, wem er seine persönlichen Daten preisgibt und wie sie zu verwenden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Daten inhaltlich wertvoll oder sensibel sind. Aus dem Recht folgt auch, dass nur richtige Daten gespeichert werden dürfen. Geschieht das nicht, entsteht ein Beseitigungs- oder Korrekturanspruch. Dieser lässt sich nur effektiv durchsetzen, wenn der Betreffende Kenntnis von den vorhandenen Informationen hat. Aus diesem Grund geht das BAG von einem umfassenden Einsichtsrecht aus, das von keinerlei Voraussetzungen abhängig ist.

Zusätzlich definiert das Gericht die Personalakte sehr weit. Dazu gehört formell alles, was das Unternehmen dem Zweck nach als Personalakte führt. Materiell zählt zur Personalakte jede Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Bediensteten betreffen. Das schließt auch alles mit ein, was nicht körperlich in der Personalakte enthalten ist.

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Konsequenzen

Das Urteil stellt eine Grundsatzentscheidung hinsichtlich des Rechts auf Einsicht in die Personalakte dar. Sie ist überraschend eindeutig im Hinblick auf das Bestehen des Einsichtsrechts und lässt keinerlei Interpretationsspielraum. Darüber hinaus formuliert das BAG auch klar, dass keine Möglichkeit besteht, das Einsichtsrecht zu verhindern. Es macht deutlich, dass es von keinerlei Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf.

Das Urteil entspricht dem Zeitgeist, der in die Richtung geht, wieder etwas mehr Augenmerk auf den Datenschutz zu legen. Es zeigt die Tendenz, das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch umfassende Informationsrechte des Einzelnen zu schützen. Das BDSG kann das noch nicht umfassend sicherstellen. Es ist, wie das BAG im Urteil ausführt, lückenhaft, weil es sich weitgehend nur auf Daten in Datenverarbeitungsanlagen oder anderen systematisch aufgebauten Systemen bezieht. Das BAG kommt in diesem Urteil einer zu erwartenden Reform des Arbeitnehmerdatenschutzrechts zuvor, indem es die Lücken des BDSG über die Ausstrahlungswirkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schließt. Daher gilt nunmehr im Arbeitsrecht der Grundsatz, dass der Betroffene das unbeschränkte Recht hat, zu erfahren, welche Informationen zu seiner Person vorhanden sind.

Es besteht zumindest rechtlich auch nicht die Möglichkeit, das Einsichtsrecht zu umgehen, etwa indem der Arbeitgeber zwei Akten führt, z. B. eine Personalakte und eine sonstige Informationssammlung. Nach der Rechtsprechung ist diese sonstige Informationssammlung als Teil der Personalakte anzusehen und unterliegt dem Einsichtsrecht.

Praxistipp

Jeder Mitarbeiter, egal ob noch im Unternehmen oder ausgeschieden, kann auch ohne besonderen Anlass Einsicht in seine Personalakte verlangen. Arbeitgeber müssen daher beim Führen von Personalakten daran denken, dass der Inhalt nicht vor dem Mitarbeiter geheim ist. Finden sich darin widersprüchliche, falsche oder andere Informationen, die das Persönlichkeitsrecht verletzen, sind Unterlassungsklagen und Schadensersatzprozesse möglich. Insofern sollten Unternehmen bei der Aktenführung größte Sorgfalt walten lassen.

RAin und FAin für Arbeitsrecht und Wirtschaftsmediatorin Monika Birnbaum, MM, FPS Rechtsanwälte & Notare, Büro Berlin

Redaktion (allg.)

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