Kündigungsschutz bei Auslandseinsatz

1. Verpflichtet sich ein Arbeitnehmer in einem dem deutschen Recht unterliegenden Vertrag, seine Arbeitsleistung im Rahmen eines ergänzenden Dienstvertrages mit einem ausländischen, konzernzugehörigen Unternehmen zu erbringen, und behält sich der Vertragspartner vor, dem Arbeitnehmer selbst Weisungen und dienstliche Anordnungen zu erteilen und jederzeit ein neues zum Konzern gehörendes Unternehmen für den weiteren Auslandseinsatz des Arbeitnehmers zu bestimmen, so ist der Vertragspartner selbst Arbeitgeber, und bei der Kündigung dieses Vertrages hat er deutsches Kündigungsrecht zu beachten.


2. Beruft sich in diesem Fall der Arbeitgeber darauf, für den Arbeitnehmer sei die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit bei dem konzernzugehörigen Unternehmen weggefallen, so hat er dies nach allgemeinen Grundsätzen im Bestreitensfall substantiiert darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Auch für fehlende Einsatzmöglichkeiten bei anderen zum Konzern gehörenden Unternehmen, bei denen der Arbeitnehmer vereinbarungsgemäß beschäftigt werden könnte, obliegt dem Arbeitgeber eine gesteigerte Darlegungslast.

BAG, Urteil vom 21. Januar 1999 - 2 AZR 648/97 § 1 KSchG; §§ 133, 157 BGB

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger war zwischen 1975 und 1977 als Ingenieur bei der Beklagten, einem großen Chemieunternehmen, beschäftigt. Am 6. Januar 1977 schlossen sie einen Vertrag, der das bestehende Dienstverhältnis aufhob. Gleichzeitig kamen beide überein, der Kläger werde in Zukunft seine Arbeitsleistung für die Beklagte dadurch erbringen, dass er einen Dienstvertrag mit der konzernverbundenen B-Argentina abschließt. Diese Vereinbarung sollte den am 6. Januar 1977 geschlossenen Vertrag ergänzen.

Am 2. Februar 1979 trafen die Parteien nochmals eine dem Vertrag vom 6. Januar 1977 vergleichbare Übereinkunft. Sie regelte die Auflösung des Dienstvertrages zwischen dem Kläger und der B-Argentina; der Kläger war nunmehr verpflichtet, seine Arbeitsleistung für die Beklagte zu erbringen, indem er einen Dienstvertrag mit der konzernzugehörigen B-Brasileira abschloss. Die zwischen dem Kläger und der Beklagten getroffene Vereinbarung sollte ausdrücklich deutschem Recht unterliegen. Der Kläger war sodann in Brasilien als Projektingenieur tätig.

Nachdem die B-Brasileira dem Kläger bereits am 31. Mai 1994 gekündigt hatte, erhielt er das Kündigungsschreiben der Beklagten am 2. Juli 1994. Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger und begehrt die Weiterbeschäftigung als Ingenieur in Brasilien. Die Beklagte meint, zwischen ihr und dem Kläger bestünde seit dem 6. Januar 1977 kein Arbeitsverhältnis mehr. Spätestens jedoch mit der Kündigung sei es beendet worden.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht hat der Klage in allen Teilen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten führte zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung durch Teilurteil. Das Landesarbeitsgericht verpflichtete die Beklagte, den Kläger als Projektingenieur weiterzubeschäftigen. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Bei der zwischen dem Kläger und der Beklagten abgeschlossenen Vereinbarung vom 2. Februar 1979 handelte es sich um einen nichttypischen, einzelfallbezogenen Vertrag, den das LAG gemäß §§ 157, 133 BGB auszulegen hatte. Ob die Beklagte als Arbeitgeberin aufgetreten ist, bestimme sich insbesondere ""bei vertraglichen Drittbeziehungen nach dem erkennbaren Parteiwillen"", so das LAG. Der Parteiwille wiederum lasse sich u. a. aus dem Inhalt der Vereinbarungen entnehmen. Danach sei eindeutig von einem Arbeitsvertrag auszugehen (vgl. zu den juristischen Gestaltungsmöglichkeiten der Entsendung eines deutschen Arbeitnehmers ins Ausland: Pohl, NZA 1998, S. 735 ff.).

Würde man vom Nichtvorliegen eines einheitlichen Vertrages ausgehen, so hätten beide Vereinbarungen des Klägers (Kläger und Beklagte sowie Kläger und B-Brasileira) ohne jegliche rechtliche Abhängigkeit nebeneinander bestanden. Die Wirksamkeit der Kündigung hätte sich auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 23, 1 Abs. 1 KSchG an § 1 Abs. 2 KSchG analog messen lassen müssen. Dies schlossen die Richter aus der ausdrücklichen Vereinbarung über die Geltung deutschen Rechts. Eine solche sei nämlich nur dann sinnvoll, wenn man sie dahingehend versteht, dass der Arbeitsplatz des Klägers aufgrund der konzernweiten Beschäftigung zumindest über den allgemeinen Kündigungsschutz und daher mit einer Analogie des § 1 Abs. 2 KSchG abgesichert werden sollte. Ginge man statt dessen vom Vorliegen eines einheitlichen Arbeitsvertrages aus, so hätte dieser nur von beiden Arbeitgebern gekündigt werden können. Da es bereits an dieser Voraussetzung fehlte, wäre die Kündigung unwirksam.

Jedenfalls in beiden Fällen - so der Senat - scheitere die Wirksamkeit der Kündigung am Fehlen einer substantiierten Darlegung der Beklagten des Inhalts, dass eine Weiterbeschäftigung des Klägers aus dringenden betrieblichen Gründen nicht möglich gewesen ist.

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Konsequenzen

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Praxistipp

In vergleichbaren Fällen kann es daher für den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers entscheidend sein, ob dieser einen Konzernbezug aufweist oder nicht. Ist ein solcher Bezug zu bejahen, so sind an die Darlegungslast des Arbeitnehmers geringere, an die des Arbeitgebers aber strengere Anforderungen zu stellen. Dem Arbeitnehmer kann regelmäßig nicht zugemutet werden, Einsatzmöglichkeiten in den verschiedenen Konzernunternehmen zu benennen.

Referendarin Peggy Lenart, Darmstadt

Redaktion (allg.)

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