Sperrzeit wegen Abfindungsvergleich

Mit einem Abfindungsvergleich in einem Kündigungsschutzprozess löst der Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis. Dies führt aber nicht automatisch zu einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III beim Arbeitslosengeld I. Ein solcher Vergleich ist regelmäßig unschädlich, wenn er kein Umgehungsgeschäft darstellt und die Arbeitslosigkeit nicht zu einem früheren Zeitpunkt herbeiführt als die Kündigung.

(Leitsatz des Bearbeiters)

BSG, Urteil vom 17. Oktober 2007 – B 11a AL 51/06 R

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Problempunkt

Der Arbeitgeber des Klägers hatte das langjährige Arbeitsverhältnis im März 2001 außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.9.2001 gekündigt. Auf die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers schlossen die Parteien auf Vorschlag des Arbeitsgerichts einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis am 30.9.2001 endete und der Kläger eine Abfindung i.H.v. 95.000 DM netto erhielt.

Die beklagte Bundesagentur für Arbeit bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld nur unter Berücksichtigung einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe und Minderung der Anspruchsdauer um ein Viertel (240 Tage). Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht ab. Das Landessozialgericht (LSG) gab ihr dagegen statt und begründete dies damit, dass der Abschluss eines Vergleichs auf Vorschlag des Arbeitsgerichts keine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses i.S.v. § 144 Abs. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) darstelle.

Entscheidung

Auf die Berufung der Beklagten hob das Bundessozialgericht (BSG) das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück. Das Gericht konnte nicht abschließend entscheiden, ob durch den Abschluss des Abfindungsvergleichs eine Sperrzeit eingetreten ist. Dies kommt nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III insbesondere in Betracht, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis löst, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben.

Nach Ansicht des BSG hat der Kläger – entgegen der Auffassung des LSG – sein Arbeitsverhältnis durch die Beteiligung am Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleichs i.S.v. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III gelöst. Es steht allerdings noch nicht fest, ob dies ohne wichtigen Grund geschehen ist. Ein Vergleich im Kündigungsschutzprozess, der das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung beendet, führt nicht automatisch zum Eintritt einer Sperrzeit. Denn ebenso wie ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, gegen eine Kündigung gerichtlich vorzugehen (BSG, Urt. v. 25.4.2002 – B 11 AL 89/01 R, NZS 2003, S. 221), kann es ihm auch regelmäßig nicht zum Nachteil gereichen, wenn er sich zunächst gegen die Kündigung wehrt und dann im arbeitsgerichtlichen Verfahren einen Vergleich schließt. Daher löst ein gerichtlicher Vergleich, der die Arbeitslosigkeit – wie hier – nicht zu einem früheren Zeitpunkt als die Kündigung herbeiführt, grundsätzlich keine Sperrzeit aus.

Die sperrzeitrechtliche Privilegierung des arbeitsgerichtlichen Vergleichs entbindet allerdings nicht davon, die Umstände seines Zustandekommens genau zu prüfen, wenn Anhaltspunkte für ein Umgehungsgeschäft vorliegen. So ist es etwa denkbar, dass die Arbeitsvertragsparteien einvernehmlich den Weg über eine offensichtlich rechtswidrige Arbeitgeberkündigung mit anschließender Kündigungsschutzklage beschreiten, um dort einen arbeitsgerichtlichen Vergleich abzuschließen und den Eintritt einer Sperrzeit zu verhindern. Die Sache war an das LSG zurückzuverweisen, da es noch keine Feststellungen dazu getroffen hatte, ob es Anhaltspunkte für ein Umgehungsgeschäft gibt.

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Konsequenzen

Wichtig ist, dass nach Auffassung des BSG auch ein arbeitsgerichtlicher Vergleich – wie ein Aufhebungsvertrag oder ein Abwicklungsvertrag (BSG, Urt. v. 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, AuA 7/04, S. 48 f.) – ein „Lösen“ i.S.d. § 144 SGB III darstellt. Entscheidend für das Entfallen einer Sperrzeit ist dann meist, ob der Arbeitnehmer einen „wichtigen Grund“ hat. Ein solcher liegt vor, wenn

? ein Mitarbeiter mit dem Aufhebungsvertrag/ Vergleich einer anderenfalls drohenden betriebsbedingten Kündigung zuvorkommt,

? die drohende Kündigung rechtmäßig gewesen wäre und

? der Arbeitnehmer unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (BSG, Urt. v. 12.7.2006 – B 11a AL 47/05 R).

Nach der in 10/2007 aktualisierten Durchführungsanweisung der Bundesagentur haben Arbeitslose, auch wenn sie das Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags selbst gelöst haben, einen ungekürzten Arbeitslosengeldanspruch, wenn

? ihnen der Arbeitgeber eine Abfindung zwischen 0,25 und 0,5 Monatsverdiensten pro Beschäftigungsjahr zahlt,

? das Unternehmen ohne den Aufhebungsvertrag betriebsbedingt unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum selben Zeitpunkt gekündigt hätte,

? die Kündigungsfrist eingehalten wurde und

? der Arbeitnehmer nicht unkündbar war.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, entfällt die weitere Prüfung der Rechtmäßigkeit der hypothetischen Kündigung. Wenn eine Kündigung rechtmäßig wäre – was Arbeitsagentur und Sozialgerichte zu prüfen haben – und der Arbeitnehmer auch nicht früher ausscheidet, kann er mit Aussicht auf Erfolg einen „wichtigen Grund“ geltend machen (vgl. Stück, MDR 2007, S. 1355).

Praxistipp

Bei Aufhebungsverträgen wie Vergleichen ist darauf zu achten, die maßgebliche Kündigungsfrist einzuhalten, weil sonst kein wichtiger Grund vorliegt, eine Sperrzeit also sicher ist. Ein nachweisbares „abgekartetes“ Umgehungsgeschäft kann ein strafrechtliches Nachspiel haben.

RA Volker Stück, Aschaffenburg

Redaktion (allg.)

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Sperrzeit wegen Abfindungsvergleich
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