Kündigung zur Unzeit

Eine „zur Unzeit“ ausgesprochene Kündigung ist nur dann rechtsunwirksam, wenn der Arbeitgeber den den Arbeitnehmer besonders beeinträchtigenden Kündigungszeitpunkt absichtlich oder aufgrund einer Missachtung seiner persönlichen Belange gewählt hat.

BAG, Urteil vom 5. April 2001 - 4 AZR 185/00 §§ 242, 138 BGB

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Klägerin war seit dem 1. Mai 1998 mit einem auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag bei der Beklagten beschäftigt. Im September 1998 erfuhr die Klägerin von der unheilbaren Krebserkrankung ihres langjährigen Lebensgefährten und Vaters ihrer 4-jährigen Tochter, der am 20. Oktober 1998 verstarb. Aufgrund ihrer seelischen Belastung war die Klägerin vom 5. bis 30. Oktober 1998 arbeitsunfähig. Am 28. Oktober 1998 kündigte die Beklagte gemäß der vertraglichen Möglichkeit das Anstellungsverhältnis aus betrieblichen Gründen zum 30. November 1998. Die Klägerin vertritt die Auffassung, die ihr noch vor der Beerdigung ihres Lebensgefährten zugegangene Kündigung verstoße gegen die guten Sitten, da ein solcher Verlust für jeden Menschen den denkbar gravierendsten Lebenseinschnitt darstelle, der eine deutliche Rücksichtnahme des Arbeitgebers erfordere. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Entscheidung

Das BAG bestätigt seine Rechtsprechung, dass der Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB neben § 1 KSchG nur eingeschränkt anwendbar ist, da letztere Vorschrift diesen Grundsatz hinsichtlich des Arbeitnehmerinteresses an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes bereits konkretisiert. § 1 KSchG nicht unterfallende Kündigungen können nur dann gegen § 242 BGB verstoßen, wenn sie Treu und Glauben aus von § 1 KSchG nicht bereits erfassten Gründen verletzen. Hierdurch soll verhindert werden, dass der ansonsten gesetzlich ausgeschlossene Kündigungsschutz über § 242 BGB doch gewährt wird. Den Ausspruch einer Kündigung zur Unzeit bewertet das Bundesarbeitsgericht zwar als typischen Tatbestand einer treuwidrigen Kündigung. Die Treuwidrigkeit ergibt sich allerdings in der Regel nicht allein aus dem den Arbeitnehmer besonders belastenden Zeitpunkt, sondern setzt weitere Umstände voraus (BAG, Urt. v. 1.7.1999 – 2 AZR 926/98 m. w. N., AuA 2/00, S. 93). Zur Begründung verweist der Senat darauf, dass auch ansonsten, wie z. B. im Dienstvertragsrecht, ein Verstoß gegen gesetzliche Regelungen über die Unzulässigkeit einer Kündigung zur Unzeit nur zur Schadensersatzpflicht des Kündigenden, nicht aber zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Daher kann auch im Arbeitsverhältnis nicht deren Zeitpunkt alleine ihre Unwirksamkeit nach § 242 BGB begründen, sondern es müssen weitere Umstände in Form der Beeinträchtigung berechtigter Interessen des Kündigungsgegners, insbesondere auf Achtung seiner Persönlichkeit, hinzukommen. Dies ist der Fall, wenn der Erklärende absichtlich oder infolge einer auf Missachtung der persönlichen Belange des Empfängers beruhenden Gedankenlosigkeit einen besonders belastenden Zugangszeitpunkt wählt. Das BAG hat der Klägerin zwar eine erhebliche Belastung durch den Zeitpunkt der Kündigung zugestanden, so dass mancher Arbeitgeber unter diesen Umständen nicht gekündigt hätte. In der maßgeblichen Einzelfallabwägung hat es aber darauf abgestellt, dass das – befristete – Arbeitsverhältnis erst wenige Monate bestanden hatte und daher die Pflicht zur Rücksichtnahme noch nicht so stark ausgeprägt war wie gegenüber einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer; andere Anhaltspunkte für eine etwaige Unwirksamkeit der Kündigung lagen dem Gericht nicht vor. Andererseits hätte die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um einen weiteren Monat gedroht, so dass das BAG dem Arbeitgeber zugebilligt hat, er habe mit der Kündigung unter den gegebenen Umständen nicht weiter zuwarten müssen. Einen Verstoß der Kündigung gegen § 138 BGB hat das BAG erst recht verneint. Zwar kann eine Kündigung auch sittenwidrig sein, jedoch sind hierfür noch höhere Anforderungen als nur bei einer Treuwidrigkeit zu erfüllen, insbesondere bei einer ordentlichen Kündigung während der gesetzlichen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG.

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Konsequenzen

Wie schon mit seiner Entscheidung zum Kündigungsschutz im Kleinbetrieb (vgl. AuA 10/01, S. 472) bestätigt das BAG, dass Schutz über die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes hinaus nur unter besonderen Umständen gewährt werden kann; an solche, letztlich vom Einzelfall abhängigen Umstände sind nach Auffassung der Richter sehr hohe Anforderungen zu stellen. Dies hat seinen Grund darin, dass das Gericht das KSchG als – nahezu – abschließende Konkretisierung und Regelung des Grundsatzes von Treu und Glauben für den Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen ansieht. Typische Fälle einer derartigen treuwidrigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG neben einem widersprüchlichen Verhalten des Arbeitgebers der Ausspruch einer Kündigung in ehrverletzender Form sowie eine den Arbeitnehmer wegen seines Sexualverhaltens diskriminierende Kündigung. Bei der Kündigung zur Unzeit verlangt das BAG hingegen neben dem zeitlichen Moment noch weitergehende Umstände wie die absichtliche oder grob gedankenlose Wahl eines den Empfänger besonders belastenden Zugangszeitpunktes. Andererseits hängt die Pflicht zur Rücksichtnahme auf den anderen Vertragspartner aber auch von der Dauer und Intensität des Arbeitsverhältnisses ab. Derartige Umstände können bei langer Beschäftigung im Kleinbetrieb ggf. eher vorliegen als bei einem wegen seiner kurzen Dauer noch nicht durch § 1 KSchG geschützten Arbeitsverhältnisses.

Praxistipp

Für die Arbeitsvertragsparteien ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass ein Vorgehen des Arbeitnehmers gegen eine arbeitgeberseitige Kündigung außerhalb von § 1 KSchG die Überwindung hoher rechtlicher Hürden erfordert. Die Arbeitgeber müssen allerdings bedenken, dass in jedem Einzelfall eine Abwägung der relevanten Umstände stattfindet und sie sich mit einer ggf. zur Unzeit erfolgten Kündigung grundsätzlich in die Hände des Gerichts begeben. Sie sollten daher ihnen bekannte, ggf. vorübergehende Besonderheiten in der Sphäre des Arbeitnehmers in die Entscheidung über den Zeitpunkt einer Kündigung einbeziehen.

RA Dr. Werner Holtkamp, Düsseldorf

Redaktion (allg.)

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