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Nachvertragliches Wettbewerbsverbot: Berechnung der Karenzentschädigung bei Einbeziehung von Leistungen Dritter

Der Begriff der „vertragsmäßigen Leistungen“ i. S. v. § 74 Abs. 2 HGB, auf deren Grundlage sich bei einem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot die gesetzliche (Mindest-)Karenzentschädigung berechnet, umfasst nur solche Leistungen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen und die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Vergütung für geleistete Arbeit schuldet. Deshalb sind, soweit der Arbeitnehmer eine Vereinbarung über die Gewährung von Restricted Stock Units (RSUs – beschränkte Aktienerwerbsrechte) nicht mit seinem Arbeitgeber, sondern mit der Obergesellschaft der Unternehmensgruppe schließt, der sein Vertragsarbeitgeber angehört, die dem Arbeitnehmer seitens der Obergesellschaft gewährten RSUs bzw. die ihm – nach Wegfall bestimmter Restriktionen – zugeteilten Aktien grundsätzlich nicht Teil der „vertragsmäßigen Leistungen“ i. S. v. § 74 Abs. 2 HGB. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn der Vertragsarbeitgeber im Hinblick auf die Gewährung der RSUs durch die Obergesellschaft ausdrücklich oder konkludent eine eigene (Mit-)Verpflichtung eingegangen ist. Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.

Der Kläger war von Januar 2012 bis Januar 2020 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Sein monatliches Grundgehalt belief sich zuletzt auf 10.666,67 Euro brutto. Die Beklagte ist Mitglied einer Unternehmensgruppe, deren Obergesellschaft ein US-amerikanisches Unternehmen ist. Der im Dezember 2011 geschlossene Arbeitsvertrag des Klägers enthält unter § 15 die Vereinbarung eines neunmonatigen konzernweiten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Im Gegenzug verpflichtete sich die Arbeitgeberin, an den Kläger „nach Ende der Anstellung eine Entschädigung zu zahlen, welche für jedes Jahr des Verbots die Hälfte der vom Angestellten zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erreicht“. Ergänzend wurde die Geltung der §§ 74 ff. HGB vereinbart. Während seines Arbeitsverhältnisses partizipierte der Kläger an dem „RSU-Programm“ der Obergesellschaft und erhielt auf der Grundlage der von ihm mit dieser jeweils separat getroffenen „Global Restricted Stock Unit Award Agreements“ jährlich eine bestimmte Anzahl von RSUs.

Mit seiner Klage hat der Kläger, der sich nach seinem Ausscheiden an das Wettbewerbsverbot gehalten hat, die Beklagte zuletzt noch auf Zahlung von Karenzentschädigung i. H. v. insgesamt 80.053,65 Euro brutto nebst Zinsen in Anspruch genommen. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe für die Karenzzeit – über den von der Beklagten bereits gezahlten und den ihm erstinstanzlich rechtskräftig zuerkannten weiteren Betrag hinaus – eine weitere Karenzentschädigung i. H. v. 8.894,85 Euro brutto monatlich zu. Bei der Berechnung der Karenzentschädigung seien auch die ihm gewährten RSUs zu berücksichtigen. Darauf, wer Schuldner dieser Leistungen sei, könne es schon in Anbetracht der Möglichkeit der Einflussnahme der Obergesellschaft auf die Vertragsbedingungen im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht ankommen. Die Vorinstanzen haben die Klage im noch streitgegenständlichen Umfang abgewiesen (LAG Hamm, Urt. v. 11.8.2021 – 10 Sa 284/21).

Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des BAG keinen Erfolg (Urt. v. 25.8.2022 – 8 AZR 453/21). Der Kläger hat – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat – keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Karenzentschädigung. Ein solcher Anspruch hätte sich nur unter Berücksichtigung der dem Kläger seitens der Obergesellschaft gewährten RSUs ergeben können. Bei diesen handelt es sich jedoch nicht um „vertragsmäßige Leistungen“ im Sinne der unter § 15 des Arbeitsvertrags über die Höhe der Karenzentschädigung getroffenen Vereinbarung. Diese Vereinbarung greift den Wortlaut von § 74 Abs. 2 HGB auf und ist mithin dahin zu verstehen, dass die Beklagte dem Kläger eine Karenzentschädigung in Höhe der gesetzlichen Mindestentschädigung zugesagt hat. Für die Auslegung des Begriffs der „vertragsmäßigen Leistungen“ in § 15 des Arbeitsvertrags gilt demnach nichts anderes als für die Auslegung des entsprechenden Rechtsbegriffs in § 74 Abs. 2 HGB. Der Begriff der „vertragsmäßigen Leistungen“ i. S. v. § 74 Abs. 2 HGB, auf deren Grundlage sich bei der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots die gesetzliche (Mindest-)Karenzentschädigung berechnet, umfasst nur solche Leistungen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen und die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Vergütung für geleistete Arbeit schuldet. Da der Kläger die jeweiligen „Global Restricted Stock Unit Award Agreements“, also die Vereinbarungen über die Gewährung der RSUs, nicht mit der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen, sondern mit der Obergesellschaft getroffen hat, setzt die Berücksichtigung der RSUs bei der Berechnung der Karenzentschädigung zumindest voraus, dass die Beklagte im Hinblick auf die Gewährung dieser RSUs – ausdrücklich oder konkludent – eine (Mit-)Verpflichtung übernommen hatte. Die Beklagte ist jedoch – wie das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls rechtsfehlerfrei angenommen hat – weder ausdrücklich noch konkludent eine solche (Mit-)Verpflichtung eingegangen. Insbesondere war eine andere Bewertung nicht deshalb geboten, weil die Parteien in § 15 des Arbeitsvertrags ein „konzernweites“ Wettbewerbsverbot vereinbart hatten. Selbst wenn die Wettbewerbsabrede hinsichtlich ihres vereinbarten Konzernbezugs nicht dem Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen der Beklagten gedient haben sollte, hätte dies nach § 74a Abs. 1 HGB „nur“ eine Rückführung der dem Kläger auferlegten Beschränkungen auf die zulässige Reichweite des Verbots bewirkt, nicht aber dazu geführt, dass der Kläger, soweit er sich auch des Wettbewerbs insbesondere im Geschäftsbereich der Obergesellschaft enthalten hat, eine Karenzentschädigung unter Berücksichtigung der RSUs verlangen könnte.

Pressemitteilung Nr. 32/22 des BAG vom 25.8.2022

Redaktion (allg.)

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RECHTSPRECHUNG - Kurz kommentiert
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Body Teil 1

Vor dem LAG Hamm (Urt. v. 11.8.2021 – 10 Sa 284/21) stritten die Parteien um die Einbeziehung sog. Restricted Stock Units („RSUs“), die die amerikanische Konzernmutter gewährt hatte, in die Berechnung der Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Der Kläger bezog ein monatliches Grundgehalt von zuletzt 10.666,67 Euro. Auf dieser Grundlage berechnete das Unternehmen die Karenzentschädigung mit 50 %, das sind 5.307,42 Euro brutto. Der Kläger hatte in den letzten 36 Monaten vor seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis RSUs der amerikanischen Konzernmutter im Wert von rund 640.000 Euro erhalten. Die Gewährung der RSUs ist nicht Gegenstand einer vertraglichen Abrede mit dem Arbeitgeber, sondern basiert auf jährlich separat abzuschließenden Verträgen mit der Konzernmutter. Diese traf auch die Letztentscheidung über die Anzahl der RSUs. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass ihm zusätzlich zu der gezahlten Karenzentschädigung weitere rund 8.900 Euro brutto monatlich zustehen, mithin eine monatliche Entschädigung von über 14.000 Euro. Die Klage hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.

Das sehr ausführlich begründete Urteil wird im Wesentlichen von folgenden Überlegungen getragen: Bei den RSUs handelt es sich nicht um vertragsmäßige Leistungen gem. §§ 74 Abs. 2, 74b Abs. 2 HGB. Als vertragsmäßig i. S. d. Norm ist eine Leistung anzusehen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruht und als Vergütung für die geleistete Arbeit erbracht wird. Ohne Vorliegen einer eigenen vertraglichen Verpflichtung des Arbeitgebers komme es nicht in Betracht, Leistungen Dritter in die Berechnung der Karenzentschädigung einzubeziehen. Dies gilt auch, wenn diese einen Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweisen. Die Entschädigung stellt das Spiegelbild zu der im Arbeitsverhältnis geschuldeten Vergütung dar. Wenn der Arbeitgeber schon nicht zur Leistung im bestehenden Arbeitsverhältnis verpflichtet ist, kann dies auch nicht für die Entschädigungszahlung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gelten. Ansonsten wäre der Arbeitgeber je nach den Umständen des Einzelfalls verpflichtet, mehr zu zahlen als in den Monaten der Beschäftigung. Das Unternehmen war auch keine konkludente vertragliche Verpflichtung zur Gewährung der RSUs eingegangen. Im Anschluss an mehrere grundsätzliche Entscheidungen des BAG gibt es keine Vermutung oder gar einen Automatismus für eine Einstandspflicht des Vertragsarbeitgebers für Aktienoptionen der Konzernmutter (vgl. BAG, Urt. v. 12.3.2003 – 10 AZR 299/02; v. 16.1.2008 – 7 AZR 887/06). Auch der Umstand, dass der Arbeitgeber die Abrechnung und Versteuerung in Deutschland erledigt hatte, führt zu keinem anderen Bild. Er handelte insoweit nur als Erfüllungsgehilfe der Konzernmutter.

Body Teil 2

Wegen grundsätzlicher Bedeutung ließ das Gericht die Revision zum BAG zu.

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