Tarifwechsel bei Betriebsübergang?

§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB über die Ersetzung von Tarifnormen durch einen anderen Tarifvertrag kommt nur dann zur Anwendung, wenn sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den neuen Betriebsinhaber eine übereinstimmende Tarifbindung besteht.

BAG, Urteil vom 21. Februar 2001 - 4 AZR 18/00 § 613a Abs. 1 BGB, § 4 Abs. 5 TVG

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Problempunkt

Der der Gewerkschaft IG Medien angehörende Kläger war bei einer Druckerei beschäftigt, die Mitglied des Arbeitgeberverbandes war. In dem Arbeitsvertrag zwischen den Parteien wurde u. a. auf den zwischen den Tarifparteien geschlossenen Manteltarifvertrag (MTV Druck) Bezug genommen. Der Arbeitsplatz des Klägers ging per Betriebsteilübergang auf die Kölner Hafenbetriebe über, die an die mit der ÖTV geschlossenen Tarifverträge (TV KSH) gebunden sind. Der Kläger lehnte eine Umstellung seines Arbeitsvertrages auf den bei der Beklagten geltenden Tarifvertrag ab; gleichwohl zahlte diese in der Folgezeit sein Gehalt nur nach dem für sie geltenden, niedrigeren TV KSH. Der Kläger verlangt insbesondere die Zahlung des sich nach dem MTV Druck ergebenden monatlichen Differenzbetrages seines Gehalts. In erster Instanz hatte er obsiegt; in zweiter Instanz war die Klage abgewiesen worden.

Entscheidung

Das BAG hat der Revision stattgegeben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Nach Auffassung des 4. Senats ist der beim Betriebsteilübergang geltende MTV Druck nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB über die individualvertragliche Fortgeltung tariflicher Normen Inhalt des Arbeitsvertrages zwischen den Parteien geworden. Die Arbeitsbedingungen des Klägers richten sich daher auch weiterhin danach. Soweit gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB diese Rechtsfolge nicht eintritt, wenn die Arbeitsbedingungen beim Betriebserwerber durch einen anderen Tarifvertrag (TV KSH) geregelt sind, genüge es nicht, dass nur die Beklagte – einseitig – gebunden ist; vielmehr erfordere § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eine beiderseitige Tarifgebundenheit (vgl. auch Urt. v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, AuA 8/01, S. 374). Diese ist nur gegeben, wenn beide Seiten an denselben Tarifvertrag gebunden sind oder dieser allgemeinverbindlich ist. Die TV KSH verdrängten den MTV Druck auch nicht nach dem Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit, was zum einen ein Vergleich des BAG mit anderen Vorschriften über eine unmittelbare und zwingende Geltung von Tarifnormen ergab. Zum anderen verlangt § 613a Abs. 1 Satz 2 unstreitig eine beiderseitige Tarifgebundenheit, die sich allein auf das einzelne Arbeitsverhältnis bezieht. Diese Voraussetzung müsse aufgrund der Verwendung einheitlicher Begriffe, jedenfalls für die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen regelnden Normen, auch für § 613a Abs. 1 Satz 3 gelten. Daneben kommt für die Anwendbarkeit des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nur die Allgemeinverbindlichkeit des beim neuen Inhaber geltenden Tarifvertrages in Betracht. Eine weitere Bestätigung seiner Auffassung sah das BAG im Regelungsziel dieser Vorschriften. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB solle nur eine mögliche Kollision von Tarifverträgen verhindern, die eintreten könnte, wenn vor dem Betriebsübergang maßgebliche Tarifnormen - zunächst - weitergelten, gleichzeitig jedoch bereits andere Tarifverträge das übergegangene Arbeitsverhältnis zwingend und unmittelbar regeln. Nur dann komme das Ordnungsprinzip der betrieblichen Tarifeinheit zum Tragen. Dieser Arbeitnehmerschutz entspreche sowohl der Gesetzesbegründung zu § 613a Abs. 1 BGB als auch den Regelungen der EG-Richtlinie 77/187 vom 29.6.1998. Ein etwaiges Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers müsse dahinter zurückstehen. Wenn für § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB die Tarifgebundenheit nur des Arbeitgebers genüge, würden Arbeitnehmer aus dem Schutz beider Tarifverträge herausfallen, da die Fortgeltung des alten Tarifvertrages hierdurch verhindert würde, der neue Tarifvertrag jedoch mangels Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers nicht gelte. Überdies könne es auch ansonsten, wie z. B. nach § 4 Abs. 5 TVG beim Auslaufen von Tarifverträgen, zu verschiedenen im Betrieb anwendbaren Tarifnormen kommen. Zudem ist der Arbeitgeber bei der individualvertraglichen Weiterwirkung der Tarifnormen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht an zwei Tarifverträge gebunden. Im Rahmen des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB genügt es für eine Tarifgebundenheit des Arbeitgebers daher auch nicht, wenn die bisherigen und die neuen Tarifregelungen jeweils mit DGB-Gewerkschaften abgeschlossen sind und der betroffene Arbeitnehmer in eine nach dem Betriebsübergang zuständige andere DGB-Gewerkschaft wechseln könnte. Denn aufgrund der grundrechtlich geschützten negativen Koalitionsfreiheit kann ein solcher Wechsel vom Arbeitnehmer nicht verlangt werden.

