Warnfunktion einer ungerechtfertigten Abmahnung

1. Es ist nicht Zweck einer verhaltensbedingten Kündigung, eine begangene Vertragspflichtverletzung zu sanktionieren, sondern das Risiko weiterer erheblicher Pflichtverletzungen zu vermeiden. Sie ist daher nur wirksam, wenn sich die vergangene Pflichtverletzung auch für die Zukunft noch belastend auswirkt.

2. Ein Arbeitnehmer muss aus einer Abmahnung erkennen können, welches Verhalten der Arbeitgeber von ihm erwartet und welches Fehlverhalten dieser als so schwer wiegend ansieht, dass es im Wiederholungsfall die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt (Warnfunktion).

(Leitsätze der Bearbeiterin)

BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 – 2 AZR 283/08

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Das BAG musste über die Rechtmäßigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung entscheiden. Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger, einem Pressefotografen, durch ordentliche Kündigung beendet. Sie begründete dies mit dem Verhalten des Klägers an einem Unglücksort, an dem er Aufnahmen für die Beklagte machte. Als Polizisten ihn aufforderten, seinen Presseausweis vorzuzeigen, weigerte er sich. Sie verwiesen ihn daher des Platzes.

Die Beklagte hatte den Kläger bereits im vorangegangenen Jahr zweimal wegen Verletzung verschiedener Nebenpflichten abgemahnt. Sie wurde jedoch jedes Mal rechtskräftig verurteilt, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen; das erste Mal, weil sie nicht hinreichend deutlich beschrieb, welche Pflichtverletzung sie dem Kläger vorwarf, das zweite Mal, weil sie das erwartete vertragsgemäße Verhalten nicht darstellte.

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt, das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung der Beklagten zurück.

Entscheidung

Das BAG schloss sich den Vorinstanzen an und wies die Revision der Beklagten zurück. Es sah die Kündigung des Klägers als unwirksam, weil sozial ungerechtfertigt, an und begründete dies insbesondere damit, dass eine einschlägige Abmahnung fehlte.

Das Gericht bestätigte zunächst einige Grundsätze seiner Rechtsprechung zur sozialen Rechtfertigung von Kündigungen. So bekräftigte es, dass auch die schwer wiegende Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, die im vorliegenden Fall in Rede stand, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen kann. Es betonte, dass es nicht Zweck einer verhaltensbedingten Kündigung ist, eine begangene Vertragspflichtverletzung zu sanktionieren. Vielmehr geht es darum, das Risiko weiterer erheblicher Pflichtverletzungen zu vermeiden.

Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das Prognoseprinzip: Eine negative Prognose liegt vor, wenn man aus der konkreten Pflichtverletzung und der daraus resultierenden Störung des Arbeitsverhältnisses schließen kann, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig – selbst nachdem ihm der Arbeitgeber die Kündigung angedroht hat – in gleicher oder ähnlicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen wird. Um die negative Prognose zu objektivieren, ist es i. d. R. erforderlich, dass das Unternehmen den Betreffenden zuvor einschlägig abgemahnt hat. Dies kann allerdings bei schweren Pflichtverletzungen, bei denen der Mitarbeiter erkennen kann, dass sein Handeln rechtswidrig ist und der der Arbeitgeber es nicht hinnehmen wird, entbehrlich sein.

Um eine solche schwere Pflichtverletzung handelte es sich nach Ansicht des Gerichts im vorliegenden Fall allerdings nicht. Der Kläger hatte lediglich seine Nebenpflicht verletzt, sich gegenüber der Polizei korrekt auszuweisen. Hierbei handelte er weder rechtswidrig noch fügte er der Beklagten dadurch materiellen oder immateriellen Schaden zu. Damit bedurfte die Kündigung einer einschlägigen Abmahnung, um wirksam zu sein. Eine solche lag jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht vor: Eine Abmahnung kann nur kündigungsrechtlich relevant sein, wenn sie eine Warnfunktion gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt. Sie muss ihm klar zu erkennen geben, welches Verhalten der Arbeitgeber von ihm erwartet und welches Fehlverhalten im Wiederholungsfall die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach sich zieht. Diese Anforderungen waren nach Meinung des BAG jedenfalls bei den zwei ersten Abmahnungen des Klägers nicht gegeben. Ob eine Abmahnung die kündigungsrechtliche Warnfunktion ausnahmsweise auch erfüllt, wenn sie in der Sache nicht gerechtfertigt ist, konnte das Gericht daher offenlassen.

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Konsequenzen

Letzteres ist aber durchaus eine praxisrelevante Frage. Ob die abgemahnte Pflichtverletzung im Wiederholungsfall tatsächlich eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigt, ist für den Arbeitgeber nämlich oftmals schwer zu beurteilen. Hier muss er nun abwarten, wie sich die Rechtsprechung weiter entwickelt. Allerdings deutete das Gericht an, dass u. U. auch Abmahnungen, die nicht alle Anforderungen erfüllen, kündigungsrelevant sein können, solange das Unternehmen dem Arbeitnehmer nur klar mitteilt, welches Verhalten es von ihm erwartet und welches Fehlverhalten es als so schwer wiegend ansieht, dass es im Wiederholungsfall die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Damit könnten insbesondere Abmahnungen, die aus formellen Gründen an sich unwirksam wären – z. B. weil der Arbeitgeber den Mitarbeiter nicht angehört hatte, bevor er die Abmahnung in die Personalakte aufnahm – eine nachfolgende verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.

Praxistipp

Angesichts der nicht abschließend geklärten Rechtslage sollten Unternehmen auch zukünftig höchste Sorgfalt walten lassen, wenn sie Abmahnungen formulieren. Schon aus Beweiszwecken empfiehlt es sich, sie stets schriftlich zu verfassen. Außerdem ist es wichtig, dem Arbeitnehmer unmissverständlich und detailliert darzulegen, welches seine arbeitsvertraglichen Pflichten sind und durch welches Verhalten er nach Ansicht des Arbeitgebers gegen diese verstoßen hat. Zudem muss deutlich werden, dass eine solche Pflichtverletzung im Wiederholungsfall zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen kann.

RAin und FAin für ArbR Dr. Ann-Christine Hamisch, M.Jur. (Oxford), München

Redaktion (allg.)

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