Gleichheit von Kündigungsfristen

Vereinbaren die Parteien unter Verstoß gegen § 622 Abs. 6 BGB für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer eine längere Frist als für die Kündigung durch den Arbeitgeber, muss auch der Arbeitgeber bei seiner Kündigung die für den Arbeitnehmer vereinbarte (längere) Kündigungsfrist einhalten.

BAG, Urteil vom 2. Juni 2005 - 2 AZR 296/04 § 622 Abs. 6 BGB, § 89 HGB

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Bild: schemev / stock.adobe.com
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Problempunkt

Zwischen den Parteien waren die Dauer der Kündigungsfrist und die davon abhängigen Gehaltsansprüche der Klägerin streitig. Im schriftlichen Arbeitsvertrag der Klägerin war vereinbart, dass "das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von sechs Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden (kann), sofern sich nicht aus anderen Vorschriften oder aufgrund einer längeren Beschäftigungsdauer eine längere Frist ergibt. Für die Kündigung seitens des Arbeitgebers gelten die Bestimmungen des aktuellen Tarifvertrages". § 17 Abs. 1 des maßgeblichen Manteltarifvertrages sah eine Kündigungsfrist von vier Wochen zur Monatsmitte oder zum Monatsende vor. Mit Schreiben vom 14. Juni 2003 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2003. Die Klägerin war der Auffassung, dass die Kündigung erst zum 30. September 2003 gewirkt habe und machte die Gehälter für August und September 2003 geltend. Da die von ihr einzuhaltende Frist länger sei als die des Beklagten, verstoße die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist gegen § 622 Abs. 6 BGB; auch der Beklagte müsse die für sie geltende Frist von 6 Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres einhalten. Demgegenüber meinte der Beklagte, die unzulässige arbeitsvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist führe nur zu einer Anwendung der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist, da das Gesetz nur die Vereinbarung einer längeren Kündigungsfrist zu Lasten des Arbeitnehmers habe verbieten wollen.

Die Klägerin hat in erster und zweiter Instanz obsiegt.

Entscheidung

Das BAG hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen und der Klägerin die verlangte Vergütung zugesprochen. Denn die arbeitsvertraglich für den Beklagten vereinbarte Kündigungsfrist aus dem Manteltarifvertrag ist kürzer als die für die Klägerin ausdrücklich vereinbarte Frist und daher gemäß § 622 Abs. 6 BGB in Verbindung mit § 134 BGB nichtig. § 622 Abs. 6 BGB soll den Arbeitnehmer vor einer Benachteiligung gegenüber dem Arbeitgeber und der für ihn geltenden Kündigungsfrist schützen (BAG, Urt. v. 29.1.2001 - 4 AZR 337/00, BAGE 99, S. 24). Die unwirksam vereinbarte Kündigungsfrist wird nach allgemeiner Auffassung durch die für die Klägerin geltende, vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist ersetzt. Dies ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB, da § 622 Abs. 6 BGB eine gesetzliche Regelungslücke enthält. Denn diese Vorschrift regelt nicht den Fall, dass die Arbeitsvertragsparteien eine längere Kündigungsfrist für eine Kündigung durch den Arbeitnehmer vereinbart haben. § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB regele für einen vergleichbaren Sachverhalt, nämlich die Bindung eines Handelsvertreters an eine längere Kündigungsfrist als sein Vertragspartner, die Folgen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Fristenparität.

Somit endete die Kündigungsfrist erst am 30. September 2003.

Ein Überblick über die drei Teilbereiche des „Kollektiven Arbeitsrechts“: Betriebsverfassungsrecht (BetrVG, SprAuG, EBRG), Unternehmensmitbestimmungsrecht (DrittelbG, MitbestG, Montan-MitbestG), Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (TVG, Artikel 9 III GG)

Konsequenzen

Seit 1993 sind in § 622 Abs. 2 BGB einheitliche Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte festgelegt. Die sich in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit verlängernden Kündigungsfristen gelten nur für die Kündigung durch den Arbeitgeber, während der Arbeitnehmer nach der gesetzlichen Regelung stets nur an die Grundkündigungsfrist von vier Wochen gebunden ist. Grundsätzlich zulässig sind jedoch so genannte Gleichbehandlungsabreden, denen zufolge die nur für den Arbeitgeber geltenden längeren Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB auch für arbeitnehmerseitige Kündigungen gelten. Demgegenüber untersagt § 622 Abs. 6 BGB jedoch ausdrücklich, für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer längere Fristen zu vereinbaren als für die durch den Arbeitgeber. Allerdings enthält § 622 Abs. 6 BGB keine Rechtsfolgenregelung für den Fall des Verstoßes gegen diese Bestimmung. Hierzu wird in der Literatur schon seit längerem einhellig die Auffassung vertreten, dass eine vertraglich vereinbarte längere Kündigungsfrist, die nur für den Arbeitnehmer gelten soll, auch für die Kündigung des Arbeitgebers maßgebend sei. Diese Auffassung hat das BAG mit der vorliegenden Entscheidung nunmehr bestätigt und hierbei insbesondere dargelegt, dass bzw. warum sich dieses Ergebnis aus einer Analogie zu § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB ergibt. Diese Vorschrift bestimmt das Verhältnis der Kündigungsfristen zwischen Unternehmer und selbständigem Handelsvertreter, wobei letzterer eigentlich in einer weniger starken Abhängigkeit zu seinem Auftraggeber stehen sollte als der Arbeitnehmer zum Arbeitgeber. Hieraus zieht das BAG zutreffend den Schluss, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der selbständige Handelsvertreter gegenüber dem Arbeitnehmer eines stärkeren Schutzes bedürfe, der einer analogen Anwendung des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB auf ansonsten gleichgelagerte arbeitsrechtliche Sachverhalte entgegenstünde.

Praxistipp

Die Konsequenzen dieser Entscheidung für den Arbeitgeber liegen auf der Hand: Hat er in seinen Anstellungsverträgen für die Arbeitnehmer längere Kündigungsfristen vorgesehen als für sich selbst, wird er sich in Zukunft auf diese nicht mehr berufen können; beim Abschluss neuer Anstellungsverträge macht die Vereinbarung einseitig kürzerer Kündigungsfristen zugunsten des Arbeitgebers mangels Durchsetzbarkeit keinen Sinn mehr und sollte daher unterbleiben.

RA Dr. Werner Holtkamp, Rechtsanwälte Godefroid & Pielorz, Düsseldorf

Redaktion (allg.)

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