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Konsequenzen

Bei einem Betriebsübergang gelten die bisherigen tarifvertraglichen Regelungen in dem Arbeitsvertrag des einzelnen Arbeitnehmers in der Regel individualvertraglich fort und genießen eine einjährige Veränderungssperre. Im Hinblick auf die nicht eindeutig formulierte Bestimmung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB über die Rechtsfolgen im Falle der Geltung eines anderen Tarifvertrages beim neuen Inhaber sind Arbeitgeber vielfach der Auffassung gewesen, dass diese Weitergeltung schon dann ausgeschlossen sei, wenn sie ihrerseits tarifvertraglich gebunden sind, so dass die übernommenen Arbeitnehmer unter den bei ihnen geltenden Tarifvertrag fielen. Hierzu hat das BAG noch einmal ganz deutlich festgestellt, dass ein beim neuen Arbeitgeber geltender Tarifvertrag für einen übernommenen Arbeitnehmer nur dann maßgeblich ist, wenn dieser für ihn unmittelbar gilt. Dies ist der Fall, wenn dieser entweder von seiner Gewerkschaft als Tarifvertragspartei mit dem Arbeitgeberverband des neuen Inhabers abgeschlossen oder aber er für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Ansonsten verbleibt es bei der Überleitung der bisherigen tarifvertraglichen Regelungen in individualvertragliche Bestimmungen. Die besondere Bedeutung dieser Entscheidung liegt nicht nur in der mit ihr verbundenen Kontinuität der BAG-Rechtsprechung, sondern vor allem in der tiefgehenden und umfassenden Erörterung und Abwägung aller im Zusammenhang mit der Thematik in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte. Abweichende Auffassungen einschließlich derer, die für eine Tarifbindung des Arbeitgebers den Abschluss der fraglichen Tarifverträge mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund angehörenden Gewerkschaften ausreichen lassen wollen, dürften damit in der Praxis keine Bedeutung mehr haben.

Praxistipp

Im Rahmen von Betriebs(teil)übergängen sollten Arbeitgeber genau prüfen, welche tarifvertraglichen Regelungen in dem zu übernehmenden Betrieb bzw. Betriebsteil und welche in ihrem eigenen Betrieb Anwendung finden. Sofern nicht die Tarifverträge von denselben Tarifvertragsparteien abgeschlossen worden sind oder der bei ihnen geltende Tarifvertrag allgemeingültig ist, müssen sie einkalkulieren, dass in ihrem Betrieb zumindest ein Jahr lang unterschiedliche arbeitsvertragliche Bedingungen für die bereits vorhandenen bzw. die übernommenen Arbeitnehmer gelten; in der Regel ist es mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, wieder ein einheitliches, insbesondere niedrigeres Niveau herbeizuführen.

RA Dr. Werner Holtkamp, Düsseldorf

Redaktion (allg.)

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